Russland exportierte im vergangenen Jahr raffinierte Erdölprodukte im Wert von insgesamt 65 Milliarden Dollar. Am wichtigsten sind dabei die Exporte von Diesel, die sich im vergangenen Jahr auf 950.000 Barrel pro Tag beliefen. Trotz des Einfuhrverbots in die Europäische Union exportiert Russland weiterhin unvermindert Diesel. Denn es sind zwei neue Großabnehmer russischen Diesels erschienen.
Ende letzten Jahres kaufte die EU noch zwei Drittel der russischen Dieselexporte. Nachdem die EU ein Embargo auf russisches Rohöl verhängt hatten, wurden sie umgehend von China und Indien als Käufer abgelöst. Doch am russischen Diesel waren die beiden Staaten nicht interessiert, da sie über umfangreiche eigene Raffinerien verfügen. Stattdessen haben sich andere neue Käufer gefunden.
Wohin gehen Russlands Dieselexporte?
Wenn man die Gesamtmenge der russischen Dieselexporte betrachtet, könnte man glauben, dass die EU gar kein Embargo verhängt hat. Im März erreichten die russischen Dieselexporte sogar ein neues Rekordhoch von 1,3 Millionen Barrel pro Tag. Zwar liegen die Dieselexporte seit Mai wieder unter 900.000 Barrel pro Tag. Doch das entspricht dem Niveau der letzten Jahre und ist weitgehend auf die saisonale Wartung der Raffinerien zurückzuführen.
Die südamerikanischen Länder, allen voran Brasilien, nutzen die Gelegenheit, die das EU-Embargo ihnen bietet, und kaufen nun deutlich mehr Diesel aus Russland als in der Vergangenheit - zu einem niedrigeren Preis. Im Juni importierte Brasilien 152.000 Barrel russischen Diesel pro Tag, was 60 Prozent seiner gesamten Dieselimporte entspricht, wie der Economist berichtet.
Auch einige nordafrikanische Länder wie Algerien, Ägypten und Marokko nutzen die Schnäppchen, die ihnen die EU mit dem Embargo gegen russischen Diesel ermöglicht hat. In den letzten Monaten hat Russland erstmals seit 2020 sogar raffiniertes Öl nach Nordkorea exportiert. Diese neuen Käufer im globalen Süden haben nur wenige eigene Raffinerien und exportieren wenig Diesel.
Wer verdient am EU-Embargo?
Ganz anders ist es bei der Türkei, die jetzt doppelt so viel Diesel aus Russland kauft wie noch im Januar, während jedoch die türkischen Dieselexporte noch schneller gestiegen sind. Das Land nutzt seine Nähe zu Europa, indem es den russischen Diesel zur Deckung seines Inlandsbedarfs nutzt und dafür den selbst produzierten Diesel deutlich teurer in die Europäische Union verkauft.
Die Golfstaaten machen einen ähnlichen Handel. Saudi-Arabien hatte jahrelang keinen Diesel aus Russland importiert. Seit April haben die Käufe des Königreichs 150.000 Barrel pro Tag überschritten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die saudischen Importe vor dem Sommer ansteigen, wenn der Strombedarf für die Kühlung in die Höhe schießt.
Doch in diesem Jahr sind die Dieselexporte aus Saudi-Arabien im gleichen Maße gestiegen wie die Importe. Zwischen April und Juni stiegen die saudischen Dieselimporte um rund 120.000 Barrel pro Tag im Vergleich zum selben Zeitraum der letzten Jahre. Ein großer Teil der Dieselexporte aus Saudi-Arabien geht nach Europa und zunehmend auch nach Asien.
Dieser florierende Handel setzt voraus, dass Russlands Exportmaschine nicht nur neue Kunden, sondern auch genügend Schiffe hat, um sie zu bedienen. Das war anfangs nicht selbstverständlich. Denn "saubere" Produkte wie Diesel können nicht auf normalen Tankschiffen transportiert werden, da Spuren von Rohöl oder schwereren Produkten diese verunreinigen könnten.
Die winzige weltweite Flotte von Dieseltankschiffen hätte schnell überlastet sein können, da Russlands Diesel nun längere Strecken zurückgelegen muss. Die Sanktionen vom Februar drohten das Problem zu verschärfen. Europa verbietet seinen wichtigsten Verladern, Händlern und Versicherern, russische Verkäufe zu erleichtern, es sei denn, das Öl wird unter einem von der G7 festgelegten Preis von 100 Dollar pro Barrel für Premiumprodukte verkauft.
Schweizer Händler unterstützen Russlands Dieselexporte
Trotz aller Vorschriften und Risiken machen auch einige westliche Unternehmen weiterhin Geschäfte mit Russland. Gunvor und Vitol, zwei riesige Genfer Handelsunternehmen, gehörten in den ersten vier Monaten dieses Jahres immer noch zu den zehn größten Abnehmern russischer Ölprodukte, wie die Financial Times unter Berufung auf Zolldaten berichtet. Beide Unternehmen halten sich dabei eigenen Angaben zufolge an die einschlägigen Vorschriften.
Zu den anderen Abnehmern russischer Ölprodukte gehören die Handelsarme russischer Energieunternehmen sowie eine Mischung aus obskuren Händlern, die nach Kriegsbeginn in Hongkong, Singapur oder den Vereinigten Arabischen Emiraten gegründet wurden. Der Bericht nennt die folgenden zehn Unternehmen als führend im Handel mit raffinierten Petroleumprodukten aus Russland:
- Litasco
- Bellatrix Energy
- Nord Axis
- Novatek
- Tejarinaft
- Qamah Logistics
- Avis Trading
- Gunvor
- Amur Trading
- Vitol
Es werden auch kreative Techniken eingesetzt. Der Umschlag von Schiff zu Schiff mit russischer Ladung, insbesondere in der Nähe von Griechenland und Malta, hat seit letztem Jahr stark zugenommen, was auf Versuche hindeutet, die Sanktionen zu umgehen. Die EU hat dies am 21. Juni selbst zugegeben, als sie erklärte, sie werde Tankern, die im Verdacht stehen, fragwürdige Umladungen vorzunehmen, das Anlegen in ihren Häfen verbieten.
Importeure geben sich ahnungslos
Einige Schiffe verwenden auch militärische Ausrüstung, um gefälschte Ortungssignale zu senden. Seit Februar hat Russland Rekordmengen an Naphtha, einem sauberen Produkt, das zur Herstellung von Kunststoffen verwendet wird, nach Malaysia und Singapur geliefert, wo es in großen Tanks gelagert wird. Anschließend wird es Ladung für Ladung an Kunden in ganz Asien geliefert, die dann behaupten, es handle sich um ein lokales Produkt.
In den letzten Jahren machten die russischen Exporte etwa 15 Prozent des weltweiten Dieselhandels aus. Ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber den Sanktionen wird wahrscheinlich zu einer Überschwemmung im weiteren Verlauf dieses Jahres führen. Die Preise stiegen 2022 sprunghaft an, als die Gefahr von Versorgungsunterbrechungen mit einem Wiederanstieg der Nachfrage nach dem Ende der Covid-Beschränkungen zusammenfiel.
Die Schocks auf der Angebotsseite lösen sich jetzt jedoch auf, da die Golfstaaten ihre Raffineriekapazitäten ausbauen und das verlangsamte Wirtschaftswachstum den Verbrauch im Westen dämpft. Die Kosten für einen Lastkahn mit Diesel, der in Rotterdam angeliefert wird, sind innerhalb eines Jahres um ein Viertel gesunken. Die Raffineriegewinnspannen sind auf ein Drittel eingebrochen.
Dies wird den kränkelnden Raffinerien in Europa zusätzlich schaden, die bereits durch billige Produkte aus dem Markt gedrängt werden. Im besten Fall werden sie die Raffinerieproduktion drosseln, im schlimmsten Fall werden sie ihre Kapazitäten reduzieren müssen. Wie beim Rohöl schaden die Sanktionen im Wesentlichen nur denjenigen, die sich daran halten beziehungsweise halten müssen.