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DWN-Kommentar: Die Merz-Dämmerung

Lesezeit: 3 min
24.07.2023 16:19  Aktualisiert: 24.07.2023 16:19
Nicht erst seit den jüngsten, unvorbereiteten Äußerungen über eine mögliche Öffnung hin zur AfD auf kommunaler Ebene stellen sich in der CDU nicht wenige die Frage, ob ihr Vorsitzender Merz über hinreichend Geschick und Gespür verfügt, eine Volkspartei zu führen.
DWN-Kommentar: Die Merz-Dämmerung
Neues zur AfD: Friedrich Merz beim Fernsehinterview (Foto: dpa)

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Am Ende war alles nicht so gemeint. Mal wieder. Nur einen Tag nachdem der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz in einem TV-Interview gesagt hatte, dass auf kommunaler Ebene eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht ausgeschlossen werden könne und daraufhin ein Sturm der Entrüstung losbrach und Geistesgrößen der Union wie Ruprecht Polenz, Kai Wegner und Serap Güler über den Niedergang der Partei unkten, rollte Merz die Fahre wieder ein. Er sei halt falsch verstanden worden.

Wie unter einem Brennglas zeigt der jüngste Vorgang die Schwächen des Friedrich Merz, die nicht erst mit seiner geradezu fahrlässig losgetretenen AfD-Diskussion offenbar geworden sind. Es sind taktische Schwächen, strategische – und am Ende auch charakterliche.

Entäuschte Hoffnungen

Als Friedrich Merz Partei- und Fraktionsvorsitzender wurde, verbanden sich in der Union viele Hoffnungen mit ihm: Dass es ihm gelingen könne, die unter der Führung von Angela Merkel inhaltlich völlig entkernte Partei neu aufzustellen, ihr wieder eine Richtung zu geben. Dass es Merz schaffe, dem dahindümpelnden Konrad-Adenauer-Haus zu neuer Schlagkraft zu verhelfen und der Konrad-Adenauer-Stiftung einen Sinn einzuhauchen, wofür es sie eigentlich gibt.

All das ist nicht geschehen. Zwar war es Merz schnell gelungen, die Bundestagsfraktion neu auszurichten, doch mit der Parteiarbeit fremdelte er von der ersten Minute an. Das begann schon mit der Wahl des Generalsekretärs. Binnen kürzester Zeit wurde klar, dass Mario Czaja ein Fehlgriff war – ohne hinreichende Anbindung an die Gliederungen der Partei, ohne öffentliche Wirksamkeit, ohne strategische Ausrichtung. Doch auch bei anderen Personalien griff Merz in schöner Regelmäßigkeit beherzt daneben. Der neubestallte Bundesgeschäftsführer irrlichtert in der Partei umher. Die Pressesprecherin übernahm Merz von Laschet, obwohl dieser in so ziemlich allen Fragen das Gegenteil von dem verkündet, was Merz will. Und zum Leiter seines Büros – eine absolute Vertrauensposition – bestellte Merz ausgerechnet jemandem, der fest im Merkel-Lager stand. Am Ende waren alle ratlos.

Fahriges Themenhopping

Zur Überraschung auch seiner Freunde schaffte Merz auch inhaltlich keine Klarheit: Mal standen Wirtschaftsfragen im Zentrum seiner politischen Betrachtung, dann aber wechselte er flugs zu kulturpolitischen Betrachtungen, als er sich über das Gendern ausließ. Mal erklärte er die AfD zum Hauptgegner, gegen den „Brandmauern“ errichtet werden müssen, um kurz darauf die Grünen zum Hauptgegner zu erklären, was nicht Wenige befremdet, da man in sechs Landesregierungen mit ihnen zusammenarbeitet. Hinzu kamen dann auch noch höchst unglückliche Formulierungen, wie beispielsweise, dass die CDU eine „Alternative für Deutschland mit Substanz“ werden müsse.

Mit der jüngsten Äußerung zu einer möglichen Zusammenarbeit mit der AfD und seinem wenig glaubwürdigen Zurückrudern hat der Sauerländer Merz alle strategischen, taktischen und – eben auch – charakterlichen Schwächen offenbart. Natürlich ist es richtig, dass eine Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene etwas anderes ist, als auf Landes- oder gar auf Bundesebe – weder geht es bei der Frage der Beseitigung eines Schlaglochs noch beim Bau einer Umgehungsstraße um Fragen der politischen Philosophie. Und natürlich war der 2018 gefasste Beschluss der Bundespartei, gleichzeitig jedwede Zusammenarbeit mit der AfD und der Linkspartei auszuschließen, strategisch unsinnig, weil damit für die Union gerade in den Neuen Ländern Macht- und Gestaltungsoptionen reihenweise wegfallen.

Ein kluger Parteivorsitzender hätte eine Diskussion über eine solch weitreichende Kurskorrektur von langer Hand vorbereitet. Er hätte Vertraute in Stellung rechtzeitig in Stellung gebracht, die seinen Vorstoß in der Öffentlichkeit unterstützt hätten, er hätte die Diskussion durch andere vorbereiten lassen, so dass die Partei nicht komplett überrascht in eine Grundsatz-Diskussion taumelt. All das unterblieb in einer geradezu fahrlässigen Weise. Das Schlimmste war allerdings dann sein Rückzieher, denn er wirft Fragen nach der charakterlichen Festigkeit des Parteivorsitzenden auf. Zum einen erklärte Merz, kaum 24 Stunden nachdem ihm seine AfD-Äußerungen im Fernsehinterview aus dem Mund gefallen waren, dass alle Welt in falsch verstanden hätte. In einem Tweet verkündete der Unverstandene aus dem Sauerland nun trotzig, er habe „nie etwas anderes gesagt“ – eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es nirgends geben. Doch genau das hatte er getan – und jeder konnte es sehen oder nachlesen.

Unangenehme Fragen

Nun stellen sich aber in den eigenen Reihen der Union nach dem jüngsten Debakel eine ganze Reihe von Fragen – und sie sind alle nicht angenehm: Wie glaubwürdig ist der Führungsanspruch einer Partei, sie sich in internen Diskussionen verheddert? – Will man tatsächlich einen Parteiführer zum Kanzlerkandidaten küren, der schon mit der Führung der Partei erkennbare Probleme hat? - Und wie glaubwürdig ist ein Bundesvorsitzender, der Grundsatzpositionen nicht einmal 24 Stunden halten kann?

Friedrich Merz hat jetzt den Sommer über Gelegenheit, seinen Stil und seine Arbeitsweise insgesamt zu überdenken. Gelingt es ihm nicht, die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen, wird seine politische Dämmerung bald beginnen, womöglich schon im Herbst. Die Zahl seiner Freunde in der Partei ist inzwischen bedenklich klein geworden.


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