Russland wird der deutschen Wirtschaft zufolge wegen des Krieges gegen die Ukraine noch stärker an Bedeutung als Handelspartner und Investitionsstandort verlieren. "Die Entflechtung vom russischen Markt kommt schnell voran und wird sich 2023 weiter fortsetzen", sagte der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses, Michael Harms, am Mittwoch bei der Frühjahrspressekonferenz des Verbandes in Berlin kurz vor dem ersten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Die deutschen Exporte nach Russland brachen 2022 um 45 Prozent ein und lagen mit knapp 15 Milliarden Euro so niedrig wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr.
Die Entkoppelung von Russland ist dem Ost-Ausschuss zufolge nur zum Teil auf die EU-Sanktionspakete zurückzuführen. "Die Mehrheit der deutschen Unternehmen im Russland-Geschäft tut wesentlich mehr, als es die Sanktionen verlangen", sagte Harms. Nur in Branchen, die ausdrücklich von EU-Sanktionen ausgenommen seien, wie dem Gesundheits- und Agrarsektor, finde noch mehr oder weniger normales Geschäft statt.
"Die vielzitierten Statistiken zum angeblichen Verbleib der meisten Unternehmen in Russland sind irreführend, weil ein hundertprozentiger Rückzug hoch kompliziert und zeitraubend ist", sagte Harms. "Der russische Staat tut inzwischen alles, um einen weiteren Exodus ausländischer Unternehmen zu verhindern."
Die russische Wirtschaft fahre mit hohem Tempo in eine langanhaltende Krise hinein. "Wir haben immer gesagt, dass die russische Wirtschaft nicht über Nacht zusammenbrechen wird", betonte Harms. Aber die Sanktionen, der Rückzug ausländischer Unternehmen und der Exodus Hunderttausender junger Arbeitskräfte entfalteten eine zunehmend toxische Wirkung. Das Land büße seine Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit ein. "Wir erleben eine Desintegration Russlands aus der Weltwirtschaft und eine beispiellose Rückabwicklung marktwirtschaftlicher sowie technischer Errungenschaften der letzten 30 Jahre."
Während das Russland-Geschäft einbricht, boomt es anderswo. "Die drastischen Einbußen konnten durch zweistellige Exportsteigerungen in andere Märkte mehr als wettgemacht werden", sagte Harms. Der Handel mit Mittel- und Osteuropa wuchs dadurch im vergangenen Jahr auf einen neuen Höchststand von 562 Milliarden Euro. Die 29 Länder Mittel- und Osteuropas trugen demnach gut 18 Prozent zum gesamten deutschen Außenhandel bei - mehr als China und die USA zusammen.
Der Handel mit der Ukraine ist mit minus sieben Prozent weniger stark eingebrochen, als dies angesichts der dramatischen Lage zu erwarten gewesen wäre: "Er befindet sich seit dem Spätherbst sogar auf Erholungskurs“, sagte Harms. Die deutschen Unternehmen im Land hätten die Produktion - wo immer möglich - aufrechterhalten oder schnell wieder hergestellt. Die deutsche Wirtschaft engagiere sich zudem intensiv für die schnelle Wiederherstellung zerstörter Infrastruktur und den langfristigen Wiederaufbau des Landes. (Reuters)