Weltwirtschaft

Russlands wichtigste Ölsorte handelt erstmals über dem Preisdeckel

Lesezeit: 4 min
23.07.2023 11:07  Aktualisiert: 23.07.2023 11:07
Russland kann nun auch seine wichtigste Ölsorte Ural teurer verkaufen, als es die von den G7-Staaten verhängte Preisobergrenze vorsieht. Dies ist ein Erfolg für den Kreml und zeigt die schwindende Preismacht des Westens.
Russlands wichtigste Ölsorte handelt erstmals über dem Preisdeckel
Präsident Wladimir Putin erwartet höhere Einnahmen, nachdem nun auch das wichtige Ural-Öl den Preisdeckel von 60 Dollar durchbrochen hat. (Foto: dpa)
Foto: Valery Sharifulin

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Seit dem 5. Dezember letzten Jahres dürfen Unternehmen in der EU, den G7-Staaten und Australien russisches Rohöl nur dann transportieren und versichern, wenn der Preis unter 60 Dollar pro Barrel liegt. Für raffinierte Ölprodukte gibt es gesonderte Obergrenzen. Doch schon in den vier Wochen nach Einführung der Preisobergrenze lag der Durchschnittspreis für russisches Rohöl bei etwa 74 Dollar pro Barrel. Nur die wichtigste russische Rohöl-Sorte Ural erzielte an den Exportstellen in der Ostsee und im Schwarzen Meer bisher nur einen deutlich niedrigeren Preis. Dies hat sich nun geändert.

In den letzten Tagen ist der Ural-Preis erstmals über die westliche Preisobergrenze von 60 Dollar pro Barrel gestiegen, wie das Rohstoffdatenunternehmen Argus Media berichtet. Russland ist es nun offenbar auch bei seiner wichtigsten Ölsorte gelungen, die Sanktionen des Westens zu umgehen. Mit der Preisobergrenze zielte der Westen darauf ab, Russlands wichtigste Einnahmequelle zu beschneiden, ohne die russischen Produzenten vom globalen Erdöl-Markt zu verdrängen, was die Preise insgesamt niedrig halten soll.

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) lagen die russischen Einnahmen aus dem Ölexport im vergangenen Monat etwa halb so hoch wie ein Jahr zuvor. Die Obergrenzen auf russisches Rohöl und raffinierte Produkte, das Embargo der Europäischen Union auf russisches Öl sowie der jüngste Rückgang der Exporte haben die russischen Steuereinnahmen aus dem Energiesektor in diesem Jahr verringert. Doch die Überwindung der Preisobergrenze beim Ural-Öl verspricht dem Kreml nun wieder höhere Einnahmen.

Preis für Ural-Öl nähert sich Brent

Der Preisnachlass für Ural-Öl gegenüber der internationalen Referenzsorte Brent ist auf 20 Dollar pro Barrel gesunken. Damit ist der Abstand zwar immer noch viel größer als vor dem Krieg, aber nur noch halb so groß wie im Januar. Die Ural-Preise erhielten Auftrieb durch die hohe Nachfrage in Asien, wo die russischen Produzenten saudisches Öl verdrängen. Auch die Produktionskürzungen der Erzeugergruppe OPEC+, der Russland angehört, haben dazu beigetragen, dass die russischen Rohölpreise gestiegen sind.

Der Westen hat die Preisobergrenze bisher durchgesetzt, indem er die langjährige Abhängigkeit Russlands von der europäischen Schifffahrt und europäischen Versicherung als Druckmittel einsetzte. Doch die steigenden Preise deuten nun darauf hin, dass ein massives alternatives Netz von Tankschiffen entstanden, das die Sanktionen des Westens missachtet. "Dies war ein evolutionärer Prozess, und jetzt sehen wir die Ergebnisse", zitiert das Wall Street Journal Sergey Vakulenko, Analyst am Carnegie Russia Eurasia Center und ehemaliger Ölmanager in Russland.

Bereits im April hatte der Ural-Preis über mehrere Wochen nahe an der 60-Dollar-Marke gelegen, war dann aber wieder gesunken. Wahrscheinlich werden die russischen Unternehmen noch einige Zeit westliche Schiffe und Versicherungen benötigen, um einen Teil der mehr als 7 Millionen Barrel Erdöl zu verschiffen, die sie täglich exportieren. Und selbst wenn Russland sein Öl mithilfe einer "Schattenflotte" verkauft, könnten die Käufer aufgrund der Obergrenze einen erheblichen Preisnachlass aushandeln, sagt das US-Finanzministerium.

Funktioniert der Preisdeckel für russisches Öl?

Einige Analysten glauben daher, dass die USA und Europa immer noch über einen beträchtlichen Hebel verfügen und durch eine Senkung der Obergrenze den finanziellen Druck auf Moskau erhöhen könnten. "Wenn man sich alle Routen ansieht, die Russland befahren muss, und zählt, wie viele Tankschiffe es für eine eigenständige, autonome Flotte braucht, ist es sehr weit von dem entfernt, was es bräuchte", zitiert das Wall Street Journal Craig Kennedy, einen Mitarbeiter der Harvard University, der an einer Studie über die russische Schifffahrt arbeitet.

Seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine im Februar letzten Jahres ist es schwieriger geworden, die Preise für russisches Rohöl zu ermitteln, zu denen es tatsächlich gehandelt wird. Händler und Beamte müssen sich dabei auf Schätzungen von Preisberichterstattungsagenturen stützen. S&P Global sammelte früher harte Daten vom Intercontinental Exchange, wo auch Ural gehandelt wurde. Aber der Markt ist unter dem Radar verschwunden. S&P und Argus stützen sich nun auf Gespräche mit Marktkontakten und Informationen wie Raffinationswerte und Frachtraten.

Die Ukraine und Polen haben sich für eine Senkung der Obergrenze eingesetzt. Stattdessen haben sich die USA und die EU auf eine strengere Durchsetzung konzentriert. Schwerpunkte dabei sind das Verladen von Öl auf See sowie die neu entstandene Schattenflotte aus Tankern, die außerhalb des Westens gekauft, versichert und gechartert werden. Im zweiten Quartal waren laut dem Schiffsverfolgungsunternehmen Vortexa fünfmal so viele Tanker für sanktionierte Produzenten tätig wie noch Ende 2021. Fast 80 Prozent dieser Schiffe haben den russischen Markt angefahren.

Der Westen setzt weiterhin auf die griechische Schifffahrtsindustrie, die den Sanktionen und Preisobergrenzen unterliegt, da Griechenland Mitglieder Europäischen Union ist. Die Tankerflotte des Landes transportiert mehr als die Hälfte des aus Russland exportierten Rohöls, sagte Robin Brooks, Chefökonom des Institute of International Finance. "Der Westen hat eine echte Preismacht", zitiert ihn das Wall Street Journal. Seiner Ansicht nach könnte die Obergrenze auf 20 bis 30 Dollar pro Barrel gesenkt werden könnte.

Preismacht des Westens schwindet

Die europäische Unternehmen haben in den letzten Monaten deutlich weniger mit der Vermietung von Schiffen mit dem Transport russischen Öls verdient. Dies deutet darauf hin, dass Russland zunehmend Zugang zu Tankern hat, die Unternehmen außerhalb der G7-Staaten gehören, sagt Henry Curra, Leiter der Forschungsabteilung beim Schiffsmakler Braemar. In Russlands asiatischem Hafen Kozmino, wo die Rohölsorte Espo von Anfang an teurer als 60 Dollar exportiert wurde, sind nur noch wenige Tanker am Ölhandel beteiligt, die von westlichen Unternehmen versichert sind oder ihnen gehören.

Die US-Regierung räumt ein, dass Russland eine unabhängige Flotte aufbaut. Doch US-Beamte sagen, dass die Kosten dafür Mittel vom Krieg ablenken. Sie schätzen, dass die russische Zentralbank 9 Milliarden Dollar als Ersatz für westliche Rückversicherungssysteme bereitgestellt hat. Vor dem Krieg versicherten westliche Unternehmen fast alle russischen Exporte auf dem Seeweg, auch die staatlichen Tanker. Diese Versicherer, die als "International Group of P&I Clubs" bekannt sind, versichern Ansprüche von Dritten, etwa von Küstenindustrien, die von einer Ölpest betroffen wären.

Laut Borys Dodonov von der Kyiv School of Economics waren im April noch die Hälfte der russischen Rohöltransporte und ein Drittel der Transporte von Raffinerieerzeugnissen auf Tankern unterwegs, die nicht von Mitgliedern der Internationalen Gruppe versichert waren. Nach Ansicht von Rolf Thore Roppestad, Vorstandsvorsitzender des norwegischen Versicherers Gard, ist die Konkurrenz jenseits des Westens gefährlich, weil es den Versicherern außerhalb der International Group of P&I Clubs meist an Erfahrung in der Reaktion auf Unfälle fehle.


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