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Das perfekte Eigentor: Gewerkschaften machen Arbeitnehmer arm

Lesezeit: 6 min
01.04.2023 09:07  Aktualisiert: 01.04.2023 09:07
„Was die Gewerkschaften derzeit betreiben, in Frankreich und in Deutschland, schadet den vermeintlich vertretenen Arbeitnehmern enorm“, schreibt DWN-Kolumnist Ronald Barazon.
Das perfekte Eigentor: Gewerkschaften machen Arbeitnehmer arm
Mehr Schaden als Nutzen? Kundgebung der Gewerkschaft EVG Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft diese Woche vor dem Hauptbahnhof in Duisburg. (Foto: dpa)
Foto: Christoph Reichwein

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Die Gewerkschafter fühlen sich in ihrem Element. Endlich gibt es wieder einen richtigen Klassenkampf, man kann es denen da oben, den Reichen, den Mächtigen zeigen und rufen „Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will“. Die Freude beschränkt sich nicht auf den Kampf. Man bringt schließlich reiche Ernte nach Hause, 8 Prozent Lohnerhöhung, nein, 10 und 12 Prozent und in manchen Details sogar 20 Prozent. Seht doch, wie gut es ist, dass es die Gewerkschaft gibt. Womit das einzig richtige in der vielstimmigen Produktion von Parolen gesagt ist: Es ist ohne Zweifel gut, dass es die Gewerkschaft gibt, weil Arbeitnehmer eine Vertretung brauchen. Nur: Was die Gewerkschaften derzeit betreiben, in Frankreich und in Deutschland, schadet den vermeintlich vertretenen Arbeitnehmern enorm.

Es wird keine Lohn-Preis-Spirale geben! Was sonst?

Besonders augenfällig ist das Eigentor in Deutschland. Lohnerhöhungen um 8 bis 12 Prozent wird heuer kein Betrieb erwirtschaften und auch der Arbeitgeber Staat rechnet nicht mit einem so üppigen Steueraufkommen, dass er die höheren Bezüge locker aus der Staatskasse zahlen könnte. Also werden die Unternehmen die höheren Kosten auf die Preise überwälzen, der Staat wird die ohnehin zu hohen Steuern erhöhen und die Beiträge zur Sozialversicherung werden folgen. Skurril ist die in diesen Tagen oft gehörte Behauptung, es werde keine Lohn-Preis-Spirale geben. Was sonst? Die Wirtschaft wird heuer kaum wachsen und woher soll das viele Geld kommen? Na klar, von den Reichen, von denen da oben.

Der Glaube an die Existenz einer Obrigkeit, die alle beglücken kann

Hier manifestiert sich im Jahr 2023 der seit Urzeiten gewachsene Autoritarismus. Es gibt vermeintlich immer und überall eine höhere Stelle, die in der Lage wäre, wenn sie nur will, alle glücklich zu machen. Das erwarten Kinder von den Eltern, Bürger vom Staat, Arbeitnehmer von den Betrieben, Vereinsmitglieder von ihrem Obmann oder ihrer Obfrau, Gläubige von Gott. Und, wenn gar nichts hilft, dann plündern wir die Reichen und verteilen das Geld unter den Armen. Die Eltern sind bald überfordert, der Staat ebenso, die Betriebe können nur verteilen, was sie verdienen, und bei Gott hilft nur das Motto „Hilf‘ Dir selbst, dann hilft Dir Gott“. Auch der letzte Schlachtruf der Klassenkämpfer geht ins Leere. Die immer wieder strapazierten Reichen haben das Geld nicht in Truhen, aus denen sie Münzen holen könnten, sondern in Firmen und anderen Vermögenswerten, die man zwar vernichten und verteilen kann, aber jeweils nur ein Mal, anschließend bleiben nur Scherben.

Wir leben nicht im Märchen und kein Prinz erlöst das Aschenputtel. Die gar nicht märchenhafte Tatsache ist, dass in einer entwickelten Volkswirtschaft alle verdienen, alle konsumieren, alle Steuern und Abgaben zahlen und alle gemeinsam auch sämtliche Kosten tragen. Wir befinden uns erfreulicher Weise nicht mehr in einer Gesellschaft, in der wenige Reiche viele Arme beschäftigen.

Der Weg in die Vernichtung von Arbeitsplätzen

Wenn sämtliche Experten für heuer in Deutschland ein Wachstum zwischen plus 0,5 und minus 0,5 Prozent erwarten, ist es schlichtweg unsinnig, Lohnerhöhungen um durchschnittlich 10 Prozent zu erkämpfen. Die Konsequenzen sind doch längst bekannt: Die höheren Löhne sind nicht durch Gewinne gedeckt, müssen folglich in den Preisen untergebracht werden. Nachdem dies in einer Stagnation nur schwer möglich ist, wird der Rotstift brutal angesetzt und jedem Arbeitnehmer, jeder Arbeitnehmerin, die nicht unbedingt gebraucht wird, gekündigt. Jede Kündigungswelle verringert die Kaufkraft und folglich die Umsätze, wodurch weitere Unternehmen in Schwierigkeiten kommen. Diese Faktoren hatten die gut geschulten Arbeitnehmervertreter doch schon längst gelernt! Wieso ist das alles derzeit vergessen?

Weil die derzeit aktiven Arbeitnehmer die Zusammenhänge nicht sehen wollen. Man schätzt hingegen die Gelegenheit, bei einer seit langem nicht gekannten Inflation die verblassende Bedeutung der Gewerkschaften aufpolieren zu können. Dabei wirken jetzt nicht nur die aufgezeigten Faktoren.

Über die aktuellen Preise werden die Corona-Förderungen zurückgezahlt

Die aktuelle Teuerungswelle ist nicht primär von gierigen Unternehmern ausgelöst, die einfach nicht genug kriegen. Bei manchen Anbietern von knappen Waren trifft das zwar zu, doch ist die Inflation in erster Linie ein Produkt der Finanz- und Wirtschaftspolitik des Gelddruckens. Die Kurzarbeitsgelder, Umsatzstützungen, Verlustausgleiche und wie die Gaben des Staates in der Corona-Krise noch geheißen haben, wurden nicht verdient. Das hierfür notwendige Geld wurde von der Zentralbank zur Verfügung gestellt, um die Bevölkerung vor einer wirtschaftlichen Misere zu bewahren. Geld, das nicht verdient wird, entwertet das gesamte in Umlauf befindliche Geld und mündet in der Inflation.

Jetzt bleibt nichts anderes übrig, als dieses Scheingeld letztlich doch zurückzuzahlen. Und das geschieht über die Inflation, die nicht durch Lohnerhöhungen und weitere Geschenke des Staates ausgeglichen werden kann. Was jetzt betrieben wird, führt nur zum nächsten Inflationsschub, der die Lohnerhöhungen so rasch aufzehren wird, so schnell kann kein Gewerkschafter eine neue, ohnehin unerfüllbare Forderung stellen.

Was Solidarität heute in der Praxis bedeuten sollte

Jubel ist bei den Gewerkschaftern nicht angebracht. Jetzt wäre statt der Triumphparolen die Übernahme von Verantwortung am Platz. Getreu dem gewerkschaftlichen Motto der Solidarität ist jetzt ein Aufruf zum Zusammenhalt, zum Zähne zusammenbeißen angebracht: Wir müssen durch die Inflation wie durch einen dunklen Tunnel, um bald wieder das Sonnenlicht zu sehen. Über Gebühr kann man aber auch den vernünftigsten Arbeitnehmervertreter nicht strapazieren.

Und so wäre eine Formel nahe gelegen: Man geht von der Inflation im Jänner und Februar von 8,7 Prozent aus, die Teuerung im März ist in Relation zu den schon im März des Vorjahres gestiegenen Preisen gesunken, wodurch der Vergleich verfälscht wird. Eine Abgeltung der halben Inflation würde zu Lohnerhöhungen um 4,35 Prozent führen, die andere Hälfte müsste die Bevölkerung auf sich nehmen, die auch Nutznießer der Förderungswelle in der Corona-Zeit war.

Eine derartige Orientierung hätte nicht nur die Gewerkschaft, sondern auch die Bundesregierung vorgeben können. Diese war aber nur bemüht, mit weiteren Almosen wie den Energiekostenzuschüssen die verärgerten Bürger zu streicheln.

Frankreich: Die Finanzierung der Renten kürzt die Kaufkraft der Arbeitnehmer

In Frankreich richtet sich der gewerkschaftliche Kampf gegen die Anhebung des Rentenantrittsalters von 62 auf 64 Jahre und genießt dabei die Unterstützung der Bevölkerung. Die Kosten des Rentensystems lähmen die gesamte Volkswirtschaft und sollen durch den späteren Wechsel in die Rente entlastet werden. Der Protest ist schwer verständlich, weil es vor allem die Arbeitnehmer selbst sind, die höhere Steuern und Beiträge zahlen müssen und ihr eigenes Nettoeinkommen verringern, um die Renten zu finanzieren. Auch hier wird der Illusion nachgelaufen, dass irgendwo unendlich viele unendlich Reiche existieren, die den Armen das Geld nicht gönnen. Man nimmt einfach nicht zur Kenntnis, dass der Reichtum eines Landes in der Leistung der Masse der Arbeitnehmer besteht. Es gibt nur wenige Reiche, diese zahlen zudem Steuern. Eine Anhebung der ohnehin hohen Steuern dient zwar der Befriedigung des weit verbreiteten Neids und verbessert vielleicht das soziale Klima, löst aber kein Problem der Arbeitnehmer oder der gesamten Volkswirtschaft.

Frankreich ruiniert sich selbst und gefährdet die EU

Nachdem die üppigen Sozialleistungen nicht erwirtschaftet werden, muss der Staat immer höhere Schulden aufnehmen. Das Jahresdefizit bewegte sich vor der Corona Krise in der Größenordnung von 60 Mrd. Euro, jetzt frisst das jährliche Loch in der Staatskasse 150 Mrd. Euro. Der Schuldenberg erreicht bereits knapp 3.000 Milliarden und ist somit größer als die jährliche Wirtschaftsleistung von etwa 2.500 Milliarden. Als EU-Mitglied ist man nicht allein unterwegs, die Schulden aller Mitglieder belasten alle Mitgliedstaaten. Frankreich, das sich stolz die zweitstärkste Volkswirtschaft der EU und die siebte der Welt nennt, muss bereits als finanzmarod bezeichnet werden und sich einen Vergleich mit dem ständig im Fokus der Kritik stehenden Italien gefallen lassen.

Es gelingt nicht, der Bevölkerung die Zusammenhänge klarzumachen

Und all das, weil die Franzosen nur bis zum 62. Lebensjahr arbeiten, ihren Lebensabend dann im Schnitt zwanzig Jahre lang genießen und dabei die im EU-Vergleich höchsten Renten kassieren. Mit zusätzlichen zwei Arbeitsjahren käme eine Wirtschaftsleistung von sehr vorsichtig geschätzt 80 Mrd. Euro zustande. Damit nicht genug, der Jahresaufwand des Pensionssystems von derzeit 330 Mrd. Euro würde sich spürbar verringern. Frankreich könnte die Klammer der Schuldenfalle lockern und das Rentenantrittsalter wäre immer noch niedrig.

Es gelingt seit langem keiner Regierung, diese Zusammenhänge zu kommunizieren. Somit ist auch nicht davon zu träumen, dass die Bevölkerung die weiter gehenden, dramatischen Konsequenzen zur Kenntnis nimmt. Die hohen Steuern, Abgaben und die letztlich zu finanzierenden Staatsschulden schränken den Spielraum für Investitionen ein und behindern die wirtschaftliche Entwicklung. Im Endeffekt wird mit den heute bezahlten Sozialleistungen die eigene Zukunft aufgezehrt.

Die Anhebung des Renteneintrittsalters hat nun Präsident Emmanuel Macron gegen den Widerstand auf den Straßen und auch im Parlament durchgesetzt. Ob diese Korrektur halten wird, bleibt abzuwarten, da auch schon frühere Präsidenten Rentenreformen beschlossen haben, die nicht oder nur in Teilen überlebt haben.

Der gesetzliche Mindestlohn treibt die Personalkosten in die Höhe

Auffällig ist, dass der in Deutschland dominierende Kampf um höhere Löhne nicht im Vordergrund steht. Das hat seine Ursache in einem weiteren Element des französischen Sozialstaats. Im Zentrum steht der gesetzlich verankerte Mindestlohn SMIC, der zum 1. Januar 2023 mit netto 1.353 Euro im Monat fixiert wurde. Auch hier leistet sich Frankreich eine Einrichtung, die außerordentlich problematisch ist. Zum ersten ergeben 1.353 Euro einen durchaus respektablen Betrag. Außerdem wird jede sonstige Entlohnung in Relation zum SMIC gesehen, sodass der Mindestlohn die anderen Beträge treibt und die Flexibilität der Personalkosten stark einschränkt.

Man ist als Franzose mit einem Mindestlohn und einer Rente gut abgesichert. Auch der Kündigungsschutz ist trotz Korrekturen immer noch gut ausgebaut. Dieses vehement verteidigte Sozialparadies ist nicht leistbar und so ist nicht nur die Wirtschaftsleistung pro Kopf deutlich geringer als etwa in Deutschland, die Arbeitslosenrate liegt über 7 Prozent, in Deutschland bei 3 Prozent. Aber auch hier haben die Gewerkschafter vorgesorgt und großzügige Arbeitslosengelder durchgesetzt: Mindestens werden 900 Euro bezahlt, allerdings steigt das Arbeitslosengeld bis zur phantastischen Höhe von 8.000 Euro im Monat, allerdings nur, wenn man früher entsprechend verdient hat.

Das Sprichwort „Leben wie Gott in Frankreich“ hat schon seine Berechtigung.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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