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Faktor-ETFs: Sind bis zu 1,5 Prozent Überrendite drin?

Lesezeit: 4 min
12.06.2023 09:10  Aktualisiert: 12.06.2023 09:10
Anleger wollen mit Faktor-ETFs marktneutrale Indizes wie den MSCI World schlagen. Ist das eine gute Idee?
Faktor-ETFs: Sind bis zu 1,5 Prozent Überrendite drin?
ETFs rentierten in den vergangenen Jahrzehnten relativ hoch. (Foto: iStock.com/gopixa)
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Die Finanzwissenschaft ist gespalten, was Faktor-ETFs angeht. Laut dem Finanzwissenschaftler Hartmut Walz gibt es eine „gewisse Mehrheit“, die dem Faktor-Investing ablehnend gegenübersteht. „Jedoch ist natürlich zu befürchten, dass ich als Wissenschaftler verzerrt wahrnehme“, schreibt der Professor der Hochschule Ludwigshafen gegenüber DWN. Ebenso könne es aber auch sein, dass die Anbieter der Faktor-ETFs optimistisch verzerrt seien, da sie an den Produkten verdienten.

Faktoren sind Eigenschaften von Wertpapieren, die zu einer ähnlichen Performance führen sollen – etwa in puncto Rendite und Kursschwankung. Langfristig sollen Überrenditen von 1 bis 1,5 Prozentpunkten pro Jahr gegenüber der generellen Marktentwicklung drin sein.

Insgesamt haben Forscher über 300 Faktorprämien identifiziert, wobei die meisten nicht als vielversprechend gelten. Mit am besten dokumentiert sind etwa Value (gering bewertete Unternehmen), Size (kleine Unternehmen), Income (Unternehmen mit hoher Dividendenrendite), Volatility (Aktien mit geringer Kursschwankung) und Momentum (Unternehmen mit steigendem Börsenwert). Untersucht man sehr lange Zeitreihendaten über 100 Jahre und mehr, rentierten solche Unternehmen um mehrere Prozentpunkte pro Jahr besser als der breite Aktienmarkt.

Zusatzkosten sind relativ gering

Hartmut Walz sieht indes Faktor-Investing, auch Smart-Beta-Investing genannt, kritisch. „Ich würde nicht dazu raten“, erklärt er. Ein Privatanleger begehe zwar keinen großen Fehler mit Faktor-ETFs, denn die Zusatzkosten seien relativ gering. „Es ist aber reine Spielerei mit einem nach Kosten minimal negativen Erwartungswert und etwas Streuung um das reine Beta.“

Forscher der London Business School untersuchten im Auftrag der Credit Suisse die Faktorprämien in 35 Industrie- und Schwellenländern von 1900 bis 2022. Demnach lag die Size-Prämie in den USA bei 2,0 Prozentpunkten (über einen Zeitraum von 97 Jahren). Kleine Firmen rentierten also 2,0 Prozentpunkte pro Jahr höher als der gesamte US-Aktienmarkt.

Deutlich besser performte auch Value mit 2,9 Prozentpunkten (96 Jahre), Income mit 1,6 Prozentpunkten (96 Jahre), Volatility mit 6,7 Prozentpunkten (60 Jahre) und Momentum mit 7,8 Prozentpunkten (96 Jahre). Auf globaler Ebene waren die Faktorprämien ähnlich hoch, allerdings reichten die Daten im Schnitt bloß über 40- bis 50-Jahres-Zeiträume (Size: 2,7 Prozentpunkte, Value: 1,8 Prozentpunkte, Income: 3,1 Prozentpunkte, Momentum: 8,3 Prozentpunkte).

Demnach ist also Momentum der Faktor, der langfristig am höchsten rentierte. Doch laut Hartmut Walz lässt sich der Faktor nicht abschöpfen. Momentum erfordere häufige Transaktionen, was die Strategie teuer mache. „Nach Kosten lohnt auch der Faktor ,Momentum’ wohl nicht“, erklärt er.

Der Size-Faktor sei ebenfalls entzaubert. „Ja, es gibt einen überwiegend positiven Small-Cap-Faktor. Jedoch um den Preis einer höheren Volatilität“, erklärt Walz. Er sehe die höhere Rendite als Risikoprämie für höheres Risiko. Um diese Volatilität zu kompensieren, müsse man den Aktienanteil senken und den Anteil schwankungsarmer Anlagen wie Tagesgeld erhöhen. Die stärkere Verwässerung mache den Small-Cap-Effekt aber wieder zunichte.

Value war 37 Jahre negativ

Walz kritisiert vor allem, dass Faktorprämien über lange Zeiträume negativ bleiben können – also dass ein Faktor-Index wie der MSCI World Value viele Jahre schlechter laufen kann als ein marktneutraler Index wie der MSCI World.

Laut den Forschern der London Business School war etwa die Value-Prämie 37 Jahre lang in den USA nicht zu beobachten (von 1987 bis 2020). Small Cap war 30 Jahre lang negativ (von 1946 bis 1975). Dividendenstarke Aktien rentierten 23 Jahre lang unterdurchschnittlich (von 1977 bis 1999) und Momentum 20 Jahre lang (von 2001 bis 2020). Die Forscher untersuchten dabei Daten für einen Zeitraum von knapp 100 Jahren.

Die langen Zeitspannen dürften den Anlagehorizont vieler Anleger übersteigen. Zudem berücksichtigen die Forscher nicht die höheren Kosten von Faktor-ETFs von circa 0,3 Prozentpunkten pro Jahr. Würde man diese einrechnen, würden die Zeitspannen noch länger.

„Selbst wenn es mal einen Faktor gäbe, der funktioniert, würde er durch Nutzung und massenhafte Nachahmung vom Markt schnell weg arbitriert“, argumentiert Walz weiter und fügt an: „Das ist das Problem mit dem Geheimtipp meiner preiswerten, tollen Pizzeria, der seit der Veröffentlichung im Internet nicht mehr funktioniert.“

Forscher berichteten denn auch wiederholt, dass Faktorprämien sinken, sobald Studien über diese erscheinen. Etwa untersuchten US-Wissenschaftler Studien zu 97 Faktoren, die in Top-Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Nach Erscheinen waren die Überrenditen um 58 Prozent geringer als in den Studien zuvor berichtet.

Erklärungen für Faktorprämien unzureichend

Laut den Forschern der London Business School ist außerdem unklar, warum Faktorprämien existieren sollten. Am stärksten seien die Erklärungen für den Size-Faktor. Aktien von kleinen Unternehmen fänden weniger Abnehmer und handelten darum mit einem Aufschlag für Illiquidität. Bei Value werde ein Risikoaufschlag vermutet, weil Unternehmen mit geringem Kurs-Gewinn- oder Kurs-Buchwert-Verhältnis unter Finanzdruck stünden oder schlechte Geschäftsaussichten hätten. Bei Momentum sei der Stand der theoretischen Forschung „bruchstückhaft und explorativ“.

„Die Theorie, warum solche Faktorprämien existieren sollten und welche Arten von Risiko sie belohnen ist zugegebenermaßen schwach“, fassen die Wissenschaftler zusammen und fügen an: „Verhalten kann sich zudem ändern, falls die Faktorprämien durch Verhaltensmuster erzeugt werden, insbesondere wenn das Bewusstsein für diese Faktoren und ihre Popularität steigen.“

Faktor-Anhänger raten daher zu sogenannten integrierten Multifaktor-ETFs. Diese kombinieren mehrere Faktoren in einem ETF, um zu verhindern, dass sich die Faktorprämien gegenseitig eliminieren oder eine einzige negative Faktorprämie die Gesamtperformance unter den Marktschnitt zieht.

Gleichwohl bescheinigt eine aktuelle Studie Multifaktor-ETFs eine enttäuschende Performance. „Diese Produkte konnten die marktbreiten, kapitalisierungsgewichteten Indizes – oder kostengünstige ETFs, die diese nachbilden –, in Bezug auf Rendite, risikobereinigte Rendite und Downside Protection weitgehend nicht übertreffen“, schreibt der Autor aus Barcelona. Er untersuchte die Performance von 54 Multifaktor-ETFs von der Auflage bis zum Jahr 2022. Allerdings reichten die Daten nur bis maximal 2014 zurück.

Hartmut Walz rät von Multifaktor-ETFs ebenfalls ab. „Mal ist der eine Faktor minimal positiv, mal der andere und am Ende gilt: Außer den (kleinen) Spesen ist nichts gewesen.“

                                                                            ***

Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

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