Wer dieser Tage durch Osteuropa fährt, bemerkt mit Sicherheit die großen Werbeplakate für neuartige Elektroautos an der Autobahn. Doch nicht etwa traditionsreiche Marken wie Skoda oder VW werden hier in erster Linie angepriesen, sondern vermeintliche Newcomer machen auf sich aufmerksam: BYD, NIO, MG werben mit edlen Elektrofahrzeugen, erstklassiger Technik und günstigen Preisen. Die chinesischen Autohersteller haben sich aufs europäische Festland gewagt und verzeichnen im In- und im Ausland einen Rekord nach dem anderen.
So stammen 80 Prozent aller neu registrierten Elektro-Fahrzeuge in China von chinesischen Herstellern. Das ist nicht nur eine empfindliche Niederlage für europäische Fabrikanten wie VW. Der deutsche Autobauer hatte zuletzt Autos im Wert von 24 Milliarden Euro nach China verkauft, ein Wert, der in den nächsten Jahren kontinuierlich sinken dürfte.
Die Autohersteller in China haben sich unabhängig gemacht und verfügen jetzt auch über die Produktionsmöglichkeiten, um ihre Autos im großen Stil zu exportieren. Mussten vor wenigen Jahren noch viele Teile und Maschinen importiert werden, hat es die chinesische Industrie geschafft, fast gänzlich autark zu werden.
Experten schätzen, dass im Jahr 2030 etwa 1,5 Millionen chinesische Autos in Europa abgesetzt werden könnten, was einem Marktanteil von 10 Prozent und einer Wertschöpfung von 24,2 Milliarden Euro bedeuten entspräche. Das wäre ein großer Gewinn für China und ein starker Einschnitt für den europäischen Automobilsektor, der durch seine Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen und hohen Produktionskosten den Anschluss zu verlieren droht. Doch die chinesische Expansion steht erst noch am Anfang.
BYD will 10 Prozent im deutschen Elektrosegment einnehmen
So will der erfolgreichste der drei Hersteller, BYD, mittelfristig bis zu 10 Prozent des Elektrosegments in Deutschland einnehmen. Von den insgesamt 550.000 verkauften Fahrzeugen im Jahr 2022 gingen rund 110.000 ins Ausland, vor allem Europa wird von der Geschäftsführung als Markt anvisiert.
Die Vorteile chinesischer Fahrzeuge liegen nicht mehr nur beim günstigen Preis. Experten unterstreichen die fortschrittliche Batterietechnik und Technologien zum autonomen Fahren aus China, beides könne sich problemlos mit der Technik etablierter Marken messen. BYD, MG und NIO erfüllen also die besten Voraussetzungen, um den preissensiblen Kunden in Europa ein hochwertiges Sortiment moderner Elektrofahrzeuge anzubieten.
Hochmoderne Autobatterie aus China
Die Elektro-Revolution aus China zerstreut derweil viele Zweifel, die sich hartnäckig über Elektroautos gehalten haben. So präsentierte die China Ampere Technology Company (CATL) auf der Automesse in Schanghai kürzlich ihre neuste Elektrobatterie, welche noch in diesem Jahr in Serie gehen soll. Diese könnte eine Leistung von 100 kWh mit einem geringen Zellgewicht von 200 kg erbringen, ein Meilenstein in der Elektromobilität.
Der Batteriehersteller sorgt mit seinen Kampfpreisen für Furore und versorgt große Autobauer wie Honda, Tesla und VW. So wird nicht nur der Absatz von Fahrzeugen, sondern auch der von Lithium-Ionen-Akkus von chinesischen Produzenten zunehmen. Dieser lag etwa in Deutschland schon bei knapp 40 Prozent und wird wohl weiter steigen. Der Bau einer riesigen Batteriefabrik durch CATL in Ungarn begründet die Fertigung chinesischer Technologie in Europa.
Auch Toyota kündigte eine leistungsstarke Autobatterie an, die Reichweiten von bis zu 1.500 Kilometern erlauben soll. Zudem will das japanische Traditionsunternehmen bis 2026 zehn neue Elektroautos auf den Markt bringen und eine moderne E-Auto-Plattform entwerfen.
Es bleibt abzuwarten, ob das Unternehmen sich gegen die chinesische Konkurrenz durchzusetzen vermag, denn obwohl Japan noch über einen technologischen Vorteil verfügt, expandiert China in atemberaubenden Tempo. Für die Europäer bedeuten solche Meldungen aber vor allem eines: Moderne Technik kommt zunehmend aus Asien, und immer seltener aus dem Westen.
Wird VW trotzdem profitabel bleiben?
Sind die Zeiten europäischer Autohersteller nun also vorbei? Ein Blick auf die Aktien zeigt zumindest, dass ein Kipppunkt erreicht wurde. So konnte VW seine sinkenden Absätze in China zwar mit Verkaufsoffensiven in Europa vorerst ausgleichen. Doch seinen Platz als größter Autoverkäufer in China musste das Unternehmen an BYD abgeben.
Bei VW sieht man die Entwicklungen jedoch gelassen. So kommentierte Ralf Brandstätter, Chef des Unternehmens, VW wolle einen Preiskampf mit China vermeiden, da nicht Verkaufszahlen, sondern der Profit letztendlich entscheidend sei. Man könne sich gut damit arrangieren, nicht mehr der größte Verkäufer zu sein, solange man am Wachstum des chinesischen Marktes teilhabe.
„Wenn wir es schaffen, im Jahr 2030 vier Millionen Fahrzeuge mit entsprechendem Profit abzusetzen, könnten wir sehr gut damit leben“, so Brandstätter. Ohnehin bliebe VW der größte internationale Autohersteller in China, sodass es irrelevant sei, ob ein nationales Unternehmen mehr Autos verkaufe.
Doch wie sieht es mit dem europäischen Markt als solchen aus? Tatsächlich ist der Druck hier viel größer als in den USA, die sich mit enormen Strafzöllen vor einer Expansion chinesischer Autohersteller zu schützen versuchen. Zudem basiert die europäische Autoindustrie zunehmend auf chinesischen Ressourcen und der hochmodernen Batterietechnik. Sofern diese Abhängigkeit bestehen bleibt, wird China immer einen Vorteil gegenüber den Europäern haben.
Was Anleger jetzt wissen müssen
Jahrelang konnten sich Anleger auf die beständigen Wachstumsraten von Aktien großer Automobilhersteller verlassen. Ähnlich wie Gold und profilierte ETFs war ein stetes Wachstum bei VW, BMW oder Mercedes geradezu garantiert. Doch die Disruption des Automobilmarktes könnte hier eine grundlegende Änderung bringen.
Zurzeit halten sich die Aktien der deutschen Autohersteller auf einem stabilen Niveau und verzeichnen leichte Wachstumsraten. Doch während etwa die Aktie von BYD in den letzten fünf Jahren einen erstaunlichen Sprung von 484 Prozent gemacht hat, verlor im selben Zeitraum die Volkswagen AG etwa 13 Prozent an der Börse.
Es kann daher durchaus lohnend sein, in die chinesischen Autohersteller oder Batterieproduzenten wie CATL zu investieren. Allerdings können staatliche Eingriffe wie die Auferlegung von Zöllen oder die Aussetzung der Subventionszahlungen für Elektroautos den vermeintlich zukunftssicheren Markt gefährden.