Baden-Württemberg hat im letzten Jahr das Gesetz für nachhaltige Finanzanlagen verabschiedet, wonach bei Investitionen durch das Land und durch landeseigene Unternehmen künftig nicht mehr nur traditionelle Kriterien wie Rentabilität, Sicherheit und Liquidität anlegt werden sollen, sondern auch "Environment, Social and Governance" (ESG). Letzteres bezeichnet Bewertungsmaßstäbe für Unternehmen in den drei Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Das neue Gesetz könnte bis zu ein Fünftel der baden-württembergischen Investments von insgesamt 17 Milliarden Euro betreffen.
"Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sind im Gesetz für nachhaltige Finanzanlagen Baden-Württemberg explizit berücksichtigt. Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit eine signifikante Behinderung der Zielerreichung darstellen, werden vom Anlageuniversum ausgeschlossen", sagte Sebastian Engelmann, Leiter Kommunikation im Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg, gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Für die größten Finanzanlagen des Landes, den Versorgungsfonds und die Versorgungsrücklage, hat die Umsetzung längst begonnen. So wurde zum 17. März dieses Jahres die Index-Methodik der beiden Indizes umgestellt, nach denen die Aktien im Versorgungsfonds angelegt werden. "Sie erfüllt nun bereits die Vorgaben des Gesetzes und die entsprechende Umschichtung durch die Bundesbank ist erfolgt", so Engelmann.
Beim Versorgungsfonds gab es bereits konkrete Anlage-Entscheidungen, welche die Vorgaben des neuen Gesetzes berücksichtigt haben. Die Bundesbank hat im Aktienbereich etwa 30 Prozent der Titel des Vorgänger-Index veräußert und neue Titel erworben. "Im Bereich der Anleihen war nur die Veräußerung einer finnischen Staatsanleihe erforderlich, weil das Portfolio aus Staatsanleihen und Pfandbriefen ansonsten nicht von den gesetzlichen Vorgaben betroffen war", so der Sprecher des baden-württembergischen Finanzministeriums.
15 bis 20 Prozent müssen neu investiert werden
Bei der anderen großen Finanzanlage von Baden-Württemberg, der Versorgungsrücklage, laufen bereits notwendigen konzeptionellen Vorbereitungen durch die beiden beauftragten Vermögensverwaltungsgesellschaften. "Bis Ende des Jahres erfolgt auch für die Versorgungsrücklage die Veräußerung von Titeln, die nach dem neuen Gesetz ausgeschlossen werden müssen, und die Berücksichtigung der neuen Optimierungskriterien, zum Beispiel der Treibhausgasintensität, im Berichtswesen", so der Sprecher.
Auch wenn bei etwa 15 bis 20 Prozent der Anlagen Umschichtungen notwendig sein werden und auch wenn die Umsetzung bereits begonnen hat, soll die Umschichtung nicht von heute auf morgen erfolgen, auch weil Verluste vermieden werden sollen, die durch übereilige Käufe und Verkäufe von Wertpapieren entstehen könnten. "Das Tempo der Umsetzung legt jede für eine Finanzanlage zuständige Stelle selbst fest", sagt Tengelmann. "Das Gesetz sieht eine werterhaltende Umsetzung vor und setzt keine feste Frist."
"Die aufgrund des Klimawandels notwendige ökologische Transformation unserer Wirtschaft ist wahrscheinlich die größte Herausforderung unserer Zeit. Dem Finanzmarkt und dem dort investierten Vermögen kommt hierbei eine Schlüsselfunktion zu. Wir als Land können mit unseren eigenen Investitionsentscheidungen unseren Teil beitragen", sagte im letzten Jahr Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Und sein Finanzminister Danyal Bayaz sagte gegenüber der FAZ, dass sich das Gesetz vor allem auf Energie-Investments auswirken soll, nicht aber auf die Beteiligung des Landes am Energieversorger EnBW.
"Anlagen im Energiesektor sind vor allem deshalb stark betroffen, weil sie in vielen Fällen auf fossiler Energie basieren", erklärt Engelmann. "Für fossile Energien sieht das Gesetz weitreichende Ausschlüsse vor. Deshalb ist natürlich der Energiesektor betroffen, sofern die betreffende Finanzanlage vor der Umsetzung des Gesetzes noch keine Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt hatte. Baden-Württemberg hat im Bereich von Versorgungsfonds und Versorgungsrücklage jedoch bereits in den Jahren ab 2017 Ausschlüsse für fossile Energien vorgenommen, sodass in diesem Bereich die Anpassung bereits erfolgt war."
Auch US-Staatsanleihen sind nicht nachhaltig
Die neuen ESG-Maßstäbe in Baden-Württemberg haben sogar dazu geführt, dass US-Staatsanleihen auf der Schwarzen Liste gelandet sind. "Der Ausschluss der USA als Emittent erfolgt auf Grund der Nicht-Ratifikation internationaler Abkommen, die in unserem Gesetz aufgelistet sind", sagt Engelmann. Ein Beispiel dafür sei das Abkommen gegen den Einsatz von Antipersonenminen. De facto habe sich in Bezug auf die USA aber keine Veränderung im Portfolio ergeben, "da zur Verhinderung von Wechselkursrisiken lediglich in Euro emittierte Staatsanleihen gehalten wurden beziehungsweise werden".
Während die Regelung bei US-Staatsanleihen noch nicht zu konkreten Umschichtungen in den baden-württembergischen Portfolios geführt hat, hat der Versorgungsfonds des Landes bereits eine finnische Staatsanleihe abgestoßen. "Im Falle Finnlands liegt für das Abkommen gegen den Einsatz von Streubomben keine Ratifikation vor", erklärt Engelmann den Schritt. Obwohl das EU-Parlament im Jahr 2009 alle Mitgliedstaaten zur Unterzeichnung des Abkommens aufgefordert hatte, haben Finnland, Estland, Lettland, Polen, Rumänien und Griechenland dies bisher nicht getan.
Der größte Teil der baden-württembergischen Schwarzen Liste betrifft jedoch nicht Staatsanleihen, sondern Aktien und Anleihen von Unternehmen. "Die Regelungen zu Staatsanleihen betreffen nicht Aktien oder Anleihen aus den jeweiligen Ländern", so Engelmann. Das Gesetz für nachhaltige Finanzanlagen in Baden-Württemberg schreibt die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, die Taxonomieverordnung der Europäischen Union und das Pariser Abkommen zum Klimawandel (1,5-Grad-Ziel) als Grundlage für künftige Anlageentscheidungen in dem Bundesland fest.
Sich auf internationale Verträge zu stützen, um Schwarze Listen für das Portfolio zu erstellen, ist "die einzige Möglichkeit, die wir haben, die einfach und objektiv ist", zitiert Bloomberg Arnim Emrich, den Leiter der Abteilung Treasury und Asset Management in Baden-Württemberg. Politischen Streit gab es deswegen kaum. "Wir haben in Deutschland noch kein klares Für und Wider bei ESG-Investitionen", so Emrich. "Hoffentlich wird es das auch nie geben, denn man sollte lieber eine Debatte über die verschiedenen Aspekte von ESG führen."
Kluft zwischen EU und USA beim Thema ESG wächst
In den USA werden die ESG-Prinzipien von führenden Mitgliedern der Republikanischen Partei, darunter auch der Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis, inzwischen als Teil der linken "Woke-Ideologie" betrachtet. Daher haben haben die dortigen Banken und Finanzunternehmen die Verwendung des Akronyms ESG inzwischen still und leise zu Grabe getragen. Mehr als ein Dutzend Gouverneure von US-Bundesstaaten wollen den Verweis auf ESG bei Investitionsentscheidungen sogar verbieten.
Der Sprecher des baden-württembergischen Finanzministeriums betrachtet generelle Verbotsforderungen der Berücksichtigung von ESG als "sachlich nicht nachvollziehbar". Denn die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Finanzanlage könne "sowohl eine wertegeleitete Entscheidung sein, als auch eine Optimierung von Risiko und Rendite". Und letzteres - die Optimierung von Risiko und Rendite - sei nun einmal eine Kernaufgabe von Pensionsfonds und den beauftragten Vermögensverwaltungsgesellschaften.
Dabei wäre dem Sprecher des baden-württembergischen Finanzministerium zufolge Kritik an der Finanzindustrie beim Thema "Environment, Social and Governance" durchaus angebracht, aber aus einem anderen Blickwinkel: "Derzeit besteht das größere Risiko weltweit darin, dass ESG im Marketing für Finanzprodukte genutzt wird, nicht aber zu substanziellen Veränderungen führt. Wir brauchen deshalb Standards und Transparenz, die verhindern, dass 'Nachhaltigkeit' bloßes Marketing ist."
"Die Kluft zwischen den politischen Entscheidungsträgern der EU und der USA wird immer größer", sagt daher Maia Godemer, Forscherin für nachhaltige Finanzen bei BloombergNEF. "Die politischen Entscheidungsträger in der EU sind inzwischen davon überzeugt, dass ESG-Risiken finanziell wesentlich sind, während in den USA eine solche Prämisse immer noch heftig diskutiert wird. Tatsächlich sehen einige US-Politiker ESG-Investitionsstrategien nur als eine Möglichkeit, eine linke politische Agenda voranzutreiben."
Baden-Württemberg wurde durch ein ähnliches Gesetz in Schleswig-Holstein inspiriert, das ebenfalls US-Staatsanleihen und Firmen verbietet, die fossile Brennstoffe nutzen. Und die Pensionsfonds von Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen investieren dieses Jahr bis zu 11 Milliarden Euro in am Pariser Abkommen orientierte Aktienindizes. "Wir zeigen, wie nachhaltige Geldanlagen möglich sind und dass die öffentliche Hand hier Vorbild und Impulsgeber sein kann und soll", sagte der hessische Finanzminister Michael Boddenberg in einer Mitteilung.