Politik

Im Nahen Osten finden tektonische Macht-Verschiebungen statt – mit Folgen für die ganze Welt

Lesezeit: 3 min
19.04.2023 09:00  Aktualisiert: 19.04.2023 09:39
Der Nahe Osten ist in Bewegung geraten, die Machtachsen verschieben sich. Die Folgen dürften weltweit spürbar sein.
Im Nahen Osten finden tektonische Macht-Verschiebungen statt – mit Folgen für die ganze Welt
Syriens Präsident Assad. Der Nahe Osten ist in Bewegung geraten. (Foto: dpa)
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Im Nahen Osten verschieben sich die diplomatischen, politischen und wirtschaftlichen Machtachsen – mit weitreichenden Auswirkungen.

Iran lädt saudischen König ein

Irans Staatsführung hat im Zuge der Annäherung an den regionalen Rivalen Saudi-Arabien dessen König Salman eingeladen. Das sagte Außenamtssprecher Nasser Kanaani am Montag in Teheran, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet. Auch eine zuvor vom Königreich verschickte Einladung an Irans Präsidenten Ebrahim Raisi sei angenommen worden. Zum Termin der geplanten Staatsbesuche war zunächst nichts bekannt.

Der Iran und Saudi-Arabien wollen nach sieben Jahren diplomatischer Eiszeit und nach Jahren immenser Spannungen wieder bilaterale Beziehungen aufnehmen. Beide Länder ringen in der Region um politischen und militärischen Einfluss. Eine Annäherung könnte in der Region zu größeren Umbrüchen führen, darunter im Jemen, wo beide Länder rivalisierende Seiten im Stellvertreterkrieg unterstützen.

Die Annäherung zwischen Riad und Teheran ist umso bemerkenswerter, weil sie auf eine diplomatische Initiative Chinas zurückzuführen ist. Die Chinesen haben dadurch ihre Fähigkeit unterstrichen, politische Initiativen in einer Region zu lancieren, die bislang politische und militärisch von den USA dominiert wurde.

Im Rahmen eines Treffens der Außenminister beider Länder in hatten beide Seiten beschlossen, ihre Botschaften in den jeweils anderen Ländern wieder zu eröffnen. In einem Interview mit der Staatsagentur IRNA sagte Aliresa Enajati, Generaldirektor im Außenministerium für die Golfregion, eine Wiedereröffnung sei bis zum 9. Mai dieses Jahres geplant.

Syriens diplomatische Isolation endet

Auch das Verhältnis zwischen Syrien und anderen arabischen Staaten unterliegt derzeit großen Veränderungen. Die diplomatische Isolation, welche vom Westen und einigen Golfmonarchien nach dem Ausbruch der vom Ausland unterstützten Unruhen und der Niederschlagung der Proteste durch Damaskus ab dem Jahr 2011 aufgebaut wurde, bröckelt.

Im Zuge der Annäherung Syriens und Saudi-Arabiens hat der saudische Außenminister Faisal bin Farhan am Dienstag den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad besucht. Bei dem Treffen sprachen die beiden auch über eine politische Lösung für den Konflikt in Syrien, wie das saudische Außenministerium mitteilte. Dies sei auch im Interesse des Golfstaats. Eine enge Verbindung zwischen Saudi-Arabien und Syrien sei wichtig für die gesamte Region, sagte Assad nach Angaben der syrischen Nachrichtenagentur Sana.

Nach Abbruch ihrer Beziehungen verhandeln die beiden Länder seit kurzem über die Wiederaufnahme konsularischer Dienste. Syriens Außenminister Faisal al-Mikdad war bereits vergangene Woche zu Gesprächen im Golfstaat.

Es wird erwartet, dass bin Farhan den syrischen Präsidenten nach Saudi-Arabien einladen wird. Assad soll voraussichtlich nach Ende des Fastenmonats Ramadan im Golfstaat empfangen werden. Assad war das letzte Mal im Oktober 2010 zu einem offiziellen Besuch in Saudi-Arabien gewesen.

Für Syriens international isolierten Präsidenten Assad ist die Annäherung an das einflussreiche Königreich ein wichtiger politischer Erfolg. Die Erdbeben vom 6. Februar in Syrien und der Türkei hatte er zum Anlass genommen, wieder stärker in Kontakt mit seinen arabischen Nachbarn zu treten und dies öffentlichkeitswirksam zur Schau zu stellen.

Nach langer diplomatischer Eiszeit nähern sich auch Syrien und Tunesien wieder an. Der Präsident des nordafrikanischen Landes, Kais Saied, empfing am Dienstag laut Sana den syrischen Außenminister Al-Mikdad zu einem Gespräch in Tunesien.

Zuvor hatten sich syrische Regierungsbeamte mit hochrangigen Repräsentanten der Vereinigten Arabischen Emirate, der Türkei und des Oman getroffen. Auch diese drei Länder standen im syrischen Stellvertreterkrieg aus Sicht der syrischen Regierung mehr oder weniger auf der gegnerischen Seite.

China gewinnt an Bedeutung

Die politische Entspannung in der Region wird, wie bereits geschildert, aktiv von den Chinesen vorangetrieben. Möglich wurde dies, weil Peking mit allen bislang verfeindeten Seiten wirtschaftliche Kontakt aufgebaut und diese in den vergangenen Jahren deutlich verstärkt hatte.

Geostrategisch entscheidend dürfte die Frage sein, ob die betreffenden Länder ihren Handel mit Energieprodukten von US-Dollar auf andere Währungen wie etwa den chinesischen Renminbi (Yuan) oder den Dirham der Vereinigten Arabischen Emirate umstellen werden. In diesem Fall verliert der Dollar und insbesondere das dahinterstehende Petrodollar-System an Bedeutung. Dieses wiederum stellt aber eine wichtige Stütze der US-amerikanischen Machtentfaltung weltweit dar.

Berichte, wonach China und Saudi-Arabien über eine Abwicklung des bilateralen Rohölhandels in Renminbi verhandeln, sind deshalb relevant. Selbst eine teilweise Umstellung auf Yuan dürfte die chinesische Landeswährung deutlich aufwerten, weil es sich bei Saudi-Arabien um den weltweit wichtigsten Öl-Exporteur und bei China um den weltweit größten Importeur handelt. Peking verfolgt das Ziel, den Yuan zu einer weltweit akzeptierten Handels- und Reservewährung aufzuwerten.

Schon jetzt zeigt sich, dass viele Länder des Nahen Ostens inzwischen unter Berücksichtigung der USA eine autonomere Politik verfolgen. Aufhorchen ließ zuletzt eine vom Opec-Kartell in Absprache mit Russland getroffene Absenkung der Fördermengen von Rohöl, welche direkt gegen die Interessen der US-Regierung gerichtet war.

Die US-Regierung hatte die arabischen Staaten in der Vergangenheit zudem mehrfach davor gewarnt, ihre Beziehungen zu Syrien zu normalisieren. Washington verfolgt offiziell noch immer das Ziel, Assad von der macht zu verdrängen.

Auch die Annäherung zwischen der sunnitischen Vormacht Saudi-Arabien und dem Iran und das damit einhergehende Ende der Isolation Teherans in der Region ist konträr gegen amerikanische Interessen gerichtet.


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