In Paris haben erneut Tausende gegen die beschlossene Rentenreform der Regierung demonstriert. Demonstranten versammelten sich am Dienstagabend am Place de la République. Medien berichteten von einer aufgeheizten Stimmung. Die Polizei sagte der Zeitung „Le Parisien“, Demonstrierende hätten Einsatzkräfte angegriffen. Die Polizei reagierte mit Dutzenden Festnahmen.
Die Feuerwehr musste in einigen Prachtalleen der Hauptstadt mehrere in Brand gesetzte Müllhaufen löschen, die sich nach tagelangen Streiks der Stadtreinigung angesammelt hatten. Auch in anderen Orten kam es zu Ausschreitungen. Das Fernsehen zeigte Aufnahmen von Beamten, die Tränengas einsetzten, und von Polizisten, die nach Demonstranten schlugen.
Proteste gegen Erhöhung des Renteneintrittsalters
Seit Tagen gehen in Frankreich allabendlich Menschen auf die Straße, um gegen die Rentenreform und das harte Durchgreifen der Regierung im Gesetzgebungsprozess zu protestieren. Am vergangenen Donnerstag hatte die Regierung in letzter Minute entschieden, das Vorhaben ohne Abstimmung durch die Nationalversammlung zu drücken. Mit dem Scheitern zweier Misstrauensanträge am Montagabend ist die Reform offiziell verabschiedet. Bei den spontanen Demonstrationen kam es immer wieder zu Ausschreitungen.
Um die drohende Lücke in der Rentenkasse zu schließen, will Frankreichs Mitte-Regierung unter Präsident Emmanuel Macron das Renteneintrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre anheben. Derzeit liegt das Renteneintrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt aber später: Wer für eine volle Rente nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger.
Mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Rente ohne Abschlag – dies will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahljahre für eine volle Rente schneller steigen soll. Die monatliche Mindestrente will sie auf etwa 1200 Euro hochsetzen. Seit Wochen gibt es in Frankreich immer wieder Streiks und heftige Proteste gegen die Reform. Auch am Donnerstag ist ein weiterer Aktionstag geplant.
Regierung zwingt Raffinerie-Personal zur Arbeit
Nach tagelangen Streiks in der Ölindustrie griff die Regierung hart durch. Für die Esso-Raffinerie im südfranzösischen Fos-sur-Mer würden Mitarbeiter zur Wiederaufnahme des Betriebs verpflichtet, teilte die Regierung am Dienstag mit. Nach der Anordnung kam es an der Anlage rund 50 Kilometer nordwestlich von Marseille zu Rangeleien. Dabei wurden nach Behördenangaben drei Polizisten verletzt.
Auf Bildern des Senders BMF TV war zu sehen, wie Demonstranten Polizisten mit Gegenständen bewarfen. Die Raffinerie war in Schwaden von Tränengas gehüllt. Die Streiks beeinträchtigen die Produktion und Lieferung von Treibstoff. Das Energieministerium teilte mit, bereits seit Anfang März würden gezielt strategische Reserven angezapft.
Die Anordnung für Fos-sur-Mer gelte nach Bedarf 48 Stunden lang, erklärte das Energieministerium mit. Pro Schicht müssten drei Mitarbeiter antreten. Die Tankstellen verfügten zwar generell landesweit über ausreichend Kraftstoff, sagte Ressortchefin Agnes Pannier-Runacher. Im Süden beginne es aber in einigen Regionen knapp zu werden. Einzelheiten zu Versorgungsengpässen wollte die Ministerin nicht nennen. Sie verwies darauf, dass Informationen zu strategischen Vorräten vertraulich seien.
Die Raffinerie von TotalEnergies in der Normandie werde am Dienstag geschlossen, teilte das Unternehmen mit. Grund sei der Streik, der inzwischen seit gut zwei Wochen andauert. Laut Gewerkschaften führten Ausstände in Kraftwerken dazu, dass die Stromproduktion um 15,6 Gigawatt gedrosselt werden musste. Daten des Netzbetreibers RTE zufolge entsprach das 28 Prozent der französischen Stromversorgung. Allerdings exportierte Frankreich demnach weiterhin 1,6 Gigawatt in Nachbarländer. Die Nachfrage im Inland dürfte also weiterhin gedeckt sein.
Misstrauensvotum gegen Macron knapp gescheitert
Die französische Regierung hat ein Misstrauensvotum im Zusammenhang mit der umstrittenen Rentenreform knapp überstanden. Nach ersten Angaben stimmten am Montagabend 278 Abgeordnete der Nationalversammlung für die Vorlage und damit neun weniger als nötig gewesen wären. Ein zweiter Antrag der Rechten galt damit als chancenlos. Ein Sturz der Regierung hätte auch das Aus für die Reform bedeutet, die Ministerpräsidentin Elisabeth Borne unter Umgehung des Parlaments durchgebracht hatte.
Zwar hatte der Senat grünes Licht für Macrons Schlüsselprojekt gegeben. In der Nationalversammlung – dem Parlament – galt jedoch ein Scheitern als wahrscheinlich, weil die Regierung auf Stimmen aus dem Lager der konservativen Republikaner (LR) und Zentristen angewiesen ist und sich deren Unterstützung nicht sicher sein konnte. Die Aktivierung des Artikels 49.3 Mitte März führte zu chaotischen Szenen im Parlament. Experten sprachen unmittelbar im Anschluss an die Entscheidung von einem Pyrrhus-Sieg.
Macron bleibt weiterhin in der Bredouille
Experten zufolge droht Ministerpräsidentin Borne und Präsident Emmanuel Macron jedoch weiter politisches Ungemach: Die Oppositionsparteien wollen die Verfassungskonformität der Reform prüfen lassen, zudem sollen die landesweiten Proteste fortgesetzt werden. „Wir sehen uns am Donnerstag wieder“, erklärte eine Vertreterin der linken Gewerkschaft CGT bei einer Demonstration in Paris.
Auch kurz vor Abstimmung hatten Beobachter erklärt, bei einer nur knappen Mehrheit sei Macron in der Bredouille. „Die Regierung würde im Amt bleiben, obwohl sie erheblich geschwächt wäre“, schrieb die Bank Barclays in einem Memo. Die Proteste gegen die Reform würden wohl noch Wochen andauern und die Wirtschaft belasten. Einer Meinungsumfrage des Instituts Elabe zufolge wünschen sich etwa zwei Drittel der Befragten das Aus der Regierung.
Andere Umfragen zeigen, dass Macrons Popularität auf den niedrigsten Stand seit den „Gelbwesten“-Protesten gefallen ist. Diese hatten 2018/2019 als Protest gegen höhere Benzinsteuern begonnen und entwickelten sich dann zu einer breiten Ablehnung der Politik Macrons. Dessen Amtszeit geht bis 2027.