Politik

In Österreich liegt die FPÖ in allen Umfragen auf Platz 1

Lesezeit: 7 min
10.06.2023 08:33  Aktualisiert: 10.06.2023 08:33
Hierzulande herrscht helle Aufregung über den starken Zuwachs der AfD. Doch in Österreich liegt die FPÖ in allen Umfragen auf Platz 1 und war auch schon wiederholt in der Regierung. DWN-Kolumnist Ronald Barazon wagt eine Prognose für Deutschland.

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In Deutschland herrscht helle Aufregung über den spektakulären Zuwachs der AfD bei den Umfragen. Da drängt sich ein Blick nach Österreich auf. Die Partei, die der AfD entspricht, ist in der Alpenrepublik die FPÖ und diese liegt bei sämtlichen Umfragen bereits auf Platz 1 mit Abstand vor allen anderen Parteien und kann demnach mit 28 Prozent der Stimmen rechnen. Nach Friedrich Hebbel (1813 – 1863) ist Österreich eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält, man könnte aus dieser Einschätzung auch eine aktuelle Prognose für Deutschland ablesen. Die AfD war bisher noch nie Mitglied einer Regierung auf Bundes- oder Landesebene. Die FPÖ schon. Die rechtsradikale Gruppe war bereits zwei Mal Mitglied einer Bundesregierung und ist derzeit in drei Bundesländern Teil der regionalen Regierung. Eine Probe für Deutschland? Bundesweit liegt die AfD aktuell bei 18 Prozent, in den neuen Bundesländern hat die vom Verfassungsschutz kritisch beobachtete rechte Partei ähnliche Werte wie die österreichische FPÖ und sieht sich auf dem Weg in die dortigen Regierungen.

Die Rechten sind als Protestparteien immun gegen Skandale

Der Zustrom zu den Rechten ist eine Reaktion der Wähler auf die schwachen Leistungen der Regierungen. In Deutschland ist die Zustimmung zur Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf einem Tiefpunkt, in Österreich findet die Regierung aus ÖVP, dem Gegenstück von CDU/CSU, und den Grünen ebenfalls keinen Anklang mehr in der Bevölkerung. Dass allerdings die FPÖ derzeit – zumindest in den Umfragen auf Platz 1 – aufsteigen konnte, ist besonders erstaunlich. Erlebte doch die Partei nach dem sogenannten „Ibiza-Skandal“ einen spektakulären Absturz: Bei einem Treffen des früheren FPÖ-Parteiobmanns Heinz-Christian Strache mit einer vermeintlichen, russischen Oligarchin hatte sich der FPÖ-Politiker bereit gezeigt, als Gegenleistung für eine großzügige Parteispende eine Reihe von Gesetzen zu brechen und die Regeln der Parteienfinanzierung zu umgehen. Außerdem wollte er die größte Tageszeitung des Landes mit Hilfe der Oligarchin unter Kontrolle bringen. Das Treffen fand 2017 statt, wurde geheim gefilmt, 2019 wurde das Video publiziert und führte zum Ende der damaligen Koalition von ÖVP und FPÖ. Die FPÖ schien am Ende zu sein.

Bei Protestparteien fragt man nicht nach der Regierungsfähigkeit

Dass jetzt, nur dreieinhalb Jahre später, die FPÖ wie Phönix aus der Asche aufersteht und an die Spitze der Parteienlandschaft aufrückt, zeigt die tatsächliche Befindlichkeit der Bevölkerung: Die FPÖ wird vor allem als Opposition gegen die Regierung erlebt, gegen die Regierung, mit der man unzufrieden ist, weil sie nicht in der Lage ist, die akuten Probleme zu lösen. Ob die FPÖ imstande wäre, eine bessere Politik zu betreiben, steht kaum zur Debatte. In der 2019 geplatzten Regierung war der jetzige Parteiobmann, Herbert Kickl, Innenminister und betrieb unter anderem die Zerstörung des Bundesverfassungsschutzes. Wohl nicht zufällig: Dieses Amt hatte die rechtsradikalen, schlagenden Burschenschafter im Visier, die die Nationalsozialisten gerne in Liedern besingen und die FPÖ unterstützen. Kickls Vergangenheit als Minister ist keine Empfehlung für eine Rückkehr in die Regierung. Jetzt will er Bundeskanzler werden.

Die Rechten möchten von der Oppositionsrolle in die Regierung wechseln

Kickl zeichnet eine scharfe Rhetorik aus, mit der er in flammenden Reden die anderen Parteien als unfähig und korrupt brandmarkt. Die Hauptbotschaft: Die lange dominierende SPÖ habe die kleinen Leute verraten und nur seine Partei würde sich für die Bezieher kleiner Einkommen und die Arbeitslosen einsetzen, dafür eintreten, dass man sich die Mieten leisten könne, und die Inflation bekämpfen. Tatsächlich gewinnt die FPÖ in Arbeiterbezirken zu Lasten der SPÖ. Kickl hat begriffen, dass diese plakativen Botschaften zwar die Unzufriedenen im Land ansprechen, dass sie aber nicht genügen, um tatsächlich eine Mehrheit von über 50 Prozent zu erringen. Deswegen versucht er neuerdings, konkrete politische Konzepte zu vermarkten. Man ist an den Bundessprecher der AfD, Tino Chrupalla, erinnert, der gerne den Wandel seiner Bewegung von einer Oppositions- zu einer Regierungspartei betont.

Die Sehnsucht nach der guten, alten Zeit nach 1945

Womit sich die Frage stellt: Was ist denn rechte Politik? Was würden die Rechten tun, sollten sie die Regierung übernehmen? Im politischen Alltag werden die Rechten vereinfacht als Neuauflage der NSDAP eingestuft, wozu sie selbst gerne beitragen, weil sie immer wieder unbekümmert die Verbrechen der Nazis bagatellisieren und sich dann wenig glaubwürdig von dieser Richtung distanzieren. Dieses Geplänkel lenkt aber von den aktuellen Zielen der Rechten ab. Als Generallinie wird eine Parole verfolgt, die auch schon der umstrittene US-Präsident Donald Trump verwendet hat: Wir werden die guten, alten Zeiten wiederherstellen.

Gemeint ist die Nachkriegszeit, in der es in Deutschland und Österreich ständig bergauf ging, in der das Wirtschaftswunder in beiden Ländern gelang. Die Aufbruchsstimmung dominierte und wurde von der Politik positiv gestützt. Allerdings hatten an dieser Erfolgsgeschichte weder die FPÖ noch die AfD einen Anteil. Somit ist die Botschaft skurril: Wären wir an der Macht, dann wäre alles so wie damals. Die aktuellen Probleme seien nur so gravierend, weil die Politik nicht mehr die alten Rezepte anwendet.

Ohne es zu merken, verherrlichen die Rechten mit diesen Botschaften die Zeit des Eisernen Vorhangs, da die alte Bundesrepublik und Österreich gleichsam geschützte Werkstätten bildeten. West-Deutschland konnte sich international nicht rühren, weil es die Schuld an der Katastrophe von 1938 bis 1945 tragen und die Scherben beseitigen musste. Man verhielt sich neutral und möglichst ruhig. Österreich tat das Gleiche. 1955, nach dem Abzug aller Alliierten und vor allem der Sowjets aus Ost-Österreich, beschloss das Land unter dem Druck aus Moskau die immerwährende Neutralität als Bestandteil der Verfassung. Man beschäftigte sich mit dem Aufbau der Wirtschaft unter geschickter Anwendung einer kaum von Ideologien belasteten pragmatischen Politik.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989, der deutschen Wiedervereinigung 1990 und dem Ende der Sowjetunion 1991 war diese Ära zu Ende. Eine Wiederbelebung ist unrealistisch.

Radikaler Nationalismus, dichte Grenzen, Entmachtung der EU

Bei den Rechten dominiert ein radikaler Nationalismus, der Begriff Heimat wird eifrig strapaziert, vom globalen Dorf hält man nichts. Man will die Grenzen dichtmachen und an den deutschen und österreichischen Grenzübergängen wieder Kontrollen einführen, um die Zuwanderung zu unterbinden. Die EU will man zwar nicht beseitigen, aber die Rechte von Brüssel beschneiden und die nationalen Regierungen und Parlamente stärken. Die nationale Verteidigung soll intensiviert und in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt werden. Abschiebungen von illegal im Land angetroffenen Ausländern müssten schneller erfolgen.

Frauen zurück an den Herd und ins Kinderzimmer

Die Botschaft, man wolle doch unter sich bleiben, unter Deutschen und Österreichern, unbelästigt von Fremden, kommt bei Vielen gut an. Dass diese Ausrichtung allerdings mit einer fundamentalen Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die Rechten verbunden wäre, wird kaum beachtet. Keine Zuwanderung bedeutet, dass die Deutschen und Österreicher mehr Kinder bekommen müssen. Derzeit würde die Wirtschaft ohne ausländische Arbeitskräfte schlagartig zusammenbrechen, das soll nach den Vorstellungen der Rechten in Zukunft anders werden. Um dieses Ziel zu erreichen, will man die bunte Realität der aktuellen Gesellschaft beseitigen: Eltern-Paare, bei denen beide arbeiten, Single-Haushalte, Patch-Work-Familien, Scheidungen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften und die sonstigen Erscheinungsformen des modernen Lebens lehnen die Rechten ab.

Die Konsequenz: Die Emanzipation der Frauen wäre zu korrigieren, die Paare müssten viele Kinder bekommen, die selbstverständlich von den Müttern zu betreuen wären. Das traditionelle Familienbild hätte zu dominieren, Ehen wären offiziell zu schließen und nur schwer zu scheiden, freie Partnerschaften sollen ihren mühsam eroberten Sonderstatus verlieren. Gleichgeschlechtliche Beziehungen würde man bekämpfen. Es geht um eine Renaissance des Korsetts, das seit den sechziger Jahren gesprengt wurde. Die Gender-Politik, die Frauen und Männer als gleichwertige TrägerInnen der Gesellschaft versteht, würde man beenden.

Die absurden Kapriolen der Grünpolitik stärken die Rechten

Wasser auf die Mühlen der Rechten ist die mittlerweile in allen anderen Parteien angekommene Grünpolitik, die zu absurden Kapriolen führt. Das Schließen der Öl-, Kohle- und Atomkraftwerke und letztlich auch der Gasanlagen bei gleichzeitigem Import von Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen ist absurd. Das leuchtet ein. Dass laute Windanlagen kein Gewinn für die Menschen, die Tiere und die Landschaft sind, auch. Dass Sonnenkollektoren an trüben Wintertagen wenig heizen, ist ebenfalls naheliegend. Seit Jahren werden die rechten Parteien in Europa von Russland subventioniert, um die EU zu destabilisieren. Jetzt bedanken sie sich für die Spenden aus Moskau mit einer Kampagne gegen die Russland-Sanktionen und für den weiteren Import von Öl und Gas aus Russland. Im Sinne ihres deutschen Nationalismus sind sie gegen die Ukraine-Hilfe, die österreichischen Rechten erinnern ständig an die in der Verfassung verankerte Neutralität, die auch im Krieg zwischen Russland und der Ukraine eingehalten werden müsse.

Auffällige Parallelen zwischen den Grünen und den Rechten

Die eifrigsten und schärfsten Gegner auf der politischen Bühne sind die Grünen und die Rechten. Beide agieren mit plakativen Parolen, präsentieren ihre Positionen als einzig gültige Wahrheit und dulden keinen Widerspruch. Beide sind nicht bereit zu einer differenzierten Argumentation und können daher nur bedingt als Demokraten angesprochen werden. Eigentlich müssten die beiden Gegner Verständnis für einander zeigen.

Sie haben beide mit ihren simplen Botschaften Erfolg und setzen damit die traditionell staatstragenden Parteien CDU/CSU und SPD sowie ÖVP und SPÖ unter Druck. Mit den leider katastrophalen Folgen, dass nur mehr vom Klimaschutz und den Migranten die Rede ist und alle anderen, entscheidenden Themen vernachlässigt werden. Wodurch die Unzufriedenheit wächst und die Opposition punktet.

Die einstigen Großparteien halten die Schlagworte der Grünen und der AfD für ernst zu nehmende Argumente und übernehmen daher unkritisch die lautstark und vereinfacht ausgedrückten Proteste.

  • So gibt es bis heute keine intelligente Zuwanderungspolitik, die kontrolliert Menschen ins Land lässt und darauf besteht, dass sie die Sprache lernen und sich mit den hiesigen Lebensbedingungen vertraut machen. Statt ständig darüber nachzudenken, ob es sich um Personen handelt, die einen Anspruch auf Asyl haben, oder um Wirtschaftsflüchtlinge oder einfach um Immigranten, sollte man sich ernsthaft mit diesen Menschen auseinandersetzen. Man müsste von den erfolgreichen Einwanderungsländern Kanada und Israel lernen.

  • Statt aktionistisch und populistisch und unkoordiniert Klima-Ziele zu formulieren und beliebige Maßnahmen zu beschließen, wäre eine intelligente und konstruktive Energie- und Ressourcen-Politik zu betreiben. Nur ein Beispiel für viele: Es kann nicht sein, dass man in Europa tatenlos zusieht, wie die Wälder geplündert werden, weil die hohen Holzpreise enorme Gewinne ermöglichen. Die Holzpreise sind nur so hoch, weil in der von den Grünen ausgelösten Welle mehr Holz denn je verwendet wird, um zu heizen, zu bauen, die Wohnungen und Büros einzurichten. Dabei ist jeder Baum, der im Wald stehen bleibt, ein CO2-Speicher.

Wie lange lässt sich eine Teilnahme der AfD an einer Regierung verhindern?

Die Grünen haben es mit ihren Parolen schon geschafft, die Politik zu bestimmen, wie sich an der deutschen und an der österreichischen Bundesregierung ablesen lässt. Jetzt sind die Rechten auf dem Weg und schon denken in den einstigen Großparteien Strategen nach, wie man mit Hilfe der Rechten an der Macht bleiben könnte. Die jetzt in Deutschland geäußerten Erklärungen, dass man doch mit einer AfD nicht koalieren könne, werden nicht lange halten. Man sehe nur nach Österreich, wo die CDU-Schwester ÖVP bereits im Jahr 2000 und noch einmal 2017 eine Bundesregierung mit der FPÖ gebildet hat und derzeit in Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg gemeinsam mit der FPÖ regiert. Im Burgenland gab es von 1915 bis 1920 eine Koalition von SPÖ und FPÖ.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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