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Keine Nachfolge, kein Mittelstand: Unternehmer finden niemanden, der übernimmt

Lesezeit: 4 min
10.04.2023 10:00
Jahrzehnte lang war der Mittelstand tragende Säule des Wohlstands im Land und zugleich Innovations-, Technologie- und Wirtschaftsmotor. Doch die Zahl der Neugründungen ist seit Jahren rückläufig. Gleichzeitig verschärft sich durch den demografischen Wandel die Nachfolgeproblematik.
Keine Nachfolge, kein Mittelstand: Unternehmer finden niemanden, der übernimmt
Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, spricht beim Zukunftstag Mittelstand, dem Kongress und Jahresempfang 2023 des Bundesverbandes Der Mittelstand (BVMW). (Foto: dpa)
Foto: Bernd von Jutrczenka

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Dem deutschen Mittelstand geht es schlecht. Akuter Fachkräftemangel, hohe Steuer-, Abgabelasten und Arbeitskosten sowie bürokratische Hürden sind nur einige der Faktoren, die den kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) in Deutschland zu schaffen machen. Und dass, obwohl laut dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) über 60 Prozent der Arbeitsplätze und mehr als die Hälfte der Nettowertschöpfung auf KMU entfallen. Bis zum Ende des Jahres 2025 streben laut KFW-Research 16 % der KMU eine Nachfolgelösung an. Dies entspricht ungefähr 600.000 betroffene Unternehmen.

Laut Oliver Ferber, Geschäftsführer AVESTIO Nachfolgepartner, ist dabei in weiten Teilen der Gesellschaft, auch im deutschen Mittelstand, noch kein ausreichendes Bewusstsein für das Thema Unternehmensnachfolge vorhanden, „weder für die Dringlichkeit noch für die Offenheit gegenüber allen möglichen Lösungen, gerade mit Blick auf Diversity“, betont er. Deshalb hält er die Aussage, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland die Nachfolgesituation verändert hätte, nicht für belegbar und in den meisten Fällen für „einen Vorwand ungelöster oder gescheiterter Nachfolgesituationen“. Bernhard Kluge, Geschäftsführender Gesellschafter, COVENDIT GmbH, ist der Meinung, dass die Krisenphasen „bei gut -prozessual- aufgestellten Unternehmen die Nachfolgesituation sogar im Positiven befördert hat“.

Fakt bleibt, dass dreiviertel der KMU ein Problem haben, einen geeigneten Nachfolger oder eine geeignete Nachfolgerin zu finden. Insbesondere wenn eine externe Nachfolgelösung angestrebt wird. Der Anteil älterer Inhaber und Inhaberinnen von kleinen und mittleren Betrieben (KMU) wächst kontinuierlich, ohne dass die Unternehmen zur Geschäftsübergabe vorbereitet sind. In der Regel sind typischer Übergeber 66 Jahre alt.

Roman Wolkowski, Partner at Capstan Capitel, beobachtet aktuell zwei verschiedene Entwicklungen. Auf der einen Seite, ein verhaltenes Abwarten der Betriebe auf Entspannung des Marktes und die Möglichkeit, wieder höhere Verkaufspreise realisieren zu können. Denn durch die Situation sind Lieferketten unter Druck geraten und durch die Energiekrise die Materialkosten gestiegen. Auf der anderen Seite führt die turbulente und weniger verlässliche wirtschaftliche Lage dazu, die Intention zur Unternehmensnachfolge und den Verkauf zu forcieren.

Die Baby-Boomer können nicht in den Ruhestand

Bereits 2016 fanden laut einer Umfrage des DIHK 3.000 KMUs keinen Nachfolger für ihr Unternehmen. Bis 2025 drohen laut der KfW 125.000 KMU eine unfreiwillige Stilllegung. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Kleinstunternehmen mit weniger als fünf Beschäftigte, so Tim Richter von der gleichnamigen Unternehmensberatung.

Die Übergabe eines Unternehmens ist kein Unterfangen, welches in wenigen Wochen abgewickelt werden kann. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) empfiehlt, spätestens drei Jahre vor der gewünschten Übergabe mit der konkreten Planung und Suche nach geeigneten Nachfolgern und Nachfolgerinnen zu beginnen. Die Corona-Krise hat dieses vorgesehene Zeitfenster noch einmal verlängert, denn der Lockdown 2020 bremste viele Vorhaben aus. Geplante Verkäufe wurde erstmal auf unbestimmte Zeit verschoben, einige Unternehmen haben die Corona-Krise nicht überstanden.

Hauptsächlich mangelt es an Nachwuchs. Die Demographie zeigt es sehr deutlich: Die geburtenstarke Baby-Boomer-Generation tritt so langsam in den Ruhestand ein. Kein Wunder, dass die Zahl mit älteren Inhabern seit geraumer Zeit stetig steigt. Gegenwärtig sind rund 28 Prozent der Unternehmerschaft 60 Jahre oder älter. Demzufolge ist der Anteil junger Gründer unter 40 Jahren deutlich zurückgegangen. Hinzu kommt ein seit Jahren geringes Gründungsinteresse laut der KfW. Viele scheuen das finanzielle Risiko und die Haftbarkeit, welches freies Unternehmertum mit sich bringt. In Zeiten turbulenter und konjunktureller Unsicherheiten werden sichere Beschäftigungsmöglichkeiten der Selbstständigkeit vorgezogen. So erklärt sich auch der spürbare Rückgang der Übernahmen von Gewerbebetrieben in den letzten zwei Jahren. Dennoch scheint auch hier ein wenig Licht am Ende des Tunnels.

Generationenwechsel im Mittelstand nach Corona

Die jüngsten Daten des KfW-Mittelstandspanel machen ein wenig Hoffnung. Sie zeigen, dass ein deutlich gestiegener Anteil (57%) der mittelständischen Unternehmen und Unternehmerinnen sich wieder mehr, den Rückzugs- oder Nachfolgepläne widmen, wie zuletzt vor der Krise in den Jahren 2017-2019. Ein Anstieg der Übernahmegründungen lässt sich dennoch nicht absehen, wie die amtliche Statistik der Gewerbeanzeigen erfasst. Die Zahl der Übernahmen bestehender Gewerbe bleibt rückläufig.

Ein Grund könnte darin liegen, dass jüngere Gründer es vorziehen ein eigenes Unternehmen zu starten, anstatt ein bestehendes zu übernehmen. Auch bevorzugen 53 Prozent der Unternehmer und Unternehmerinnen in Deutschland lieber die familieninterne Unternehmensnachfolge. Im Zuge der Corona-Krise ist der Anteil realisierter, familieninterner Übergaben sogar gestiegen. Erschwert wird die Suche nach Nachfolgenden durch die Frage, wie beide Seiten zusammengebracht werden sollen. Es mangelt an Ansprechpartner und überregionalen Netzwerken. 2021 planten laut KfW rund 14 Prozent der Mittelständler deshalb eine definitive Stilllegung ihres Unternehmens ein. Nachfolgebörsen wie „nexxt-change“ des BMWi lösen zwar nicht die bürokratischen Übernahmehürden, können aber dabei helfen die Unternehmensnachfolge zu sichern, indem Käufer und Unternehmer zusammengebracht werden.

Das Ausmaß der wahrgenommenen Belastungen reicht von der Suche nach einem geeigneten Nachfolger oder Nachfolgerin bis zu rechtlichen und bürokratischen Stolpersteinen. Ein weiteres, häufiges Problem ist die Findung eines konsensfähigen Kaufpreises und die Sicherstellung der Finanzierung seitens der Übernehmer.

Die Politik muss die Weichen für die KMUs neu ausrichten

Die Hürden der Unternehmensnachfolge sind hoch. Ordnungspolitische Rahmenbedingungen müssen dahingehend weiterentwickelt werden, dass es den Unternehmen ermöglicht wird konkurrenzfähig zu bleiben. Zur Stärkung des Mittelstandes gehört eine schlanke Bürokratie, eine Reformierung der Unternehmenssteuern und eine Erleichterung der Finanzierung für Gründer. Gerade bei kleineren Unternehmen erhöht der bürokratische Aufwand die Ausgaben der Fixkosten enorm. So entfallen in einem kleinen Unternehmen mit circa 125 Beschäftigen rund 3 Prozent des Umsatzes auf die Kosten von bürokratischen Pflichten. Bei größeren Unternehmen mit 3.500 Beschäftigten sind es laut dem Institut für Mittelstandsforschung (IfM) nur gut ein Prozent.

Hier ist die Politik gefragt in Zukunft die Bürokratiehürden weiter abzubauen, um damit vor allem die kleineren Unternehmen zu entlasten. Der BVMW fordert aufgrund des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangel eine Beschleunigung bei der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Das Rad müsse dafür nicht extra neu erfunden werden. Ein Punktesystem nach dem Vorbild von Kanada oder Australien erfolgreicher Einwanderungsländer wäre hilfreich. Und das ist bei weitem noch nicht alles. Gefordert werden darüber hinaus die Einrichtung einer bundesweiten Forschungsguide-Plattform und Transferagentur, um das Wissen der Universitäten und Forschungseinrichtungen besser im Mittelstand ankommen zu lassen. Breitbandnetz, IT-Sicherheit und 5G sind weitere Themen, die Unternehmen maßgeblich betreffen. Oliver Ferber sieht auch Nachbesserungsbedarf bei den Themen „Vereinbarkeit von Familie & Beruf“, „anpassbare Arbeitszeitmodell“, „Remote-Working“, im Hinblick auf die Möglichkeiten in einer modernen, internationalen Gesellschaft.

Das Thema Nachfolge sollte, so Ferber, langfristig direkt nach dem Thema Klimaschutz in der Politik folgen. Eine mittelstandsorientierte Wirtschaftspolitik sollte die Gründungskultur und Nachfolgepolitik stärken. Zumal, wie Kluge richtig beurteilt, letztere eine hoch emotionale Angelegenheit ist. „Nachfolge, interne wie externe, muss attraktiver werden und als relevante Alternative zur (Neu-) Gründung in Frage kommen“, so Kluge.

 

***

Sofia Delgado ist freie Journalistin und arbeitet seit 2021 in Stuttgart, nachdem sie viereinhalb Jahre lang in Peking gelebt hat. Sie widmet sich gesellschaftskritischen Themen und schreibt für verschiedene Auftraggeber. Persönlich priorisiert sie die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als dringendste Herausforderung für die Menschheit.

 


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