Seit die Federal Reserve vor über einem Jahr damit begann, die Leitzinsen immer weiter anzuheben, warnen Analysten und Investoren ohne Unterlass, dass die US-Notenbank damit eine Rezession auslösen würde. Einige Investoren versuchen dabei absichtlich Panik zu schüren, da eine drohende Rezession die Notenbank im Hinblick auf die Zinspolitik zum Einknicken zwingen könnte. Denn fallende Zinsen oder gar eine Wiederaufnahme der Wertpapierkäufe (QE) würden die Finanzmärkte nach oben treiben.
Die von der Federal Reserve unerbittlich fortgesetzte Anhebung der Zinsen von 0,38 Prozent im März letzten Jahres auf aktuell 5,13 Prozent hat den Investoren festverzinslicher Geldanlagen massive Verluste zugefügt. Aber auch allen anderen Geldanlagen stehen durch die hohen Zinsen unter Druck. Zugleich zeigt die US-Wirtschaft keine Zeichen einer Rezession. Vielmehr hat sich das Wirtschaftswachstum sogar beschleunigt, sodass eine Abkehr der Notenbank von ihrer geldpolitischen Straffung vorerst nicht zu erwarten ist.
Wie unerwartet gut es um die US-Wirtschaft steht, zeigte auch die jüngste Schätzung des U.S. Bureau of Economic Analysis, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Die Behörde schätzt die inflationsbereinigte Wachstumsrate für das erste Quartal nun auf 2 Prozent, das ist deutlich mehr als in ihren bisherigen Schätzungen. Als einen Grund nennt sie unter anderem ein sprunghaftes Wachstum der Verbraucherausgaben um real 4,2 Prozent. Dies war der schnellste Konsumanstieg seit der Auszahlung der Konjunkturpakete im ersten Quartal 2021.
US-Handelsdefizit geht wieder zurück
Als weiteren Grund für die erhöhte Wachstumsprognose nennt das Bureau of Economic Analysis das abnehmende Handelsdefizit. Denn Exporte führen zu einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts, während Importe das BIP vermindern. Dem BEA zufolge stiegen im ersten Quartal die US-Exporte von Waren und Dienstleistungen mit 7,8 Prozent deutlich schneller, als in einer früheren Schätzung erwartet, und zugleich nahmen die Importe mit 2 Prozent langsamer zu, als in einer früheren Schätzung erwartet.
Zwar betrug das US-Handelsdefizit im ersten Quartal immer noch mehr als 1,2 Billionen Dollar. Doch ein Jahr zuvor waren es noch 1,5 Billionen Dollar. Der Rückgang des Handelsdefizits ist eine Normalisierung, nachdem es während der Corona-Pandemie auf Rekordwerte angestiegen war, weil die Verbraucher die staatlichen Konjunkturhilfen für den Konsum importierter Waren ausgaben, während zugleich die Exporte aus den USA zurückgingen. Diese Verzerrung hat sich im Verlauf des letzten Jahres langsam wieder abgebaut, auch wenn das Defizit im ersten Quartal weiterhin ungewöhnlich hoch war.
Staat und Unternehmen investieren mehr
Die staatlichen Ausgaben stiegen im ersten Quartal um 5 Prozent, es war das dritte Quartal in Folge mit Zuwächsen nach zuvor fünf Quartalen mit Rückgängen. Dies gilt sowohl auf Bundesebene, als auch für die Bundesstaaten und die Kommunen. Die staatlichen Ausgaben enthalten keine Transferzahlungen und andere direkte Zahlungen an die Verbraucher wie Konjunkturprogramme, Arbeitslosenunterstützung oder Sozialversicherungsbeiträge, die zum BIP gezählt werden, wenn Verbraucher und Unternehmen diese Zahlungen des Staates ausgeben oder investieren.
Als weiteren Grund für den Anstieg der realen Wirtschaftskraft im ersten Quartal nennt das Bureau of Economic Analysis die gestiegenen "Anlageinvestitionen ohne Wohngebäude". Zwar sind die privaten Bruttoinlandsinvestitionen binnen Jahresfrist um 11,9 Prozent gesunken, doch auch dies ist etwas weniger schlimm als in der vorherigen Schätzung von minus 12,5 Prozent. In einem Monat wird das BEA seine erste BIP-Schätzung für das zweite Quartal veröffentlichen. Und die bisher veröffentlichten Zahlen deuten auch weiterhin nicht auf eine Rezession hin.
US-Wirtschaftswachstum keine Überraschung?
Eigentlich sollte das unerwartet starke Wirtschaftswachstum in den USA keine Überraschung sein, schreibt der Analyst Wolf Richter. Denn die Billionen von Dollars, die während der Pandemie gedruckt und verteilt wurden, seien immer noch auf allen Ebenen im Umlauf und zusammen mit stark steigenden Löhnen ausgegeben werden und die Inflation und das Wirtschaftswachstum weiter anheizen. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass die Rezession in Europa keine notwendige Folge der hohen Zinsen ist, sondern entscheidend auf die Energiepolitik zurückzuführen ist.
Das von der BEA prognostizierte Wachstum von 2 Prozent im ersten Quartal liegt weit über der Schätzung der Federal Reserve in Höhe von 1 Prozent für das Gesamtjahr 2023. Und schon mit nur 1 Prozent Wirtschaftswachstum erwartete die große Mehrheit der Teilnehmer auf der letzten Fed-Sitzung mindestens zwei weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr. Wenn die Wirtschaft nun aber stärker wächst, als von der Notenbank erwartet, so öffnet dies möglicherweise sogar Spielraum für noch weitere Zinsanhebungen im erklärten Kampf gegen die Inflation.
Als Reaktion auf das stärker als erwartet ausgefallene Wirtschaftswachstum in den USA stiegen die Renditen von US-Staatsanleihen am Donnerstag umgehend sprunghaft an. Die zehnjährige Rendite sprang um etwa 15 Basispunkte auf 3,86 Prozent, die zweijährige Rendite stieg um 18 Basispunkte auf 4,89 Prozent, den höchsten Stand seit dem letzten Handelstag vor dem offiziellen Beginn der Bankenkrise. Denn eine starke Wirtschaft bedeutet, dass die Fed die Zinsen voraussichtlich höher anheben und über einen längeren Zeit höher halten wird.