Das Gesetz sieht in seiner aktuell gültigen Fassung vor, dass alle Unternehmen in Deutschland mit mehr als 3000 Beschäftigten die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards ihrer Zulieferer überwachen. Ab dem 1.1. nächsten Jahres gilt dann dies für alle Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten. Direkt betroffen von diesem Gesetz sind aktuell nach Berechnungen des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) 900 Unternehmen in Deutschland, ab nächsten Jahres dann 4800 Unternehmen. Für Hans-Jürgen Völz, Chef-Volkswirt des BVMW, ist die Zahl nur die Spitze des Eisberges: Die Zahl der mittelbar betroffenen Unternehmen in Deutschland sei jedoch ungleich höher: "Die größeren Unternehmen in Deutschland hängen von den Vorprodukten und Vorleistungen unzähliger mittelständischer Betriebe ab. Doch auch diese deutschen Zulieferfirmen sind praktisch alle hochgradig international verflochten. Das heißt in der Konsequenz, dass unzählige mittelständische Betriebe mit der Aufgabe belastet sind, die Dokumentation dafür zu erbringen, dass sich ihre Zulieferer mehrere tausend Kilometer entfernt an Sozial- und Umweltstandards halten. Das verursacht erheblichen bürokratischen Aufwand, für den sie weder organisatorisch aufgestellt sind noch deren Kosten sie auf ihre Kunden abwälzen können", erklärte er gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten.
Das Gesetz, dessen Name sage und schreibe zehn Silben hat, sieht vor, die Umwelt sowie Menschen- und Kinderrechte entlang globaler Lieferketten zu verbessern. Was auf den ersten Blick einleuchtend ausschaut, wird in der tagtäglichen Durchführung für nicht wenige mittelständische Zulieferer zu einem einzigen bürokratischen Alptraum. Denn tatsächlich umfasst das Gesetz einen ganzen Katalog an Pflichten und Aufgaben für Unternehmen, die sich in ihrer Bündelung wie ein einziger Katalog an bürokratischen Marterwerkzeugen liest.
So schreibt Paragraph 4 des Gesetzes den Unternehmen die „Einrichtung eines Riskomanagements“ vor; darüber hinaus müssen die Firmen - so der dritte Absatz von Paragraph vier des Gesetzes - die „Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit für den Menschenrechtsschutz“ bestimmen. Paragraph fünf verlangt dann von den Unternehmen „regelmäßige Risikoanalysen“ und der nächste Paragraph „die Verabschiedung einer Grundsatz-Erklärung“ und die „Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber den Zulieferern“. Schließlich verlangt das Gesetz eine „Dokumentation und Berichterstattung. Dabei sei, so das Gesetz, „die Dokumentation mindestens sieben Jahre aufzubewahren“. Und als ob das nicht schon alles mehr als genug wäre, verlangt der Gesetzesgeber von den Unternehmen auch noch einen jährlichen Bericht. Dieser Bericht soll Rechenschaft über die Erfüllung der Sorgfaltsplichten im vergangenen Geschäftsjahr abgeben. In dem Bericht ist „nachvollziehbar darzulegen, welche menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken oder Verletzungen einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht das Unternehmen identifiziert hat“.
Doch bei der in klassischem Bürokratendeutsch formulierten Pflichten belässt es der Gesetzesgeber nicht. Ausführlich widmet sich das Gesetz auch möglichen Strafmaßnahmen. So regelt Paragraph 22 einen möglichen Ausschluss bei Bieterverfahren von öffentlichen Ausschreibungen. Nicht genug: Detailliert listet in 13 Punkten der Gesetzgeber auf, wer alles mit Strafmaßnahmen belangt werden kann. Im Höchstfall ist gar ein Bußgeld von Höhe von zwei Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes fällig.
Für den Bundesverband mittelständische Wirtschaft ist das Gesetz „eine einzige Misstrauenserklärung“ gegenüber den Unternehmern in Deutschland, so ihr Chef-Volkswirt Hans-Jürgen Völz gegenüber den DWN. Dementsprechend angefasst seien die Unternehmer, auf die ganz erhebliche Mehrbelastungen zukämen, zumal auch nach ausführlicher Lektüre des Gesetzestextes oft gar nicht klar sei, so Völz, was genau der Gesetzgeber verlange.
Einer Kritik, die auch vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag geteilt wird. Die Unsicherheiten führten oftmals dazu, dass viele große Unternehmen bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten von ihren Lieferanten lieber zu viel als zu wenig verlangen. Die örtlichen Industrie- und Handelskammern erhielten viele Anrufe und Klagen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die von großen Unternehmenskunden Fragebögen, Verhaltenskodizes rund um das Thema Menschenrechte zugeschickt bekämen – und das dann von mehreren Kunden in jeweils unterschiedlicher Weise. Doch kommen diese Unternehmen der Aufforderung nicht nach, laufen sie Gefahr, wichtige Auftraggeber zu verlieren.
Aber auch große Unternehmen stehen vor konkreten Herausforderungen: Auch für diese sei es oftmals unmöglich, Informationen über oder Kontakt zu indirekten Zulieferern – also Lieferanten ihrer direkten Lieferanten - zu erhalten, erklärt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). In der Praxis scheiterten die Unternehmen häufig schon daran, von ihren Zulieferern die Namen der weiteren Unternehmen entlang der Lieferkette zu erhalten. Die Geschäftspartner im Land seien schließlich Teil des eigenen Geschäftsmodells und haben -naheliegenderweise – wenig Neigung, ihre Wettbewerbsvorteile an Dritte zu verlieren. Auch aus diesen Gründen stoße, so der DIHK, die Erfüllung von Sorgfaltspflichten schnell an praktische Grenzen.
Ganz ähnlich sieht es auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). In einer Stellungnahme gegenüber den DWN macht der Spitzenverband der Deutschen Industrie noch eine weitere Schwachstelle aus: Demnach gehe die kontrollierende Behörde BAFA bei der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes über die gesetzlichen Vorgaben hinaus und formuliere de facto weitergehende Belastungen für Unternehmen.
Die erheblichen Rechtsunsicherheiten gepaart mit scharfen Sanktionsdrohungen zum Beispiel bei öffentlichen Vergaben führten, so der BDI, zu einem Rückzug von Unternehmen aus zu risikoreichen Ländern.
Dies aber, so Chefvolkswirt Völz, führe in der Regel aber nicht dazu, dass mit dem Rückzug deutscher Unternehmen die Missstände in diesen Ländern behoben würden. Denn die Drohung eines Rückzugs deutscher Unternehmer aus diesen Märkten beeindrucke in diesen Ländern kaum jemanden – dann würden lediglich Unternehmen aus anderen Ländern die Marktanteile übernehmen.
Ein Wirtschaftsvertreter brachte es gegenüber den DWN auf den Punkt. Dies „vollkommen verkorkste“ Gesetz sei ein Paradebeispiel dafür, was herauskomme, wenn „praxisferne Bürokraten sich als Gutmenschen betätigen“ – und die Wirtschaft dafür bezahlen müsse.
Doch für die leidgeprüften Unternehmer könnte es gar noch schlimmer kommen. Die EU-Kommission plant ein eigenes Lieferkettengesetz. Der Richtlinienentwurf der Kommission lässt Schlimmes erahnen. So soll der Kreis der Unternehmen erweitert und die Dokumentationspflichten verschärft werden.