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Verursacht Tiefseebergbau mehr Umweltschaden als der Abbau an Land?

Lesezeit: 4 min
05.07.2023 09:12  Aktualisiert: 05.07.2023 09:12
Die Förderung begehrter Batteriemetalle ist ein ökologisches wie menschliches Desaster. Tiefseebergbau steht als vertretbare Alternative im Raum, doch neue Erkenntnisse schüren Zweifel.
Verursacht Tiefseebergbau mehr Umweltschaden als der Abbau an Land?
Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace" demonstrieren auf dem Pazifik in einem Schlauchboot vor dem Spezialschiff "Maersk Launcher" gegen den Rohstoffabbau in der Tiefsee. (Foto: dpa)

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Mittlerweile deklariert die EU 34 Mineralien mit dem Zusatz „kritisch“, allesamt solche, die auf Grund ihrer physikalischen Eigenschaften für den angestrebten Dekarbonisierungserfolg mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Das Prädikat „kritisch“ bezieht sich dabei auf die langfristige Versorgungssituation dieser Metalle, vor allem, da sich deren weltweite Produktion zum Großteil auf nur wenige Länder konzentriert, aber auch, da der jeweilige Rohstoff nur schwer substituierbar und/oder eine geringe Recyclingquote aufweist.

Nachfrageseite, Angebotsseite, Produktionsmethode: kritisch!

Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert in ihrer jüngsten Untersuchung massive Nachfragesteigerungen nach Materialien wie Kobalt, Grafit und Lithium. Während demnach die Nachfrage nach für die Energiewende erforderlichen Metallen bereits bis Ende dieser Dekade im Durchschnitt um das vier- bis sechsfache zunehmen wird, könnte der Kobaltbedarf in den kommenden 20 Jahren um das Zwanzigfache, der von Lithium sogar um das Vierzigfache ansteigen.

Im Gegensatz dazu liegt das Wachstum der Produktion von verschiedenen Hochnachfragemetallen deutlich unter dem Durchschnitt des Sektors. Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Herausforderungen bei der Deckung des steigenden Bedarfs an Rohstoffen für saubere Energietechnologien und unterstreichen die Notwendigkeit einer erhöhten Produktion dieser kritischen Metalle. Auch deren Angebotsseite sieht es prekär aus. Beispielsweise wird der Bedarf an Kupfer von aktuell 25 Mio. Tonnen pro Jahr bis 2030 auf voraussichtlich 40 Mio. Tonnen steigen, und Lagerstätten, die diesen gigantischen Bedarf decken könnten, fehlen nach derzeitigem Wissen schlicht.

Die leicht zugänglichen Ressourcen sind bereits weitgehend erschöpft, und die Suche nach neuen Bodenschätzen gestaltet sich teuer und technisch sehr anspruchsvoll. Experten zufolge werden bis zum nächsten Jahrzehnt jährlich etwa 6 Mio. Tonnen Kupfer fehlen. Die Nachfrage nach raffiniertem Kupfer wird bis 2040 voraussichtlich um 53 Prozent steigen, während das Angebot aus Minen nur um magere 16 Prozent zunehmen wird. Selbst wenn ausreichende Vorkommen entdeckt werden, dauert es Jahre, bis eine neue Mine in Produktion gehen kann, da die Bergbauinfrastruktur äußerst komplex ist.

Blickt man auf die Produktionsmethoden, mit denen die insbesondere für die führenden Industrienationen dieser Welt immer relevanter werdenden Rohstoffe gefördert werden, erhält das Attribut „kritisch“ noch einen ganz anderen Beigeschmack. Insbesondere bei den Seltenen Erden, die für Umwelttechnologien unverzichtbar sind, ist der Energieeinsatz im Vergleich zur Produktion anderer Metalle deutlich größer, darüber hinaus wird während der Förderung nahezu immer Radioaktivität freigesetzt und die Recyclingraten diese Rohstoffe spielen mit weniger als einem Prozent kaum eine Rolle.

Besonders in der Kobaltförderung sind die mit der Produktion verbundenen menschlichen Tragödien offensichtlich. Die lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen, unter denen häufig minderjährige Minenarbeiter zu Niedrigstlöhnen ausgebeutet werden, lassen sich treffend als "moderne Sklaverei" beschreiben. Neben diesen sozialen Problemen kennzeichnen tiefgreifende Umweltbelastungen diesen neuzeitlichen buchstäblichen Goldrausch.

Meeresbergbau als vertretbare Alternative?

Ausgesprochen hoffnungsvoll stimmte das Ergebnis einer Anfang des Jahres veröffentlichten Studie des Londoner Informationsanbieters Benchmark Intelligence, die die Umweltauswirkungen von Tiefseeförderprojekten in der riesigen, zwischen Hawaii und Mexiko befindlichen Clarion Clipperton Zone untersuchte. Dieses Gebiet von grob der doppelten Fläche Indiens gilt als das für den Meeresbergbau weltweit ertragreichste.

Schätzungen zufolge lagern dort etwa 21 Mrd. Tonnen kritischer Metalle, unter anderem Kupfer und Kobalt in faustgroßen Klumpen auf dem Meeresboden. Und tatsächlich zeigt die genannte Studie, dass der Rohstoffabbau auf dem Meeresboden die Umweltauswirkungen von Batteriemetallen deutlich verringert. Im Vergleich mit herkömmlichen Produktionsmethoden ergab sich, dass ein Unterwasserprojekt in nahezu jeder Auswirkungskategorie besser abschneiden würde.

Insbesondere in der Nickelproduktion wären die Auswirkungen dramatisch, hier könnten die üblichen Emissionen im Durchschnitt um 70 bis 80 Prozent reduziert werden. Was die Studie nicht untersuchte, war, wie die Soll-Seite der Gleichung aussieht. Eine solche, die sich mit den Auswirkungen des Tiefseebergbaus auf das dortige Ökosystem beschäftigt, kam nun heraus. Und diese könnte ein solches Vorhaben erheblich erschweren.

Tiefsee überwältigend artenreich

Befürworter des Tiefseebergbaus vertraten bislang die Meinung, dass die Kosten für die Gewinnung dieser Metalle auf dem Meeresboden, weit weg von Menschen und den noch reicheren Ökosystemen an Land, am niedrigsten sein würden. Immerhin brauchen keine Regenwälder abgeholzt oder indigene Völker umgesiedelt werden, auch Kinderarbeit ist ausgeschlossen. Die am 25. Mai diesen Jahres in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlichten Ergebnisse der Studie, die mehr als 100.000 Aufzeichnungen von jahrelangen Forschungsfahrten im Gebiet der Clarion Clipperton Zone auswertete, beschreibt jedoch sehr überraschend die Existenz von 6.000 bis 8.000 unterschiedlichen Meeresbewohnern, von denen etwa 5.000 der Wissenschaft bis zum jetzigen Zeitpunkt völlig unbekannt waren.

Zudem kamen die Forscher zu dem Schluss, dass die extremen Lebensbedingungen in diesem für den Unterwasserbergbau so lohnenswerten Wildnisgebiet die Entwicklung einiger Tiere begünstigt haben, die nirgendwo sonst auf der Erde zu finden sind, womit sie die Bedeutung dieses Ökosystems noch weiter herausstellten. Die große Hoffnung, mit der Tiefsee endlich einen Ort gefunden zu haben, an dem die für die Abkehr von fossilen Brennstoffen notwendigen Metalle ohne nennenswerte planetarische Kosten gewonnen werden können, scheint sich damit zerschlagen zu haben. Die Entdeckung von so viel Meeresleben zeigt eindrücklich, wie wenig über die grundlegende biologische Vielfalt dieser Regionen bekannt ist, trotz des jahrzehntelangen Interesses an deren Erforschung. Und sollte darüber hinaus dafür sensibilisieren, wie hoch die Kosten für erneuerbare Energien für das Leben auch unter Wasser sein könnten.

Abbau liegt erstmal auf Eis

Auf Grund der überraschenden Artenvielfalt haben bereits mehr als 700 Wissenschaftler und Politiker eine Pause bei der Erteilung von Tiefsee-Bergbaulizenzen gefordert. Zumindest so lange, bis belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse darüber vorliegen, inwieweit ein Abtragen der begehrten polymetallenen Knollen vom Meeresboden die dortige Tierwelt schädigt, und darüber hinaus, ob, und wenn ja, wann sich das Ökosystem von solchen Eingriffen wieder erholen kann. Realistisch betrachtet wird es niemals möglich sein, die Auswirkungen des Bergbaus, sei es an Land oder in der Tiefsee, auf null zu reduzieren.

Daher sollten die Anstrengungen darauf konzentriert werden, dessen globale Auswirkungen zu minimieren. Bislang wird in der Clarion Clipperton Zone kein kommerzieller Abbau betrieben, Umweltschützer und Bergbauexperten warten darauf, dass ein von der UNO gegründetes Gremium, die Internationale Meeresbodenbehörde, klare Regeln für den Unterwasserbergbau erlässt. Seitens der noch recht kleinen Tiefseebergbauindustrie herrscht Zuversicht, dort rechnet man damit, die Arbeit Ende 2024 oder Anfang 2025 aufnehmen zu können. Deren Gegner befürchten, dass diese Zeit nicht ausreichen wird, um eine sichere Durchführung zu gewährleisten. Bislang gibt es viele offene Fragen, vor allem hinsichtlich einer möglichen Überwachung und praktischen Durchsetzbarkeit der zu erlassenden Vorschriften.

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 

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