Politik

Ungarns Außenminister: Westeuropa ist bei der Migration „gescheitert“

Die Migrationspolitik Westeuropas sei gescheitert und führe langfristig zu Krawallen und Menschenhandel, heißt es aus Ungarn, Was dahintersteht lesen Sie hier:
18.07.2023 08:19
Aktualisiert: 18.07.2023 08:19
Lesezeit: 3 min
Ungarns Außenminister: Westeuropa ist bei der Migration „gescheitert“
Es herrscht Uneinigikeit: Außenministerin Annalena Baerbock, Zbigniew Rau, Außenminister von Polen und Peter Szijjarto, Außenminister von Ungarn, nehmen am 17. Juli an einer Sitzung des Sicherheitsrates zur Lage in der Ukraine teil, im Hauptquartier der Vereinten Nationen. (Foto: dpa) Foto: Mary Altaffer

Frankreich wurde nach dem Tod eines nordafrikanischen Jugendlichen durch die Waffe eines Polizisten von heftigen Krawallen erschüttert. Während die Administration die Unruhen relativierte, wuchs die Empörung in Osteuropa. Brüssel sei der größte Verursacher von Menschenhandel und Unruhen durch immigrierte Parallelgesellschaften, heißt es etwa von Außenminister Szijjártó aus Ungarn. Der Zwist zwischen Europas Westen und Osten könnte zu einem regelrechten Bruch in der Gemeinschaft der EU-Staaten führen, aber auch zu einem Umdenken westeuropäischer Politiker.

Brüssel: Verursacher von Menschenhandel und Krawallen?

Brennende Autos, verletzte Polizisten und Demonstranten — die Bilder aus etlichen französischen Städten sorgten europaweit für Unbehagen. Zwar ist Frankreichs Bevölkerung für ihren Hang zu Protest und Demonstration bekannt, an Phänomene wie die Krawalle der Gelbwesten oder die Unruhen Frankreichs von 2005 haben sich mittlerweile auch westliche Beobachter gewöhnt.

Doch in jenem Tage, in denen die EU ihre Migrationspolitik diskutiert, macht sich ein tiefer Graben zwischen den westlichen und östlichen Mitgliedsstaaten der EU bemerkbar. Ein neuer Migrationspakt der EU wird von Polen und Ungarn abgelehnt, denn es sei eben jene Migrationspolitik, die zu dem Entstehen von Parallelgesellschaften, Menschenhandel und letztlich Krawallen führe. Ungarns Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó bezeichnete die Integrationsbemühungen in Westeuropa als klar „gescheitert“, es sei unmöglich, derart große Gruppen von Migranten, wie sie die EU derzeit einwandern lassen wolle, zu integrieren. Er bezog sich dabei auf die ethnische Herkunft der Unruhestifter in Frankreich, die in vielen Fällen aus Afrika und Arabien stammten und die einheimische Bevölkerung terrorisierten. Es würde keine Tragödie ausreichen, um die Potentaten Brüssels zur Vernunft zu bringen.

Nicht nur Terror und Krawalle, auch Menschenhandel stehe in enger Verbindung zu Brüssels Politik. Die Quotierungen der EU zur Aufnahme von Migranten in durch alle EU-Staaten sei letztlich ein Anreiz, der das Geschäftsmodell der Menschenschmuggler stärke, konstatierte der Politiker. Noch klarer formulierte es Ministerpräsident Orbán in Wien: Brüssel wolle in Ungarn Gettos für Migranten errichten. „Das können wir nicht zulassen! Die illegale Migration muss gestoppt, unsere Grenzen geschützt werden“, so der Minister.

Migration als Wundermittel: Ein Rezept des Westens

Ist es überhaupt alternativlos oder gar verantwortungsvoll, einen vermeintlichen Fachkräftemangel mit ungeregelter Migration zu beantworten? Tatsächlich stellt sich diese Frage in ganz Europa, sodass in vielen Staaten ein Wandel der Mentalität und manchmal auch der Zerfall politischer Strukturen beobachtet werden kann. Brüssel scheint fraglos von dem Immigrationskonzept der modernen USA überzeugt zu sein. Menschen seien gleich, junge Migranten brächten mehr Schwung in die Wirtschaft und retteten ihr Gastland vor der Vergreisung. Osteuropa und immer mehr Stimmen auch im Westen orientieren sich allerdings am südostasiatischen Beispiel. Länder wie Japan, China und Südkorea favorisieren keine Migration, sie wollen lieber bestehende Arbeitskräfte mobilisieren und mit technologischen Innovationen Arbeitsprozesse rationalisieren.

In Europa wird der gesellschaftliche Wandel immer deutlicher sichtbar. Einige Menschen begrüßen die Diversifizierung der Gesellschaft, andere lehnen sie ab. So brüsten sich Länder Osteuropas, insbesondere der Visegrád-Gruppe, die alten europäischen Werte zu schützen, während diese von Brüssel und Berlin diskreditiert würden. Und es ist offensichtlich, dass Unruhen wie jene in Frankreich nicht in Polen auftreten, dass es in Ungarn keine Krawalle in Freibädern gibt und im Baltikum kein Silvesterfest in massenhafte sexuelle Übergriffe unter den Augen der Polizei mündet.

Westeuropa zwischen Wandel und Zerfall

Szijjártó und Orbán wissen deshalb, dass sie mit ihren Äußerungen, die auch in Deutschland aufmerksam verfolgt werden, den Finger in die Wunde legen. Jüngste Krawalle in Deutschlands Freibädern, vorrangig von jungen Männern mit Migrationshintergrund verübt, führen zu mehr Migrationsskepsis vonseiten der Bevölkerung. Und es stellt sich die Frage, „drohen französische Verhältnisse auch in Deutschland", dem wohl einwanderungsfreundlichsten Mitgliedsstaat der EU?

Während deutsche Politiker wie Friedrich Merz nur zaghaft Kritik äußern und sich eher für mehr Polizeikräfte in Freibädern stark machen, fordern andere politische Instanzen Westeuropas eine härtere Gangart in der Migrationsdebatte. Das traditionell einwanderungsfreundliche Skandinavien fällt immer öfter durch seine Restriktionen in der Einwanderungspolitik auf, allen voran Dänemark und Schweden, welches durch Gangkonflikte in Städten wie Göteborg und Stockholm von seiner liberalen Haltung abgewichen ist und nun eher einen finnischen Weg favorisiert. Spanien erlebt einen Höhenflug seiner rechten Vox-Partei und Giorgia Meloni ist trotz ihrer Konzessionen gegenüber Brüssel eine der wichtigsten Kritikerinnen der ungezügelten Migration. Länder Westeuropas tun sich schwer mit solchen Kurswechseln, so zerbrach kürzlich die niederländische Regierung am Streit um die Neuausrichtung der Asylpolitik.

Auch Partner wie Österreich und Serbien stellen sich an die Seite Ungarns und fordern ein Ende der irregulären Einwanderung nach Europa. Diese ungewohnten Allianzen sollten in Brüssel nicht unbeachtet bleiben. Es wäre fahrlässig, jeder Stimme, die Brüssels Entscheidungen kritisiert, als kurzsichtig, nicht hilfreich oder gar als rassistisch zu brandmarken. Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union im Jahr 2016 war auch infolge der ungeregelten Migration nach der spontanen Grenzöffnung durch Berlin demokratisch beschlossen worden. Denn die Mitgliedschaft in der EU ist nicht alternativlos, und der Zusammenhalt der Gemeinschaft gilt heute als besonders fragil.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

avtor1
Virgil Zólyom

                                                                            ***

Virgil Zólyom, Jahrgang 1992, lebt in Meißen und arbeitet dort als freier Autor. Sein besonderes Interesse gilt geopolitischen Entwicklungen in Europa und Russland. Aber auch alltagsnahe Themen wie Existenzgründung, Sport und Weinbau fließen in seine Arbeit ein.

DWN
Technologie
Technologie KI im Jobmarkt: Die große Lüge von der Objektivität
04.07.2025

Algorithmen sollen neutral entscheiden – doch KI entlarvt sich im Personalbereich als versteckter Türsteher: Diskriminierung,...

DWN
Panorama
Panorama Grillmarkt in der Krise? Holzkohle wird teurer
03.07.2025

Grills verkaufen sich längst nicht mehr von selbst. Nach Jahren des Booms mit Rekordumsätzen schwächelt die Nachfrage. Händler und...

DWN
Finanzen
Finanzen Milliarden für Dänemark – Deutschland geht leer aus
03.07.2025

Dänemark holt 1,7 Milliarden DKK aus Deutschland zurück – ohne die deutsche Seite zu beteiligen. Ein heikler Deal im Skandal um...

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen im Visier: Schweiz plant Enteignung durch Erbschaftssteuer für Superreiche
03.07.2025

Die Schweiz steht vor einem Tabubruch: Kommt die 50-Prozent-Steuer auf große Erbschaften? Die Eidgenossen debattieren über ein riskantes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drogeriehandel: Wie dm, Rossmann und Müller den Lebensmittelmarkt verändern
03.07.2025

Drogeriemärkte verkaufen längst nicht mehr nur Shampoo und Zahnpasta. Sie werden für Millionen Deutsche zur Einkaufsquelle für...

DWN
Technologie
Technologie KI-Gesetz: Bundesnetzagentur startet Beratungsservice für Unternehmen
03.07.2025

Die neuen EU-Regeln zur Künstlichen Intelligenz verunsichern viele Firmen. Die Bundesnetzagentur will mit einem Beratungsangebot...

DWN
Panorama
Panorama Sprit ist 40 Cent teurer an der Autobahn
03.07.2025

Tanken an der Autobahn kann teuer werden – und das oft völlig unnötig. Eine aktuelle ADAC-Stichprobe deckt auf, wie groß die...

DWN
Politik
Politik Brüssel kapituliert? Warum die USA bei den Zöllen am längeren Hebel sitzen
03.07.2025

Die EU will bei den anstehenden Zollverhandlungen mit den USA Stärke zeigen – doch hinter den Kulissen bröckelt die Fassade. Experten...