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Corona-Aufarbeitung: Die Gehorsamkeitsfalle

Lesezeit: 14 min
20.05.2023 08:30  Aktualisiert: 20.05.2023 08:30
Während der Pandemie war Gehorsam die erste Bürgerpflicht. Die kritiklose Akzeptanz von völlig widersprüchlichen Verordnungen durch weite Teile der Bevölkerung, sollte uns Sorge bereiten, sagt Psychoneuroimmunologe Christian Schubert im großen DWN-Interview.
Corona-Aufarbeitung: Die Gehorsamkeitsfalle
Während Corona gab nur eine „Wahrheit“, Widerspruch wurde nicht geduldet. (Foto: iStock.com/Say-Cheese)
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Der Ärztliche Psychotherapeut und Psychoneuroimmunologe Prof. Dr. Dr. Christian Schubert war von Anfang an Kritiker der Corona-Maßnahmen. Dabei waren und sind seiner Meinung nach nicht nur die behördlich erlassenen, teils widersprüchlichen Verordnungen Grund zur Sorge, sondern auch und vor allem deren kritiklose Akzeptanz durch weite Teile der Bevölkerung. Anlässlich seines neuen Buches „Geometrie der Seele – wie unbewusste Muster das Drehbuch unseres Lebens bestimmen“ erklärt Christian Schubert im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten, was Fraktale sind und was sie mit Psychologie zu tun haben und erläutert, welche psychologischen Mechanismen und Muster während der Corona-Krise am Werk waren und warum wir die dringend aufarbeiten müssen, soll sich eine solche, wenn auch nicht in gleicher, so doch in „fraktaler“, also selbstähnlicher Form, nicht wiederholen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ihr neues Buch heißt „Geometrie der Seele“. Wie kommen Sie auf diesen Titel?

Christian Schubert: Sie haben Recht, der Titel mag stutzig machen – und das soll er auch. Denn wie soll man eine Seele – deren Existenz für einige gar nicht nachgewiesen ist, für andere aber zumindest etwas Immaterielles darstellt – vermessen können, wie es der Begriff der Geometrie nahelegt? Ich habe tatsächlich ein mathematisches Konzept auf die Psychologie übertragen, denke aber, dass dieser Ansatz hilfreich ist.

Zunächst einmal zum Begriff der Geometrie: Die meisten von uns kennen die sogenannte Euklidische Geometrie – also Punkte – die übrigens per Definition über keinerlei Fläche oder Ausdehnung verfügen, also ein reines Konzept darstellen – Linien, Flächen und Winkel in einem fiktiven zwei- oder auch dreidimensionalen Raum noch aus dem Schulunterricht. So schön und faszinierend das ist, so lassen sich natürliche Phänomene mit der Euklidischen Geometrie doch kaum oder gar nicht beschreiben, denn gerade Linien, gleichschenklige Dreiecke oder makellose Kugeln mit absolut glatter Oberfläche kommen in der Natur eigentlich nicht vor.

Hier kommt die Fraktal-Geometrie ins Spiel. Fraktale beschreiben ein natürliches Ordnungsprinzip, das Sie überall in der Natur beobachten können. Beispielsweise bei einem Baum, dessen Äste, Zweige und Zweiglein ihrer Form nach dem Baum selbst ähneln, ihm also „selbstähnlich“ sind – ihm allerdings nicht vollständig gleichen. Das heißt, ein bestimmtes Muster neigt dazu, sich in gewisser Weise in immer kleineren, sich verblüffend ähnelnden Abbildern zu wiederholen. Sie können derartige fraktale Strukturen auch im Supermarkt überprüfen, etwa wenn Sie einen Brokkoli kaufen oder – besonders eindrücklich – einen Romanesco. Dieses kegelförmige Gemüse setzt sich aus kleineren Kegeln zusammen, die wiederum aus noch kleineren Kegeln bestehen. Mit anderen Worten: Das Ganze spiegelt sich in seinen einzelnen Teilen selbstähnlich wider – und umgekehrt.

Diese Spiegelung eines Musters in der nächst kleineren und dann in der wiederum noch kleineren Einheit entdeckte der Mathematiker Benoit Mandelbrot und prägte in diesem Zusammenhang genau diesen Begriff: Fraktal. Der leitet sich aus dem Lateinischen „fractus“ – was gebrochen bedeutet – ab. Das passt. Denn in der Natur gibt es, wie gesagt, ja auch keine vollständig geraden Linien oder glatten Oberflächen, bei näherem Hinsehen ist alles ungerade und rau, scheinbar nicht vorhersehbar und doch scheint es Prinzipien zu geben, nach denen sich bestimmte Strukturen im Raum aufbauen und ordnen. Ein Beispiel sei hier genannt: Jede Schneeflocke ist per se zwar einzigartig, in ihren Grundformen können sich die aus winzigen Eispartikeln zusammengesetzten Gebilde allerdings ähneln. Betrachtet man eine einzelne Flocke, wird man auch hier ein fraktales Muster erkennen. Ein solches können Sie andererseits auch mit Hilfe der Fraktal-Geometrie herstellen. In meinem Buch beschreibe ich anhand der Kochschen Kurve und der Kochschen Schneeflocke, wie das geht. Die Grundlage der Kochschen Kurve ist eine Linie, aus deren Mitte die Spitze eines Dreiecks ragt. Aus den Schenkeln dieses Dreiecks wie auch an den noch geraden Streckenabschnitten links und rechts davon erwachsen nun wiederum, entsprechend kleinere Dreiecke, deren Schenkel nun wiederum ihrerseits die Basen für noch kleinere Dreiecke bilden. Auf ähnliche Weise kommt eine Kochsche Schneeflocke zustande, nur, dass Sie hier nicht mit einer Linie, sondern mit einem gleichseitigen Dreieck beginnen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Allerdings ist zu vermuten, dass, wenn Sie von einer Linie oder einem gleichseitigen Dreieck ausgehen, immer die gleiche Struktur dabei herauskommt. Sie aber haben eben gesagt, dass jede Schneeflocke in der Natur einzigartig ist.

Christian Schubert: Richtig. Die Natur ist und bleibt ein Geheimnis. Die fraktale Geometrie erlaubt uns lediglich, sie besser zu beschreiben und immer genauer nachzubilden, jedoch nicht, sie vollständig zu kopieren. Ihr Kern bleibt ein ungelöstes Rätsel. Und dies dürfte auch der Grund dafür sein, dass Projekte wie der Transhumanismus – nach allen denkbaren, potenziell fatalen und traumatisierenden Irrwegen – letzten Endes scheitern werden. Doch dies nur am Rande, möglicherweise kommen wir ja später darauf zurück. Zunächst zu den Formen in der Natur, die wie bei den Kegeln des schon erwähnten Romanescos selbstähnlich, aber niemals vollständig identisch sind, während wir in der Mathematik unter gleichen Prämissen – gleich langen Linien, gleich großen Dreiecken – immer zu den gleichen Resultaten gelangen. Wir sprechen hier also nicht von einer Kopie, sondern von einer Annäherung. Die allerdings kann verblüffend echt wirken. So liegt das Geheimnis der bildlichen Computeranimation in der Fraktal-Geometrie. Der IT-Spezialist Loren Carpenter bediente sich ihrer bereits im Jahr 1978, um ein experimentelles Flugzeug der Firma Boeing durch eine real wirkende Gebirgslandschaft fliegen zu lassen. Indem er Dreiecke verschiedener Größe immer weiter „fraktalisierte“ gelang ihm die Illusion. Heute schenken wir derartigen Computerlandschaften keine Beachtung mehr, doch damals war es eine Sensation.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Dies aber sind Phänomene, die sich im Raum, sei es in der Natur oder auf einem Bildschirm, sei es in drei oder zwei Dimensionen manifestieren. Sie aber übertragen dieses vermeintliche Ordnungsprinzip auf die menschliche Psyche. Wie kommen Sie dazu?

Christian Schubert: Zunächst einmal: Fraktale haben nicht nur eine räumliche Komponente – also eine Form, die, egal ob Sie das Ganze oder kleinere Ausschnitte davon betrachten, gleich bleibt – sondern auch eine zeitliche. Als Beispiel sei ein tropfender Wasserhahn genannt. Der Theoretische Physiker Jens Eggers hat hierüber einen Aufsatz mit dem Titel: „Wie tropft ein Wasserhahn?“ geschrieben. Und tatsächlich: Bei dem Prozess der Ablösung eines Wassertropfens findet sich ein Fraktal. Zunächst bleibt das Wasser aufgrund der Oberflächenspannung zusammen – und fließt nicht in einem sehr dünnen Strahl aus dem Wasserhahn – bildet dann aber einen immer länger und dünner werdenden Hals bis dieser schließlich reißt und sich der nächste Tropfen in selbstähnlicher Form nachbildet, verformt und dann seinerseits in die Spüle fällt. Der Fotograf Harold Edgerton hat hiervon übrigens faszinierende Aufnahmen gemacht, mit einer Belichtungsgeschwindigkeit, mit der selbst eine abgefeuerte Pistolenkugel scheinbar in der Luft erstarrt. Was ich sagen möchte ist: Es gibt eben auch diesen zeitlichen Aspekt, der sich meiner Ansicht nach in vielen Fällen ebenfalls fraktal organisiert. Das möchte ich vorausschicken, bevor wir nun den „Sprung in die Psyche“ wagen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Gut. Wagen wir diesen Sprung.

Christian Schubert: In den vielen Jahren, in denen ich als Ganzheitsforscher, Ganzheitsmediziner und Psychotherapeut arbeite, ist mir aufgefallen, dass bestimmte einschneidende Ereignisse in der Biographie eines Patienten – wie etwa Gesundheitskrisen – nicht nur durch einen im Unbewussten verankerten Konflikt getriggert werden, sondern dass sich dies auch in regelmäßigen zeitlichen Abständen ereignet, also sagen wie alle fünf, sieben oder neun Jahre. Und hierin erkenne ich ein Fraktal. So hat beispielsweise eine Klientin von mir im Jahr 2021 einen Unfall auf der Autobahn. Sie war mit ihren beiden Kindern unterwegs – und plötzlich krachten im dichten Verkehr die Autos aufeinander, es kam zu einer Karambolage. Während die Kinder auf der Rückbank schrien, rettete ihnen ein couragierter Verkehrsteilnehmer das Leben, indem er seinen Wagen quer über zwei Fahrbahnen stellte und so für meinen Klientin und ihre Kinder gewissermaßen einen Schutzschild aufbaute. Doch dies war nicht das einzige traumatische Ereignis in ihrem Leben. Knapp zehn Jahre vorher, 2013, wäre sie bei der Geburt ihres Sohnes fast gestorben. Und wiederum zehn Jahre vorher, 2003, entwickelte sie auf einem Urlaub in Mexiko eine Gallenkolik, die sie fast ins Jenseits befördert hätte. Eine Heimholung nach Europa hätte sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht überlebt. Ihr Vater aber setzte Himmel und Hölle in Bewegung, damit sie vor Ort bestmöglich operiert werden konnte. Das gelang – allerdings landete sie trotzdem noch auf der Intensivstation. Als wir uns während unserer Sitzung diese Zeitlinie anschauten – 2021, 2013, 2003 - glaubten wir, hier einem Pattern, einem Fraktal auf der Spur zu sein. Und es erhob sich die bange Frage, ob sich vielleicht auch um das Jahr 1993 herum etwas ähnlich Dramatisches ereignet hatte. Und tatsächlich: Bereits 1995 hatte es einen Autounfall gegeben. Damals war sie als Kind mit ihren Eltern und ihrem Bruder auf einer Ferieninsel gewesen und an jenem Tag hatten sie im Auto zwei weitere Kinder von Freunden mitgenommen. Der Vater saß am Steuer und in einer Kurve stieß das Fahrzeug mit einem entgegenkommenden Auto zusammen. Diesmal gab es zum Glück keine Verletzten, doch der Schreck war groß. Im Leben meiner Klientin kam es also in regelmäßigen Abständen zu dramatischen Ereignissen. Und die Frage war, ob dies auch in Zukunft so sein würde – oder ob wir die unbewussten Mechanismen, die zu diesen Vorfällen denkbarerweise das ihre beitrugen, erkennen und therapieren würden. Und natürlich auch, ob sich zu diesen Dramen kleinere, ebenfalls dramatische Akte gesellen, die so wie bei einem Baum aus seinem Stamm und seinen Ästen sprießen. Kleinere Fraktale also umschlossen von größeren.

Dass Fraktale aber nicht nur in einer einzelnen Biographie erkennbar werden, sondern auch über Generationen hinweg, mag folgendes Beispiel verdeutlichen: Ein sechzigjähriger Mann, Vater dreier Kinder, die aus seiner ersten Ehe stammen, hatte sich von seiner Frau scheiden lassen und war seit zwanzig Jahren mit seiner Freundin zusammen. Im Laufe unseres Gespräches stellte sich dann heraus, dass sein Vater mit vierzig Jahren verstorben war, als er selbst etwa sieben Jahre alt war. Die Mutter begann zu trinken, was er selber dann auch tat – er leerte jeden Abend ein oder zwei Flaschen Wein – und auch sein Sohn übernahm dann später diese Gewohnheit. Der übrigens, als mein Klient seine Frau verließ, in genau dem Alter war, in dem er selbst seinen Vater verloren hatte. Zwar war mein Klient nicht gestorben, aber sein Sohn hatte ihn doch weitgehend verloren, weil er aus dessen Alltag verschwunden war. All diese Selbstähnlichkeiten – es gibt derer noch mehrere, die ich in meinem Buch beschreibe – verweisen wiederum auf ein Fraktal. Es scheint jedenfalls, als habe der Vater seinen frühen Verlust unbewusst „reinszeniert“ und so an seinen Sohn weitergegeben.

Eine weitere Klientin erkrankte schon als Kind häufig an Bronchitis, eine Zeit, die sie zum Lesen nutzte – was sie nach ihren eigenen Worten mit Begeisterung tat. Mit einer ähnlichen Begeisterung arbeitete sie später in einer Stadtbibliothek – so wie ihre Mutter, angeblich ebenfalls begeistert, ihrer Arbeit als Lehrerin nachging. Als sie mir all dies erzählte und das Wort „Begeisterung“ immer wiederholte, schien mir dieses eine Klammer zu sein, die ihre häufigen Krankheiten, ihren Job - und später ihren Beruf – sowie ihre Mutter miteinander verband, sie also gewissermaßen in einen Sinnzusammenhang stellte. Anders als das Wort „Begeisterung“ nahelegen mag, verwies es, wie sich herausstellte, doch eher auf einen grundsätzlichen Konflikt, nämlich auf ihre schwierige Beziehung zu ihrer Mutter, die ihre Tochter trotz aller Krankheiten nie richtig „sehen“ wollte. Und dies nicht einmal, als meine Klientin nach dem Tod ihres geliebten Vaters eine Brustkrebserkrankung entwickelte. Hier wiederholte sich ein Muster, das im Verlauf ihres Lebens immer wieder sichtbar geworden war: Nämlich auf ihre Not, von ihrer Mutter nicht gesehen zu werden, mit einer Krankheit zu reagieren. Doch nicht einmal ihre Krebserkrankung – wenn Sie so wollen ein Fraktal auf einer übergeordneten Ebene – wurde von ihrer Mutter ernst genommen – was ihr bei der Bewältigung ihrer Krankheit sicher nicht geholfen hat.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Diese Krebserkrankung lässt sich also psychosomatisch erklären?

Christian Schubert: In den meisten Fällen einer somatischen Erkrankung spielen die Psyche und soziale Faktoren eine entscheidende Rolle. Sie konfigurieren im Hintergrund und von uns oft unbemerkt die Voraussetzungen dafür, dass sich ein soziales oder seelisches Ungleichgewicht zu einem physischen Symptom verfestigt. Mit anderen Worten: Solange sich die Seele in einer Schieflage befindet, kann ein Arzt auf der physischen Ebene zwar –mehr oder weniger erfolgreich – die Symptome bekämpfen, eventuell um den Preis einer Symptomverschiebung, das Problem aber im Kern nicht lösen. Dieses Zusammenspiel von seelischen, sozialen und körperlichen Aspekten nennen wir in der Medizin das biopsychosoziale Medizinparadigma. Eine alleinige Betrachtung des Körperlichen unter Ausblendung der seelischen und sozialen Hintergründe erscheint also nicht zielführend. Das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele beschreibt übrigens auch Goethe in seinem Faust. Hier sagt Mephistopheles im ersten Teil der Tragödie: „Wer will was Lebendiges erkennen und beschreiben,/ sucht erst den Geist herauszutreiben,/ dann hat er die Teile in seiner Hand,/ fehlt, leider! nur das geistige Band.“

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Medizin?

Christian Schubert: Die Corona-Krise hat leidvoll gezeigt, wie sehr wir noch in dem alten, mechanistischen Weltbild gefangen sind: Der Körper ist eine Maschine und das Virus der alleinige Feind und schon befinden wir uns in einem „Krieg gegen das Virus“ und opfern dafür nicht nur unsere Freiheit, sondern auch unsere seelische Gesundheit, vor allem die der nachfolgenden Generationen, die unter den „Corona-Maßnahmen“ wahrscheinlich am meisten gelitten haben – und noch leiden werden. Ich bin überzeugt davon, dass wir in den nächsten Jahren verheerende gesundheitliche Folgen in der Bevölkerung sehen werden, nicht nur wegen der immensen Impfschäden, die nicht mehr lange totgeschwiegen werden können – und ich sage bewusst totgeschwiegen, denn das, was in den Mainstreammedien diskutiert wird, ist nur die Spitze eines gigantischen Eisberges – sondern auch aufgrund seelischer Verwerfungen, die ihre zerstörerische Kraft erst über die Jahre hin entfalten. Diesen jungen Menschen wurden in der Summe mit Sicherheit viel mehr Lebensjahre geraubt als uns allen je durch „Impfungen“ und Lockdowns bewahrt worden sein können – wobei sich auch dies inzwischen als Propagandamärchen entpuppt hat. Dass es in den letzten drei Jahren zu derart überzogenen und unmenschlichen Maßnahmen kommen konnte, lässt sich meiner Auffassung nach auch mit diesem mechanistischen Weltbild erklären, das zu viele Aspekte des Menschlichen, des Menschseins einfach ausblendet und deswegen unserer Komplexität und der allen Lebens überhaupt nicht gerecht wird. Was wir brauchen, ist eine zweite Aufklärung, die auch wieder unsere Gefühle, unser Bauchgefühl miteinschließt. Die erste Aufklärung hatte viel Gutes und hat auch zu enormem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt geführt, sie hat uns – gerade im Gesellschaftlich-Politischen – wertvolle Ideen hinterlassen, das Konzept der Menschenrechte, das Konzept der Meinungsfreiheit - Voltaire wird ja der Satz in den Mund gelegt: „Ich hasse all das, was Du sagst – aber ich würde mein Leben dafür opfern, dass Du es sagen darfst“ – und doch sollten wir einen Schritt weiter gehen und nicht nur unsere Ratio, sondern auch unser seelisches Potential zur vollen Entfaltung bringen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Von Immanuel Kant stammt der Satz: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Wäre dies in der Corona-Krise falsch gewesen?

Christian Schubert: Nein, natürlich nicht. Ganz im Gegenteil. Hätten wir uns hier ganz nüchtern die Fakten angeschaut, also etwa die Fallsterblichkeit, hätten wir uns von den Fakten, den Statistiken, unserer Ratio leiten lassen, hätte all dies nicht passieren können. Stattdessen haben wir uns in Panik versetzen lassen und das hat mit der Aufklärung von Voltaire und Kant wirklich nichts zu tun. Was dies anbelangt, sind wir in voraufklärerische Zeiten zurückgefallen, mit allen hässlichen Konsequenzen, die wir im gesellschaftlichen Leben beobachten mussten. Ich denke, hier sind zwei Dinge zusammengekommen: Einerseits ein mechanistisches Weltbild, das den Menschen als seelenlose Maschine betrachtet, und andererseits eine von Politik und Medien geschickt befeuerte Massenhysterie. Die verängstigten Menschen fanden dann in einer vermeintlichen Wissenschaft eine Ersatzreligion, ließen sich in Wahrheit aber von pseudowissenschaftlichen Dogmen hinters Licht führen. Wir haben also das Schlechteste aus beiden Welten miteinander kombiniert, während es mir darum geht, das Gute aus der Zeit der Aufklärung zu bewahren und um weitere, ebenso wichtige Aspekte zu ergänzen. Denn wir dürfen nicht vergessen: Das Kühle, Rationale in uns wird umspült vom Meer unseres Unbewussten, das sehr viel tiefer ist, als es sich viele von uns vorstellen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und deswegen könnte auch der Transhumanismus, den Sie eingangs erwähnten, scheitern?

Christian Schubert: Das Bestreben, einen Homunkulus zu erschaffen, ist uralt. Doch wie will man aus purer Materie Geistiges erschaffen? Das wird auch mit dem Transhumanismus nicht gelingen. Zwar können sie im Silicon Valley und anderswo hoch leistungsfähige Computer bauen und diese per Interface vielleicht auch mit menschlichen Gehirnen verknüpfen, aber das Geheimnis des Lebens an sich werden sie so nicht lüften. Die Frage, was uns beseelt wird sich so nicht beantworten lassen. Wenn Sie sich noch einmal vergegenwärtigen, was den Menschen ausmacht, wie hier Soziales, Seelisches und Körperliches miteinander interagiert, wird klar, auf welch wundersame Weise sich alles zusammenfügt und wie sehr das – scheinbar – Materielle mit dem Feinstofflichen verwoben ist. Schon Sigmund Freud hatte das erkannt und das mit dem Begriff des „Leib-Seele Problems“ umschrieben. Genau hier sehe ich das Problem unserer Kultur: Dass wir glauben, mit rein logischer Stringenz alles erkennen, kontrollieren und beherrschen zu können und dabei das eigentliche Lebendige, das nicht Lineare, das Raue außer Acht lassen. Und hier findet sich übrigens eine Entsprechung zu den Fraktalen, die ebenfalls nicht linear und rau sind, selbstähnlich zwar, aber nicht identisch, in sich einzigartig und nicht genormt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Fraktale nicht nur im Lebenslauf eines Individuums erkennbar werden, sondern auch über Generationen hinweg innerhalb einer Familie. Ließe sich dieser Ansatz auch auf ganze Gesellschaften übertragen?

Christian Schubert: Ja, ich kann mir vorstellen, dass wir auch hier auf Analogien, Entsprechungen stoßen, wenn wir danach suchen. Eines springt dabei sofort ins Auge: Die stets dräuende Apokalypse. Hier wird die Taktzahl ständig erhöht, in den letzten Jahrzehnten bedrohten uns erst eine Eiszeit, inzwischen ja die Klimaerwärmung, Terrorismus und Todesseuchen, wobei sich letztere – als unsichtbare Gefahr – besonders gut für eine Panik eignen. Den Menschen wird Angst gemacht, so lassen sie sich besser steuern. Lässt sich hier ein Fraktal erkennen? Nun, ich glaube, dass Angst unser ständiger Begleiter ist. Nur waren die Menschen früher, zumindest in unserem westlich geprägten Kulturkreis, stärker um ihr Seelenheil besorgt. In ihrer Welt, in ihrem Kosmos wollten sie nicht sündigen, auch um der Hölle zu entgehen. Gott war immer präsent und oft dürften sie sich ertappt gefühlt haben, wenn sie etwas – nach derzeitigen Maßstäben – Unrechtes taten. Notfalls half die Beichte oder der Erwerb eines Ablassbriefes, mit denen die katholische Kirche einen schwungvollen Handel betrieb. Angst, Schuld und Sühne – das haben wir heute auch. Da wir inzwischen aber in einer positivistischen und materialistischen Welt angelangt sind, in der uns das Transzendente weitgehend abhandengekommen ist, leben wir diese Gefühle und Bedürfnisse in einem anderen Kontext aus. Wenn wir den Begriff der Religion dahingehend interpretieren, dass sie unser Weltbild verkörpert, so haben auch Atheisten ihre Religion. Sie vertrauen dann der „Wissenschaft“ - die sich aber durchaus auch als Pseudowissenschaft entpuppen kann – und kleben sich auf Straßen fest, so wie sich die Flagellanten im Mittelalter selbst ausgepeitscht haben. Ich will jetzt gar nicht über das Für und Wider der jeweils zugrundeliegenden Annahmen urteilen, sondern nur darauf hinweisen, dass sich auch hier etwas wiederholt, ein Muster – in selbstähnlicher, nicht aber in identischer Weise – zum Tragen kommt. Mit etwas Phantasie erkenne ich hier ein Fraktal.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Geschichte wiederholt sich?

Christian Schubert: Noch ist das nur ein Aphorismus, aber wenn sich hinter diesem Satz irgendetwas Geometrisches, Mathematisches verbergen sollte, wäre dies hoch spannend. Nehmen wir die Corona-Krise: In den letzten drei Jahren kam es zur Aussetzung von Bürgerrechten – die für Geimpfte teilweise durch Privilegien ersetzt wurden – zu totalitär anmutenden Staatsgebaren sowie einer weitgehenden Gleichschaltung von Justiz und Medien. Vor dem Hintergrund gerade der deutschen und österreichischen Geschichte fanden das viele beunruhigend – die große Mehrheit der Bevölkerung jedoch nicht. Denn die wollte ihre Überzeugung, dass der Staat seinen Bürgern gegenüber wohlmeinend und fürsorglich sei, partout nicht aufgeben. Dass vieles darauf hindeutet, dass der Staat in den Corona-Jahren als ein Handlanger der Pharmaindustrie agierte und hier die Interessen seiner Bürger eindeutig hintanstellte – um einmal beim gänzlich Offensichtlichen zu bleiben – wollen und können sich viele nicht eingestehen. Denn dies könnte sich für sie anfühlen wie über Treibsand zu laufen. Es soll Leute geben, die lieber ihr Leben als ihr Weltbild opfern. Und gerade deswegen, nämlich um ihre vermeintlichen Gewissheiten, die für ihre psychische Stabilität von äußerster Wichtigkeit sind, nicht in Frage stellen zu müssen, kam es wohl auch zu so viel Hetze und Aggressivität gegenüber Andersdenkenden und „Ungeimpften“.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Erst die Tragödie, dann die Farce? Oder doch ein weiteres Trauerspiel?

Christian Schubert: Jedenfalls ist vieles wieder ans Licht gekommen, das ich für überwunden gehalten hatte. Das Corona-Regime hat nahezu reibungslos funktioniert, fast alle haben mitgemacht – vom Klassenlehrer, der seine Schüler mit Corona-Teststäbchen traktierte, bis zum Schulleiter, vom Richter bis hin zum Mainstreamjournalisten. Es gab nur eine „Wahrheit“ – die allerdings, wie wir inzwischen wissen, in einer Pseudorealität wurzelte – die wurde mit Klauen und Zähnen verteidigt, Widerspruch wurde nicht geduldet, Abweichler wurden diskriminiert und marginalisiert. Wurde eine neue Verordnung erlassen, wurde sie, ohne sie zu hinterfragen, befolgt, Gehorsam war die erste Bürgerpflicht. Man könnte auch sagen: Die Gehorsamkeitsfalle hatte zugeschnappt. Übertriebener, teils vorauseilender Gehorsam entpuppt sich nämlich, gesamtgesellschaftlich betrachtet, oft als Problem. Denn der hat wohl tatsächlich, wie ich neulich irgendwo gelesen habe, mehr Menschenleben auf dem Gewissen als der Ungehorsam. Und so dürfte es auch diesmal wieder kommen. Es ist noch gar nicht abzusehen, wie viele psychische und physische Schäden diese drei Jahre verursacht haben werden, doch bereits jetzt sind die Zahlen erschreckend. Insofern würde ich hier auch nicht von einer Farce sprechen. Auch wenn es mir fernliegt, irgendetwas mit irgendetwas anderem gleichzusetzen, so sollten wir uns doch die Frage stellen, welche psychischen Strukturen hier gewirkt haben, dass so etwas geschehen konnte.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ein Fraktal?

Christian Schubert: Jedenfalls haben wir es mit einer unangenehmen Wahrheit zu tun, der wir uns nichtsdestotrotz stellen sollten. In der Psychotherapie lassen sich Probleme erst überwinden und auflösen, wenn sie aus dem Unbewussten eines Patienten in dessen Bewusstsein aufsteigen. Das ist ein unabdingbarer Schritt, der zur Gesundung führt. Sonst projizieren wir das, was C. G. Jung den Schatten genannt hat, also unbewusste, durchaus auch kollektive, Anteile unseres Seins auf andere – und drehen uns damit letzten Endes im Kreis. Sollten die der Corona-Krise zugrunde liegenden sozio-psychologischen Mechanismen also nicht erkannt und transparent gemacht werden, prognostiziere ich, dass sich Derartiges in selbstähnlicher, wenn auch nicht identischer Form wiederholen wird. Das ist der Grund, warum wir eine Aufarbeitung der letzten drei Jahre dringend brauchen. Die gesellschaftlichen Wunden müssen mit Offenheit, mit Ehrlichkeit versorgt werden. Wenn wir das angehen, haben wir die Chance, diesmal wirklich etwas aus der Geschichte zu lernen.

Zur Person: Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert ist Arzt, Psychologe und Ärztlicher Psychotherapeut mit tiefenpsychologischer Ausrichtung. Seit über 25 Jahren erforscht er die Wechselwirkungen von Psyche, Gehirn und Immunsystem. Er ist Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie am Department für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Innsbruck und Autor zahlreicher vielbeachteter Fachpublikationen und Sachbücher. Sein letztes Buch „Geometrie der Seele“ ist am 4. Mai bei Gräfe und Unzer erschienen.


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