Politik

Polen kritisiert Deutschland: Zu wenig Hilfe für Ukraine

Lesezeit: 4 min
25.03.2023 22:08  Aktualisiert: 25.03.2023 22:08
Deutschland unterstützt die Ukraine zu wenig, sagt Polens Premierminister Morawiecki und bringt EU und Nato in Stellung, um höhere Militärausgaben durchzusetzen.
Polen kritisiert Deutschland: Zu wenig Hilfe für Ukraine
Mateusz Morawiecki, Premierminister von Polen, wirft Deutschland vor, bei der Ukraine-Hilfe zu knausern. (Foto: dpa)
Foto: Przemyslaw Piatkowski

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Politik  
Ukraine  
Polen  

In einem Interview mit Politico am Freitag nach dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel sagte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki, Deutschland müsse eine Führungsrolle übernehmen. Deutschland sollte "mehr Waffen, mehr Munition und mehr Geld in die Ukraine schicken, denn es ist das mit Abstand reichste und größte Land", sagte er. "Sie waren nicht so großzügig, wie sie hätten sein sollen", sagte der polnische Premierminister.

Zwar richtete sich die schärfste Kritik des polnischen Regierungschefs gegen Deutschland, zu dem Polen derzeit auch wegen der Reparationsforderungen für den Zweiten Weltkrieg ein angespanntes Verhältnis hat. Doch die Kritik an Deutschland war Teil von umfassenderen Forderungen, die Morawiecki an EU und Nato richtete. Beide Organisationen sollten seiner Ansicht nach ihre Ausgabenregeln überarbeiten, um massive militärische Ausgaben zu erzwingen.

Die Nato-Staaten sollten ihr Ausgabenziel drastisch von aktuell 2 Prozent auf 3 Prozent der Wirtschaftsleistung anheben, so der polnische Premier, und die EU sollte die Aufnahme neuer Schulden für Verteidigungszwecke prüfen. Zudem sollten die EU-Staaten seiner Ansicht nach ihre Bemühungen beschleunigen, eingefrorene russische Vermögenswerte für die Kriegsanstrengungen umzuwidmen.

Polen treibt Kritik an Deutschland voran

Polen hat sich wiederholt für mehr Unterstützung an Kiew stark gemacht. Denn auch wenn Länder wie Deutschland und Frankreich der Ukraine beträchtliche Bestände an Waffen, Fahrzeugen und Geld zur Verfügung gestellt haben, so ist dies in den Augen einiger Regierungen in Osteuropa nicht genug. Morawiecki ergreift nun die Initiative und kritisiert Deutschland. "Ich greife sie nicht an, ich stelle nur das Offensichtliche fest."

Der polnische Premierminister räumt ein, dass Deutschland seine Politik geändert habe, unter anderem durch massive Investitionen in die Modernisierung des Militärs und die Aufhebung des Verbots, Waffen in ein Kriegsgebiet zu schicken. Er hebt insbesondere die Entscheidung Deutschlands hervor, Leopard-Kampfpanzer in die Ukraine zu schicken. "Vor drei Monaten sagte Deutschland, das sei nicht möglich - jetzt ist es möglich, also ändern sie ihren Ansatz", sagte er.

Der polnische Regierungschef kritisiert auch Deutschlands Energiepolitik der Vergangenheit, die stark von russischen Gasimporten abhängig war und Europa seiner Ansicht nach auf einen gefährlichen Weg führte. "Durch ihre völlig verfehlte Gas- und Ölpolitik gegenüber Russland sind sie mitverantwortlich für das, was jetzt passiert, für dieses Chaos auf dem Energiemarkt", sagte er. "Und wir haben sie angefleht. Wir haben sie gebeten, das nicht zu tun."

Der Premierminister sagte gegenüber Politico, er habe über die seiner Ansicht nach nicht ausreichende deutsche Unterstützung für die Ukraine auch mit Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen. "Ich führe dieses Gespräch ab und zu", sagte er. "Ich bitte ihn um eine möglichst große Unterstützung", sagte er. "Das ist alles, was ich tun kann."

Polen profitiert massiv von deutschen EU-Geldern

Polen profitiert von Deutschlands Beiträgen zu einem gemeinsamen EU-Fonds, der den Ländern einen Teil ihrer Waffenlieferungen an die Ukraine erstattet. Berlin stellt den größten Teil des Geldes für diesen Fonds zur Verfügung, der als Europäische Friedensfazilität bekannt ist, und Polen hat sich nicht gescheut, das deutsche Geld in großem Stil anzunehmen.

Morawiecki sagt jedoch, er sei nicht beeindruckt von Deutschlands Beitrag zu diesem Fonds und bezeichnete ihn als nur "proportional" zur Größe des Landes. Polen werde die EU weiterhin um eine teilweise Rückerstattung all seiner Spenden bitten, einschließlich der Panzer und Kampfjets - eine ungeklärte Frage, da der Fonds derzeit fast ausschließlich für die Finanzierung von Munition für die Ukraine vorgesehen ist.

Auf dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in dieser Woche schlug Polen zusammen mit der Slowakei vor, bis zum Jahr 2023 weitere 3,5 Milliarden Euro für den Fonds bereitzustellen. Es gelang ihnen jedoch nicht, genügend Länder von diesem Vorstoß zu überzeugen, was Morawiecki auf "soziale Spannungen" in anderen Ländern zurückführte.

Morawiecki macht Vorschläge zur Kriegsfinanzierung

Der Finanzierungsstreit ist nur der Anfang eines längerfristigen Streits innerhalb der EU darüber, in welchem Umfang die militärischen Produktionskapazitäten ausgebaut werden sollen - und wie dies zu finanzieren ist. Die EU könnte mehr Schulden machen, sagte Morawiecki. Doch dies ist ein umstrittener Vorschlag, den Länder wie Deutschland nur ungern in Erwägung ziehen.

Oder die EU könnte sich mit Verteidigungsanleihen befassen, fügte der polnische Premierminister hinzu. Dies sind Anleihen, die von Staaten zur Finanzierung militärischer Unternehmungen ausgegeben werden. Eine weitere Idee von Morawiecki ist es, die Verteidigungsausgaben der Mitgliedsstaaten von den strengen Haushaltsregeln der EU auszunehmen.

Morawiecki hat eine bevorstehende Überprüfung des Siebenjahreshaushalts der EU im Auge, um einige dieser Ideen vorzubringen. Er hofft auch, dass die EU bei dieser Überprüfung "einige Gelder finden wird, die nicht ausgegeben wurden und auch nicht ausgegeben werden sollen. Und sie kann 5 oder 10 Milliarden Euro für die Unterstützung der Ukraine bewegen".

Eine weitere riesige Geldquelle, die bislang nicht genutzt worden ist, sind die eingefrorenen russischen Guthaben, die Morawiecki in der gesamten EU mit 350 Milliarden Euro beziffert. EU-Beamte haben jedoch erklärt, dass zunächst rechtliche Fragen geklärt werden müssten, bevor dieses Geld für die Kriegsanstrengungen verwendet werden kann.

Unabhängig davon sieht der polnische Regierungschef in den Ausgabenplänen der Nato eine Möglichkeit, zusätzliche Mittel bereitzustellen. Im Jahr 2014 einigten sich die Staats- und Regierungschefs des Militärbündnisses darauf, innerhalb eines Jahrzehnts jeweils 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben - ein Ziel, das bisher nur sieben Verbündete erreicht haben. Nun muss die Nato entscheiden, wie ihre nächste Zusage aussehen soll.

"In Anbetracht der immer unsichereren Zeiten, die uns umgeben, werde ich mich zunächst für eine Erhöhung dieser Ausgaben auf 3 Prozent einsetzen", sagte Morawiecki und merkte an, dass Polen in diesem Jahr bereits bis zu 4 Prozentpunkte des BIP für die Verteidigung ausgeben wird. "Ich denke, dass, wie das alte römische Sprichwort sagt, si vis pacem, para bellum - wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor."

Morawiecki will Zuständigkeit der EU verringern

Morawiecki hat versucht, sich auf der europäischen Bühne als politisches Schwergewicht zu präsentieren. Sein Land beherbergt derzeit fast eine Million ukrainische Flüchtlinge. Und Anfang dieser Woche hielt er in Heidelberg eine Rede, in der er seine Vision für die Zukunft Europas darlegte und dazu aufrief, "die Zahl der Bereiche, die in die Zuständigkeit der EU fallen, zu verringern".

Denn auch wenn Morawiecki die EU zur Finanzierung der Ukraine-Kriegs nutzen will, so steht er zugleich doch im Konflikt mit ihr, weil die polnische Regierung nach Ansicht der Brüsseler Beamten die Unabhängigkeit der Justiz im Land untergraben will. Die Geldstrafen häufen sich, und Brüssel hält wegen des Streits Gelder zur Bekämpfung des Coronavirus zurück.

Gleichzeitig steht Polen im Hinblick auf den Ukraine-Krieg im Konflikt mit Ungarn, seinem engsten Verbündeten und Mitstreiter im Kampf gegen Übergriffe der EU. Auf die Frage, ob er besorgt sei, dass Budapest derzeit zu russlandfreundlich sei, antwortete der Premierminister sofort mit einem "Ja". Das bedeute aber nicht, dass man sich auseinander entwickle. "Bei allem anderen sind wir gleichgesinnte Länder", so Morawiecki.


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Fundamentale Aktienanalyse - so bewertet man Wertpapiere richtig
18.03.2024

Die fundamentale Aktienanalyse ist ein unverzichtbares Instrument für jeden Investor, der Wertpapiere nicht nur verstehen, sondern auch...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Umfrage: Sehr viele Deutsche sorgen sich vor weiteren Energiepreissprüngen
18.03.2024

Die Menschen in Deutschland haben einer Umfrage zufolge Sorgen vor weiteren Energiesprüngen und allgemeinen Preissteigerungen - trotz der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Airbus-Jubiläum: 50 Jahre Linienflüge im Airbus - Boeing hat Wettkampf quasi verloren
18.03.2024

Kein Hersteller baut so gute und so viele Flugzeuge wie Airbus. Eine Erfolgsgeschichte, an die sich Frankreich und Deutschland gerade in...

DWN
Finanzen
Finanzen Bankenaufsicht: Mehrzahl der Geldinstitute kann kräftigen Gegenwind überstehen
18.03.2024

In Deutschland und Europa ist das Gros der Geldhäuser gut kapitalisiert. Die Krise an den Märkten für Büro- und Handelsimmobilien...

DWN
Technologie
Technologie Verhandelt Apple mit Google über KI-Technologie?
18.03.2024

Gibt es bald Googles KI auf Apples iPhones? Laut gut informierten Kreisen verhandelt Apple angeblich mit Google über die Integration von...

DWN
Panorama
Panorama ifo-Institut und EconPol Europe: Wirtschaftsforscher fordern mehr Energie-Zusammenarbeit in Europa
18.03.2024

Wirtschaftswissenschaftler appellieren an die EU, im Zusammenhang mit ihrer Energiepolitik aus der aktuellen Energiekrise zu lernen und mit...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeiten ohne Grenzen: Was beim Homeoffice im Ausland zu beachten ist
18.03.2024

Arbeiten über Grenzen hinweg: Ein Trend, der immer beliebter wird - und große Chancen bietet, wenn Sie steuer- und...

DWN
Technologie
Technologie Patentamt: Deutsche Industrie macht Tempo bei KI-Entwicklung
18.03.2024

Vom Patentamt kommen gute Nachrichten: Industrie und Wissenschaft in Deutschland machen in Forschung und Entwicklung deutlich mehr Tempo...