Politik

Nato schickt bis zu 300.000 Soldaten an Grenze zu Russland

In den kommenden Monaten will die Nato bis zu 300.000 Soldaten an der Grenze zu Russland stationieren. Doch dies ist mit hohen Kosten für die Mitgliedsstaaten verbunden.
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25.03.2023 09:06
Aktualisiert: 25.03.2023 09:06
Lesezeit: 3 min
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In den kommenden Monaten wird die Nato ihre Bemühungen zur Aufrüstung entlang der Ostgrenze des Bündnisses beschleunigen. Dabei muss sie die ihre Mitgliedsstaaten Staaten überzeugen, Soldaten, Ausbildung, bessere Infrastruktur und große Mengen an teuren Waffen, Ausrüstung und Munition beizusteuern.

Da aber die Nato-Staaten bereits um ihre eigenen Munitionsvorräte besorgt sind und zudem die Ukraine mehr Granaten und Waffen von den Verbündeten angefordert hat, besteht die offenbar Gefahr, dass nicht alle Nato-Mitglieder ihre Zusagen einhalten und sich an den neuen Plänen des Bündnisses beteiligen werden.

"Wenn es keinen Gastgeber gibt, der allen vorschreibt, was sie mitbringen sollen, dann würde jeder Kartoffelchips mitbringen, denn Kartoffelchips sind billig und leicht zu bekommen", zitiert Politico dazu Jim Townsend, einen ehemaligen hochrangigen Beamten im US-Verteidigungsministerium.

Schon in der Vergangenheit hat die Nato die Beiträge ihrer Mitglieder als zu niedrig kritisiert. Doch derzeit könnte der Mangel zu einem dauerhaften Problem für das Bündnis werden könnte, auch weil die Aufstockung der für den Ukraine-Krieg geplünderten Bestände viel Zeit in Anspruch nehmen wird.

Die militärischen Führer der Nato werden in diesem Frühjahr aktualisierte regionale Verteidigungspläne vorlegen. Offizielle Stellen sprechen dabei von bis zu 300.000 Nato-Soldaten, die für die Umsetzung des neuen Modells erforderlich seien.

Eine erste Stufe könnte aus etwa 100.000 Soldaten bestehen, die innerhalb von zehn Tagen verlegt werden können. Sie könnte aus Polen, Norwegen und den baltischen Staaten (Estland, Lettland und Litauen) stammen, zitiert Politico den ehemaligen stellvertretenden Nato-Generalsekretär Heinrich Brauß. Sie könnten auch multinationale Gefechtsverbände umfassen, die das Bündnis bereits an der Ostflanke aufgestellt hat.

Eine zweite Schicht von Truppen würde dann diese Soldaten unterstützen und innerhalb von 10 bis 30 Tagen aus Ländern wie Deutschland verlegt werden können. Aber der Prozess könnte schwierig werden. Einige Streitkräfte werden die Rekrutierung verstärken müssen. Viele Mitgliedsstaaten werden ihre Verteidigungsausgaben erhöhen müssen. Und alle werden mehr Waffen, Munition und Ausrüstung kaufen müssen.

Nato-Staaten nicht bereit für einen Krieg

"Ein Artilleriebataillon muss zu Planungszwecken X Schuss pro Jahr abfeuern, um sein Leistungsniveau aufrechtzuerhalten", zitiert Politico Ben Hodges, den ehemaligen Befehlshaber der U.S. Army Europe. Ein Panzerbataillon müsse Ziele treffen, auf verschiedene Situationen reagieren und "seine Fähigkeiten bei Tag und Nacht unter Beweis stellen, indem es Ziele trifft, die sich bewegen". Das alles sei eine große Herausforderung.

Hodges verweist auf den Bedarf an Übungsplätzen und Munition sowie auf die Aufrechterhaltung der Fähigkeiten, wenn sich das Personal im Laufe der Zeit ändert. "Das braucht natürlich Zeit und ist auch teuer." Und dies setze voraus, dass die Länder überhaupt Unternehmen finden können, die schnell Munition in entsprechender Qualität herstellen können.

"Wir haben dazu tendiert, Munition auf Sparflamme zu horten [...] das ist einfach völlig unzureichend", sagt auch Stacie Pettyjohn, Direktorin des Verteidigungsprogramms am Center for a New American Security. "Ich denke, dass die Probleme, die unsere Nato-Verbündeten haben, noch akuter sind, weil viele von ihnen sich oft auf die USA als eine Art Rückhalt verlassen haben."

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat wiederholt erklärt, dass die Verbündeten in den letzten Monaten die Produktion intensiviert haben und dass das Bündnis an neuen Anforderungen für die Munitionsbestände arbeitet. Aber Anfang März hat er das selbst Problem eingeräumt: "Die derzeitige Verbrauchsrate im Vergleich zur derzeitigen Produktionsrate von Munition ist nicht tragbar."

Sobald die militärischen Pläne der Nato fertiggestellt sind, werden die Staaten aufgefordert, sich einzubringen - und schließlich Truppen, Flugzeuge, Schiffe und Panzer für verschiedene Teile der Pläne zur Verfügung zu stellen. Ein Test für die Nato wird diesen Sommer stattfinden, wenn die Staats- und Regierungschefs der 30 Mitgliedsländer des Bündnisses in Litauen zusammenkommen.

"Wir fragen die Staaten - auf der Grundlage der Erkenntnisse, die wir aus unseren drei regionalen Plänen gewonnen haben - was wir brauchen, um diese Pläne ... durchführbar zu machen", sagte ein hochrangiger Nato-Beamter zu Politico, der unter der Bedingung der Anonymität über die sensible Planung sprach. "Ich denke, das Schwierigste ist die Beschaffung."

Nato im Stresstest

Einige Verbündete haben bereits eingeräumt, dass zur Deckung des Bedarfs der Nato weitaus mehr Investitionen erforderlich sind. "Es braucht mehr Tempo. Ob bei Material, Personal oder Infrastruktur, es braucht in dieser Legislaturperiode eine echte, in der Truppe spürbare Wende, sonst war’s das mit der Zeitenwende.", sagte Oberst André Wüstner, der Chef des unabhängigen Bundeswehrverbandes, gegenüber der Bild am Sonntag.

Wüstner zufolge war die Bundeswehr schon zu Beginn des Kriegs in der Ukraine nicht voll einsatzfähig und abwehrbereit. "Aktuell erfüllt sie die zugewiesenen Aufträge, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was wir in die Nato künftig einbringen müssen. Durch die vielen und richtigen Materiallieferungen an die Ukraine sind weitere Lücken entstanden."

Und obwohl die Bundesregierung über einen viel gepriesenen Modernisierungsfonds in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung des deutschen Militärs verfügt, wurde bisher kein einziger Cent davon ausgegeben, sagte letzte Woche die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Eva Högl. "Die Bundeswehr hat von allem zu wenig", sagte sie.

Im Jahr 2014 verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs der Nato, innerhalb eines Jahrzehnts 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben. Auf dem Gipfel in Vilnius im Juli werden die Staats- und Regierungschefs über ein neues Ziel entscheiden müssen. Zwei Prozent werde derzeit als Untergrenze diskutiert, sagte ein hochrangiger Nato-Beamter, gab aber zu bedenken, "dass 2 Prozent nicht für alle ausreichen würden".

Eine entscheidende Frage ist auch die Ausgewogenheit der Beiträge. Beamte gehen davon aus, dass an der Ostgrenze der Großteil der Truppen mit hoher Bereitschaft von den europäischen Verbündeten gestellt wird. Das bedeutet jedoch, dass die europäischen Staaten ihren Beitrag leisten müssten, während die USA sich stärker China zuwenden wollen. Die Nato befinde sich "mitten in einem Stresstest", so Townsend.

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