Saudi-Arabien hat eine grundlegende und wahrscheinlich folgenschwere Kehrtwende in der Außenpolitik eingeleitet. Nach vielen konfliktgeladenen Jahren hat das Königreich damit begonnen, seine beschädigten Beziehungen zum Iran und zu Syrien zu reparieren.
Raisi in Riad
Die Annäherung an Teheran und Damaskus wurde in den vergangenen Monaten vorbereitet und nimmt derzeit spürbar an Fahrt auf. Wie der englischsprachige Dienst der Deutschen Welle berichtet, hat der saudische König Salman den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi zu einem Besuch in Riad eingeladen. Der Besuch wurde von Irans Präsident „willkommen geheißen“, wie ein Sprecher sagte.
Der anstehende Besuch Raisis stellt die erste Reise eines iranischen Staatsoberhaupts nach Saudi-Arabien seit dem Jahr 1998 und eine fundamentale Kehrtwende in der Außenpolitik Riads (und auch Teherans) dar.
In den vergangenen Jahren hatten sich die sunnitische Vormacht Saudi-Arabien und der schiitische Iran mithilfe ihrer Verbündeten einen gewalttätigen Machtkampf in der Region geliefert. Zu den besonders schwerwiegenden Konflikten mit iranisch-saudischer Beteiligung gehören der Stellvertreterkrieg in Syrien und im Jemen. Auch im Libanon prallen politische Interessen der beiden Länder in Form unterschiedlicher Lager direkt aufeinander.
Initiiert wurde der Annäherungsprozess zwischen den Erzfeinden von der chinesischen Regierung. Präsident Xi Jinping lud Saudis und Iraner im vergangenen Dezember zu Geheimgesprächen nach China ein, wo am 10. März eine bahnbrechende Absichtserklärung von hochrangigen Beamten beider Seiten in Peking unterzeichnet wurde. Die Chinesen versuchen, auch andere arabische Golfmonarchien zu einer Normalisierung ihrer Beziehungen zum Iran zu bewegen. So sind Gespräche des Golf-Kooperationsrates mit iranischen Repräsentanten geplant.
Wichtige diplomatische Vorarbeiten für das Zustandekommen der Annäherung hatten der Irak und der Oman in den Jahren 2020 und 2021 geleistet.
Saudis eröffnen Konsulat in Damaskus
Saudi-Arabien wird darüber hinaus eine diplomatische Vertretung in Syrien eröffnen, nachdem die formellen Beziehungen im Jahr 2012 abgebrochen wurden. Wie der Middle East Monitor berichtet, soll ein Konsulat in der Hauptstadt Damaskus nach dem Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan eröffnet werden.
Vorarbeiten hierfür sollen während eines anstehenden Besuchs des saudischen Außenministers Faisal bin Farhan bei Präsident Baschar al Assad in Damaskus getroffen werden.
Bin Farhan hatte Mitte Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz davon gesprochen, dass in der arabischen Welt „eine Übereinstimmung darüber wachse“, Syrien wieder in das regionale Staatensystem zu integrieren. Der „Status Quo“, also der Ausschluss Syriens aus wichtigen pan-arabischen Organisationen und die Konfrontationspolitik im Allgemeinen, sei „nicht mehr darstellbar“, zitiert The Cradle Bin Farhan. Ein „neuer Ansatz“ sei notwendig, um die drängenden Fragen der Zeit konstruktiv zu klären.
Saudi-Arabien gilt zusammen mit der US-Regierung von Barack Obama als Hauptantreiber des im Jahr 2011 im Rahmen von Bürgerprotesten gestarteten Umsturzversuchs gegen Syriens Präsidenten Assad. Beide Seiten sollen zudem direkt Milizen in Syrien finanziert und gesteuert haben, allen voran Gruppen, die gegen die syrische Armee kämpften.
Tektonische Machtverschiebungen
Die Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien ebenso wie die Entspannungspolitik Riads zu Damaskus bergen enorme geopolitische Potenziale – und sind direkt gegen die Interessen der USA, Großbritanniens und Israels gerichtet.
Washington, London und Tel Aviv haben in den vergangenen Jahren enorme Anstrengungen unternommen, um Syrien und den Iran politisch, wirtschaftlich und militärisch zu schwächen. Die Maßnahmen, die beide Länder ergriffen, um dieses Ziel zu erreichen, umfassten diplomatische Kampagnen, Wirtschaftssanktionen, militärische Schläge, Geheimdienstoperationen und die Cyber-Kriegsführung.
Besonders signifikant ist deshalb der Umstand, dass die neue Entspannungspolitik im Nahen Osten maßgeblich auf das Betreiben Chinas und Russlands zurückgeht – also die bedeutendsten Rivalen des unter Vorherrschaft Amerikas stehenden Westens. Wie bereits erwähnt forcieren die Chinesen die Annäherung zwischen Teheran und Saudi-Arabien, während Russland entscheidend zur Normalisierung der Beziehungen der arabischen Welt zu Syrien beigetragen hat. In diesem Kontext haben sich auch die Vereinigten Arabischen Emirate als Vermittler hervorgetan.
Bemerkenswert erscheint, dass auch das NATO-Land Türkei am Friedensprozess für Syrien mitarbeitet. Aktuellen Planungen zufolge werden die Außenminister Russlands, des Iran, der Türkei und Syriens demnächst zu Gesprächen zusammenkommen, um weitere Schritte hin zu einer De-Eskalation zu besprechen.
Die US-Regierung hatte die Länder der Region in der Vergangenheit mehrfach davor gewarnt, eine Normalisierung in den Beziehungen zu Damaskus einzuleiten. Sollte den unter Vermittlung Chinas und Russlands vorangetriebenen Initiativen Erfolg beschieden sein, ginge deshalb parallel dazu auch ein Einflussverlust der USA und eine gewisse außenpolitische Isolation Großbritanniens und Israels im Vorderen Orient einher.