Im Nachgang der chaotischen, aber überraschend kurzlebigen, Meuterei in Russland am vorvergangenen Wochenende behielten die Händler die Nerven, tatsächlich gingen die Märkte praktisch umgehend wieder zu „Business as usual“ über. Der Ölpreis blieb stabil, Gold lies eine auf den einschlägigen Edelmetallforen bereits herbeigeredete (herbeigesehnte?) Risikorally vermissen, die Aktienmärkte waren entspannt, und auch der Rubel machte seine Verluste wieder wett. Stattdessen bleiben die Anleger bei Ihren bisherigen Themen und konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Widerstandsfähigkeit der westlichen Volkswirtschaften gegen weitere Zinserhöhungen, die besorgniserregende Nicht-Entwicklung Chinas sowie den zukünftigen Zinspfad vor allem der USA.
Geschichte reimt sich
So nimmt es wenig wunder, dass sich die Blicke schon bald wieder beinahe vollständig gen Westen richteten. Die alljährlich im Portugiesischen Sintra stattfindende Klausurtagung der Europäischen Zentralbank fesselte die Marktakteure in jedem Fall mehr als die etwas inszeniert wirkenden Ereignisse vor Moskau. Ketzerisch gesagt, hätte man sich dieses Treffen der Zentralbankchefs aus Europa, den USA und Japan aber beinahe sparen können, wenn man bedenkt, wie sehr die Umstände denen des Treffens vom vergangenen Jahr ähnelten.
Auch 2022 sprach der Vorsitzende der US-Notenbank, Jerome Powell, an gleicher Stelle über einen zu heißen Arbeitsmarkt und erklärte, dass zwar die Gefahr bestehe, es mit der Straffung der Geldpolitik zu übertreiben, die Schmerzen durch eine anhaltend hohe Inflation jedoch schlimmer seien. Fed, EZB und BoE betonten auch damals ihr Engagement, die Verbraucherpreise wieder auf 2 Prozent drücken zu wollen. Außerhalb von Sintra gab es damals wie heute Befürchtungen, dass die Zentralbanker es mit ihren Dämpfungsbemühungen tatsächlich übertreiben könnten. Nobelpreisträger Paul Krugman erklärte sogar, dass die Fed die größte Gefahr für die US-Wirtschaft darstelle.
Die Wirtschaftsexperten von JPMorgan prognostizierten, dass die Zentralbanker schließlich „empfindlich auf Wachstumsenttäuschungen reagieren“ und die Zinserhöhungen einstellen würden – die Fed bei 3 Prozent, die EZB bei 1 Prozent und die BoE bei 2 Prozent. So kam es zwar nicht, heute liegen die jeweiligen Leitzinsen deutlich darüber und auch die Inflation bewegt sich nach wie vor hartnäckig über den Zielwerten. Eine der Erkenntnisse aus dem Verlauf des vergangenen Jahres ist aber die, dass sich die Volkswirtschaften offenbar als weitaus widerstandsfähiger gegenüber Zinserhöhungen erweisen, als die meisten erwarten.
Dementsprechend vermittelten sowohl Christine Lagarde als auch Amtskollege Powell die klare Botschaft, dass der laufende Zinserhöhungszyklus keineswegs zu Ende sei. Banken wie Morgan Stanley rechnen mit der nächsten US-Zinserhöhung bereits in diesem Monat. Mittlerweile herrscht unter Marktteilnehmern Konsens darüber, dass die Fed noch in diesem Jahr zwei weitere Zinserhöhungen vornehmen wird. Das ist ein bemerkenswerter Wandel, denn immerhin wurden noch im Juni Zinssenkungen für 2023 eingepreist.
USA stehen vergleichsweise gut da
Berufsoptimisten wie US-Präsident Joe Biden und seine Finanzministerin Janet Yellen vertreten wohl naturgemäß die Meinung, dass die USA eine Rezession vermeiden werden. Aber auch das Marktgeschehen deutet darauf hin, dass sich die Fed wieder auf die Inflation konzentrieren wird und weniger über bremsende Zinsen besorgt ist. Blickt man auf die aktuellen US-Wirtschaftsdaten, so zeigt sich, dass sich die USA offenbar nicht nur nicht in einem Abschwung befinden, sondern sie sich, ganz im Gegenteil, zu stabilisieren und in Teilen zu verbessern scheinen.
Ein deutlich über den Erwartungen gewachsenes BIP, fallende Anträge auf Arbeitslosenunterstützung, steigende Auftragseingänge für langlebige Güter, wieder anziehende Verkäufe neuer Häuser, wachsendes Verbrauchervertrauen und gute Konjunkturumfragen zeichnen das Bild einer bemerkenswert widerstandsfähigen US-Wirtschaft.
Gleichzeitig bleibt der Preisdruck hoch, sowohl in den USA als auch im Euroraum, wo sich die Kerninflation im Juni erneut beschleunigt hat. Angesichts der ökonomischen Ausgangslage wird die notwendige Medizin für die USA jedoch deutlich leichter zu schlucken sein, Europa dürfte sie noch kränker machen. Die wirtschaftliche Dynamik ist im Euroraum im Juni bereits fast gänzlich zum Stillstand gekommen, was ein Ende des Aufschwungs signalisiert, den der Block seit dem Wintereinbruch gezeigt hat. Der von S&P Global ermittelte Einkaufsmanagerindex fiel auf ein Fünfmonatstief von 50,3.
In Deutschland hat die Konjunktur im Juni deutlich mehr an Schwung verloren als erwartet, was auf eine Verlangsamung des Dienstleistungssektors und eine anhaltende Schwäche in den Fabriken des Landes zurückzuführen ist. Vom weiten Blick gen Osten, nach China, ganz zu schweigen. Dessen wirtschaftliche Probleme nehmen weiter zu. Die chinesische Wirtschaft hat im Juni weiter an Fahrt verloren, vor allem, da das verarbeitende Gewerbe schrumpft und andere Sektoren überhaupt nicht in Schwung kommen. Die derzeitige Entwicklung könnte nicht nur zu einem enttäuschenden Wachstum führen, sondern auch die Dynamik der Wirtschaft gefährden, die im Begriff war, die USA zu überholen.
Datenlage bleibt fragil
Diese Gemengelage stärkt zum einen den US-Dollar und führt gleichzeitig zu zunehmender Verkaufsneigung im Anleihesegment. Erste Investmentbanken wagen sich bereits aus der Deckung und blasen zum Angriff. JPMorgan machte am vergangenen Freitag die Auflösung seiner Longpositionen vor allem kurzer und mittlerer Laufzeiten öffentlich. Der Abstand zwischen den Renditen der 2- und 10-jährigen US-Staatsanleihen liegt nun auf dem höchsten Stand seit 1981, was trotz offenkundig guter Datenlage unterschwellig Rezessionsbefürchtungen widerspiegelt.
Sollten aus dieser Richtung Überraschungen eintreten, stünden die zwei nun für dieses Jahr schon eingepreisten Zinserhöhungen wohl wieder zur Diskussion. Ein Vorgeschmack gaben die ISM-Zahlen zum Wochenstart, die, unerwartet tief auf 2020er April/May Corona-Schock-Niveau liegend, direkt zu sicherheitsgetriebenen Gold- und Anleihekäufen sowie Dollarabgaben führten. Die Märkte bleiben nervös und, ebenso wie Jerome Powell selbst, sehr datenaffin.
Rohstoffmärkte uneinheitlich
Blickt man auf den gesamten Sektor, so zeigt sich dieser grundsätzlich unaufgeregt aber insgesamt mit weiterhin Zug nach unten. Immerhin probt der Markt auf die breiten Indizes bezogen die Bodenbildung und scheint in Sachen Rezessionssorgen zumindest eine neutrale Haltung einzunehmen. Einzelne Rohstoffe schlagen auf Grund ganz eigener Preistreiber ein wenig aus der Art, im Agrarsektor beispielsweise Mais (wetterbedingt erst Rally, dann Absturz) oder auch Kupfer, auf dessen vollkommen intakter bullischer Situation samt extrem niedriger Lagerbestände die aktuelle China-Story lastet. Mit Beginn der „Driving-Season“ in den USA bekommen Rohöl und Ölderivate eine weitere fundamentale Stütze, neben sich mehrenden Anzeichen für ein beginnendes Umsetzen der vereinbarten OPECplus-Förderkürzungen durch Russland.
Am Goldmarkt zeigt der mittlerweile zehnte Tag in Folge mit ETF-Abflüssen, dass dieser Markt die Investorengunst immer noch nicht zurückgewinnen konnte, auch nach in der Spitze mehr als acht Prozent Preisverfall seit Erreichen des Beinahe-Allzeithochs vor gut zwei Monaten. Offensichtlich konzentriert sich die physische Nachfrage für Gold zunächst auf den weltgrößten Verbraucher (China), und dessen Wirtschaft kämpft derzeit um eine positive Wende. Bevor die Goldpreise auf die Signale einer verbesserten physischen Goldnachfrage in China reagieren, dürfte der Kupfermarkt Anzeichen für eine deutliche Verbesserung der chinesischen Nachfrage zeigen, so dass Kupfer als Frühindikator für den Goldtrend dienen könnte.