Politik

Weiße Himmelslaternen bedeuten Tod, rote hingegen Freude

Lesezeit: 7 min
18.02.2023 09:08
Die Spionage-Ballons sind offensichtlich als Machtdemonstration gemeint. Das Symbol hat eine lange Tradition in der Geschichte Chinas - und passt gut zu Xis Ambitionen, seinem Land den Aufstieg zur Weltmacht zu ebnen.
Weiße Himmelslaternen bedeuten Tod, rote hingegen Freude

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Die zahllosen Spionage-Ballons, die China in letzter Zeit über die westliche Welt fliegen lässt, wirkten auf den ersten Bildern rosa. Rosa würde der roten Farbe näher kommen, die bei chinesischen Lampions Freude bedeutet. Als die US-Soldaten einen abgeschossenen Ballon aus dem Meer holten, erwies sich dieser als weiß, also nach der chinesischen Farbenlehre als Todesbringer.

Die Botschaft passt auch zu den zuletzt immer aggressiver werdenden Erklärungen des chinesischen Präsidenten Xi, der die Dominanz der USA in der Welt beenden und durch eine Vorherrschaft Chinas ersetzen will. Und bei der Verwirklichung dieses Ziels ist es schon hilfreich, wenn Ballons die Details des amerikanischen Militärs ausspionieren.

Zhuge, der Fürst der Kriegskunst, ein Wegweiser für Xi Jinping

Xi ist vor allem ein brutaler Diktator, der jede Opposition niederknüppelt, aber auch ein Mann mit großem Interesse für Geschichte. Der Lampion wurde vor 2000 Jahren von einem bis heute hochverehrten Politiker, Militär und Autor erfunden, der in die Geschichte eingegangen ist, weil er die damals existierenden drei chinesischen Reiche zwar nicht vereinen konnte, aber einander näher gebracht hat – Zhuge Liang, der „Zhuge – Fürst der Kriegskunst“ genannt wird. Sein Rufname war Kongming und so heißen die Lampions bis heute Kongming-Ballons. Das Bild passt gut zu Xis Ambition, nach Hongkong nun auch Taiwan mit der Volksrepublik zu fusionieren.

Außerdem: Die zu Beginn der kommunistischen Herrschaft angesehene Familie Xi wurde von Mao in der Kulturrevolution verfolgt, der heutige Präsident musste sich sogar jahrelang in einer Höhle verstecken. Noch eine kleine Parallele: In der Kulturrevolution waren Lampions verboten.

Einst hieß es „Britannia rules the world”, künftig soll der Spruch für China gelten

In Xis Vorstellungen geht es allerdings nicht allein um die Vereinigung der drei chinesischen Reiche. Er ist ständig geprägt von der Geschichte und so schwebt ihm das britische Empire vor, dem es im 19. Jahrhundert gelungen ist, aus London die Welt zu beherrschen. Wie genau das im 21. Jahrhundert aus Beijing funktionieren soll, ist schwer nachvollziehbar. Schließlich sind die meisten Staaten auf einem Entwicklungsniveau angelangt, das eine Kolonialisierung verhindert.

Xi hat aber eine skurrile Botschaft: Man möge sich von den USA abwenden und den chinesischen Weg gehen, der Freiheit, Frieden und Sicherheit biete. Da man aber weltweit weiß, dass China eine Diktatur ist, in der nur Xi entscheidet, wirkt die Einladung eher absurd. Allerdings wird er von seiner eigenen Geschichte und der Historie der großen Diktatoren geprägt: Xi ist es gelungen, China, das bereits auf dem Weg zur Liberalisierung war, zurück in eine sowjetische Diktatur zu pressen, die der Politik seines großen Vorbilds Stalin entspricht. Warum soll er das nicht mit dem ganzen Globus schaffen?

Der erste Ballon vor 2000 Jahren sollte Hilfe herbeiholen

Xi hat bestimmt nichts gegen einen Vergleich mit dem legendären Zhuge. Allerdings hat jedes Ereignis mehrere Aspekte. Zhuge erfand den Lampion, als er bei einem Feldzug von Gegnern eingekesselt war und Verbündete zur Hilfe rufen musste.

Als Kenner physikalischer Gesetze wusste er, dass Material durch erhitzte Luft aufsteigt und so zimmerte er ein Gerät, das den Namen Himmelslaterne bekam und Hilfe herbeiholte. Die aktuelle Rhetorik von Xi lässt nicht auf einen Politiker schließen, der Hilfe sucht. Die Spionage-Ballons sind offensichtlich als Machtdemonstration gemeint. Bei näherer Betrachtung würde sich aber die Interpretation als Hilferuf anbieten.

Der Katalog der Probleme, mit denen Xi und China zu kämpfen haben, ist lang. Nachdem Diktatoren in erster Linie an ihrem eigenen Schicksal interessiert sind und weniger das Wohl ihres Volkes im Auge haben, sei vorerst auf Xis Befindlichkeit verwiesen. Xi ist es in den vergangenen zehn Jahren seit der Berufung zum Zentralsekretär der KP Chinas gelungen, alle Personen zu entmachten, die ihm im Wege stehen könnten.

Das entscheidende Instrument war die „Korruptionsbekämpfung“, die zur Verurteilung und Inhaftierung abertausender Gegner führte, Freunde und Förderer aber verschonte. In der Folge wurde er im vergangenen Oktober für eine dritte Amtszeit von 2023 bis 2028 bestätigt. Bereits vor längerem wurde vom Marionetten-Parlament „Nationaler Volkskongress“ die Möglichkeit geschaffen, dass er Präsident auf Lebenszeit bleiben könnte.

Mächtig wie Mao, aber auf der Straße tobt der Protest

Am Höhepunkt seiner Macht, die ihn mit Mao Tsetung und Deng Xiaoping gleich stellt, musste Xi in den vergangenen Wochen plötzlich zur Kenntnis nehmen, dass die Bevölkerung nicht mehr bereit ist, die Diktatur kommentarlos zu akzeptieren. Es kam und kommt immer noch zu Demonstrationen, die sich ausdrücklich gegen Xi richten. Auslöser waren die langen Lock-Downs zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, die Millionen Menschen wochenlang einsperrten. Aber auch die horrenden Wohnungspreise quälen die Familien.

Extrem hoch ist die Jugendarbeitslosigkeit, die ein gravierendes Problem verschärft. In der langen Periode, in der eine Familie nur ein Kind haben durfte, wurden vor allem die weiblichen Föten abgetrieben, sodass jetzt ein Männerüberhang besteht. Heiraten kann ein junger Mann nur, wenn er eine Wohnung zu bieten hat. Arbeitslos, in einer Immobilienkrise, mit Familie im Hintergrund, die selbst unter den Schulden leidet, die für den Kauf einer Wohnung aufgenommen wurden, ein unlösbares Problem.

Die neue Freiheit können vor allem die Reichen nützen

Xi riss das Ruder herum und beseitigte schlagartig alle Beschränkungen, die wegen Covid erlassen wurden. Nun wird ständig die wiedergewonnene Freiheit zelebriert. In allen Wirtschaftsanalysen wird betont, dass jetzt der Konsum boomt und die chinesische Wirtschaft kräftig wachsen lässt. Besonders verwiesen wird auf die rege Reisetätigkeit rund um das chinesische Neujahr am 1. Februar.

Die Details sehen anders aus: Die Anbieter von Luxusgütern verzeichnen tatsächlich kräftige Umsatzsteigerungen, die Supermärkte für Normalverbraucher hingegen registrieren keine vergleichbaren Zuwächse. Der Staat bemüht sich, den Konsum zu stützen und baut die ohnehin gegebene Förderung beim Kauf von E-Autos aus. Subventionen bekommt man neuerdings auch, wenn man die Wohnungen mit elektronischen Geräten modernisiert. Womit allerdings der Überwachungsstaat zusätzliche Anknüpfungspunkte erhält.

China kann seinen Höhenflug des Wirtschaftswachstums nicht fortsetzen

Das eigentliche Problem Chinas besteht in der Tatsache, dass das Wirtschaftswachstum nachlässt, die Produktion nicht an die Wachstumsraten der vergangenen Jahre anschließt und dieses Phänomen keine momentane Erscheinung darstellt, sondern Strukturprobleme deutlich macht. Xi erklärt bei jeder Gelegenheit, das kommunistische China habe den Status eines hochentwickelten Industrielandes in wenigen Jahren erreicht, wofür der Westen über hundert Jahre gebraucht habe. Mit dieser Darstellung soll der Umstand kaschiert werden, dass die chinesische Industrie durch die westlichen Investitionen im Land ermöglicht wurde. Nur, gerade dieser Faktor wird jetzt erschüttert.

Durch die aggressive Haltung Chinas in allen geopolitischen Fragen, wird es für die Unternehmen immer problematischer, in China zu investieren. Die öffentlichen Sanktionen der USA gegen China und die Förderung der Errichtung von Fabriken in den USA verstärken diesen Trend. Die chinesischen Löhne sind in jüngster Zeit extrem gestiegen und vernichten den entscheidenden Kostenvorteil einer Erzeugung in China. Die Bevölkerung schrumpft, weil die Fertilitätsrate mit 1,28 Geburten pro Frau extrem niedrig ist und keine Zuwanderung stattfindet.

In allen öffentlichen Erklärungen der vergangenen Wochen wird die Notwendigkeit einer Stärkung der Wirtschaft betont. Der Internationale Währungsfonds hat zwar die Wachstumsprognose für 2023 von 3,5 auf 5,2 Prozent angehoben, betont aber, dass dieser Wert nur erreicht wird, wenn eine massive Investitionsförderung durch den Staat stattfindet und die angesprochene Belebung des Konsums tatsächlich hält.

Xi ist mehr an der Beherrschung der Welt interessiert als an den Sorgen der Chinesen

Es gäbe also genug zu tun im eigenen Land für den chinesischen Präsidenten. Allerdings scheint das Interesse, die Welt zu beherrschen, deutlich größer zu sein als die Lebensbedingungen der Chinesen zu verbessern. In diesen Tagen konferierte Xi eifrig mit dem nach Beijing angereisten Präsidenten des Iran, Ebrahim Raisi.

Die beiden Staatschefs betonten die enge Kooperation und dass man Angriffe auf die Souveränität des anderen strikt ablehne. Dass Iran seine Nachbarn im Nahen Osten bedroht und China die Weltherrschaft anstrebt, kam nicht zur Sprache, es ging darum, die Legende vom aggressiven Westen zu pflegen und nach dem Motto „Haltet den Dieb“ die USA zu beschimpfen. Beschlossen wurde, dass China weiterhin Öl und Agrarprodukte aus dem Iran kauft.

Distanz zu Russland und Liebeswerben um Frankreich

Bei Russland ist Xi zurückhaltend. Zum Jahreswechsel wollte Russlands Präsident, Wladimir Putin, dass Xi einer Art Zusammenschluss der beiden Armeen zustimmt. Dieser Wunsch wurde nicht erfüllt. Stattdessen will man gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Waffenstillstand in der Ukraine zustande bringen. Der außenpolitische Sprecher des Zentralkomitees der KPCh, Wang Yi, hat das Thema diese Woche in Paris besprochen und nimmt mit diesem Vorschlag an der aktuell stattfindenden internationalen Münchner Sicherheitskonferenz teil. Diese Initiative ist nicht ohne Beigeschmack: Macron ist einer der Motoren einer strikteren EU-Politik gegen China, um die Menschenrechtsverletzungen der Volksrepublik zu bekämpfen und die Behinderung von westlichen Firmen abzubauen. Jetzt soll er als Partner Chinas den Ukraine-Krieg beenden – und als „lieber Freund“ wohl aufhören, China zu kritisieren

Entwicklungsländer sollen sich an China orientieren und Agrarprodukte liefern

Xi ist zudem eifrig im Einsatz, um die Kontakte zu den ärmeren Ländern zu pflegen. In der abgelaufenen Woche war der Premierminister von Kambodscha bei Xi in Peking. Auch da wurden viele Parolen gedroschen. Das Land ist ein wichtiger Bestandteil der Neuen Seidenstraße, die den Weg von China nach Europa verkürzt. Doch dieses Thema stand nicht im Vordergrund. China hat, wie erwähnt, Probleme mit den gestiegenen Löhnen und will daher Fabriken nach Kambodscha verlagern, um die dort geltenden niedrigeren Lohnkosten zu nützen. Außerdem braucht China die Agrarprodukte aus Kambodscha.

Die einst das Land dominierende, chinesische Landwirtschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten in eine Krise geraten. Ab der Jahrtausendwende standen die Industrialisierung und die Urbanisierung im Vordergrund. In der Folge wurden riesige Industriekombinate geschaffen, die Bevölkerung verlagerte man vom Land in Millionenstädte. Diese Entwicklung ist nur schwer korrigierbar und so ist China weltweit am Kauf von Agrarprodukten interessiert. In diesem Sinne wurden auch umfangreiche Investitionen in Afrika umgesetzt, die manche Regionen des Kontinents zu chinesischen Kolonien machen. In diesem Zusammenhang ist auch das Bemühen der chinesischen Führung um enge Beziehungen zu Südamerika zu sehen.

Der Kauf westlicher Firmen hat deutlich nachgelassen

Während die Sicherung der Industrie in China und die Versorgung mit Agrarprodukten im Vordergrund stehen, ist der Eifer bei der Übernahme von technisch hoch entwickelten Unternehmen im Westen deutlich zurückgegangen. Nach dem Boom vor sechs Jahren – allein im Jahr 2016 kauften Chinesen Firmen in Europa um 85,8 Mrd. Dollar – kam es zu einem deutlichen Rückgang. Im Corona-Jahr 2020 wurden kaum Käufe registriert, 2021 erfolgte ein Anstieg auf 12,4 Mrd. $. Diese Daten sind einer Studie von Ernst und Young entnommen.

Weltherrschaft durch die Lieferung von Strom über eine Energie-Seidenstraße?

Fasst man die anti-westlichen Parolen und die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung zusammen, wird nicht klar, wie sich Xi die Eroberung der Weltherrschaft vorstellt. Einen Probelauf bot die Errichtung der Neuen Seidenstraße, bei der arme Länder auf der Strecke mit Krediten abhängig gemacht wurden. Wie nebenbei errichtete China in den Regionen Militärstationen. Allerdings ist in diesen Ländern der Widerstand gegen die chinesischen Machtansprüche mittlerweile groß.

In Planung ist ein weltumspannendes Netz von Energieleitungen, eine Art „Energie-Seidenstraße“. Bei diesem Projekt geht China davon aus, dass die westliche Welt durch die politischen Auseinandersetzungen über die Verwendung von Öl, Gas oder Atom unweigerlich in eine Krise stürzen muss. China, unberührt von den Nachhaltigkeitsdebatten, wird über die Energie-Seidenstraße Strom aus allen möglichen Energieträgern liefern und die Welt im Griff haben. Vielleicht sollte man in den USA und in Europa über dieses Thema nachdenken. Nicht nur über Ballons.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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