Daniel Ellsberg gilt als einer der ersten Whistleblower in der Geschichte. Er hatte die „Pentagon Papers“ an die „New York Times“ weitergereicht. Die 7000 Dokumente aus dem US-Verteidigungsministerium belegten, dass die US-Regierung die amerikanische Öffentlichkeit über die Hintergründe und Involvierung der USA im Vietnam-Krieg jahrzehntelang falsch informiert hatte. Sein Fall war so spektakulär, dass er damit in die amerikanische Geschichte einging. Für seine Enthüllungen wurde er wegen Spionage angeklagt und 1973 wieder freigesprochen. Im Juni 2023 verstarb er mit 92 Jahren.
Enthüllungen als Dienst an der Gesellschaft werden bis heute eher kritisch betrachtet und nicht selten ins Licht der Denunzianten gerückt. Fälle wie der von Julian Assange, Wikileaks-Gründer und Whistleblower, könnten sogar den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beschäftigen. Bei einer Auslieferung in die USA drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft.
Identitäts- und Datenschutz auf der einen Seite, Interesse für die Allgemeinheit oder Eigeninteresse und Sanktionen auf der anderen. Beides war bisher bei Vergehen in Unternehmen schwer in Einklang zu bringen. Das neue Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG oder Whistleblower-Gesetz) kam mit einer eineinhalbjährigen Verspätung. Es möchte Whistleblower, also Personen, die Fehlverhalten oder Betrug innerhalb ihres Unternehmens melden, besser schützen. Es soll verhindern, dass Hinweisgeber aufgrund ihrer Offenlegungen arbeitsrechtliche oder strafrechtliche Konsequenzen befürchten müssen.
Seit Mitte Juni ist die Bereitstellung eines internen Meldekanals für alle Unternehmen ab 250 Mitarbeitern bereits verpflichtend. Für privatwirtschaftliche Unternehmen und öffentliche Stellen bis 50 Mitarbeitenden wird eine Frist bis zum 17. Dezember 2023 für die Umsetzung der Gesetzesvorgaben eingeräumt. Erfolgt die Einrichtung nicht fristgemäß, drohen Strafen von bis zu 50.000 Euro.
Unternehmen müssen nun interne Meldesysteme zur Verfügung stellen, die es Hinweisgebern ermöglicht, ihre Beschwerde innerhalb des Unternehmens einzureichen. Das Gesetz verlangt die Bereitstellung eines internen und externen Berichtswegs. Mitarbeiter, die etwas melden möchten, sollen grundsätzlich frei wählen können, ob sie interne oder externe Meldestellen nutzen. Interne können beispielsweise elektronische Hinweisgebersysteme, Compliance-Abteilungen oder Ombudsleute sein. Schutz für die Whistleblower
Schutz vor Entlassung oder Diskriminierung
Whistleblower sollen durch das Gesetz vor Repressalien wie Entlassung oder Diskriminierung geschützt werden, es sieht einen umfassenden Rechtsschutz für diese vor. Unternehmen müssen in Zukunft beweisen, dass keine nachteiligen Maßnahmen gegen den Hinweisgeber erfolgt sind, auch nicht im Nachhinein, sollte es später zu einer Kündigung kommen. Sollte es dennoch zu einer unrechtmäßigen Freisetzung kommen, haben Whistleblower das Recht auf Entschädigung für finanzielle Schäden. Andererseits haften sie selbst für den daraus entstehenden Schaden, wenn sie wissentlich oder grob fahrlässig falsche Angaben machen. Meldungen bei externen Meldestellen wie dem Bundeskartellamt (BKartA), der Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) oder dem Bundesamt für Justiz (BfJ) über den Arbeitgeber, verpflichten diesen bei der Aufklärung mitzuwirken. In Zukunft müssen Arbeitgeber in ihrem Unternehmen außerdem folgende Punkte erfüllen:
- Über die Vorgehensweise bei externen Meldungen müssen klare und leicht zugängliche Informationen bereitgestellt werden
- Verbot und Unterlassung von Repressalien gegenüber Hinweisgebern
- Gewissenhafte Untersuchung jeder eingegangenen Meldung
- Es muss eine unparteiische Person/Abteilung für die Folgemaßnahmen zuständig sein
- Eine verhältnismäßige Aufbewahrung der Aufzeichnung für jede Meldung
- Eine Rückmeldung an den Hinweisgeber nach spätestens drei Monaten
- Eine Bestätigung des Eingangs der Meldung innerhalb von sieben Tagen
- Der Schutz der Vertraulichkeit der Identität von Dritten
- Der Schutz der Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers
Das Whistleblower-Netzwerk e.V. sieht dennoch einige Schwachstellen, insbesondere bei Whistleblowing für den Journalismus. So zum Beispiel „dass Hinweise zu fragwürdigen Handlungen oder erheblichen Missständen unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße, nicht in den Schutzbereich des Gesetzes fallen“ und dass „im Gesetz keine Entschädigung für immaterielle Schäden von Whistleblowern und kein Unterstützungsfonds vorgesehen ist, aus dem kompensatorische Leistungen, rechtliche und psychologische Beratung von Whistleblowern finanziert werden.“
Erfahrungen aus der Vergangenheit und mit der Bafin
Erst nach und nach kommen die Unternehmen dazu, ihren Pflichten nachzukommen, doch Baden-Württemberg ist dem Gesetz bereits voraus. Danyal Bayaz (Grüne), Finanzminister in Baden-Württemberg, führte vor zwei Jahren das erste Online-Meldesystem für anonyme Hinweise an die Steuerverwaltung ein. Vorausgegangen war dem Erlass in dieser Zeit der Wirecard Finanzskandal. Anonyme Hinweisgeber hatten sich an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) gewendet, wurden dort aber nicht ernstgenommen.
Allein im Jahr 2022 führte das anonyme Hinweisportal laut dem Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg zu 89 eingeleiteten Verfahren. Das betrifft Steuerstrafverfahren der Steuerfahndung wie auch der Straf- und Bußgeldstellen. Insgesamt kam durch die Hinweise knapp eine Million Euro an Mehrergebnis zusammen, wobei die Zahl noch vorläufig ist, da nicht alle Verfahren abgeschlossen sind. Insgesamt sei die Zahl an anonymen Hinweisen auf möglichen Steuerbetrug durch das anonyme Hinweisgeberportal gestiegen. Dennoch betont Finanzminister Danyal Bayaz in seiner Presserklärung sei das „kein Portal für Denunziationen."
Einige Unternehmen befürchten den Missbrauch dieser neu eingeführten Systeme, sie könnten für Falschmeldungen missbraucht werden, um sich beispielsweise am Arbeitgeber zu rächen oder den Ruf zu beeinträchtigen. Der Whistleblowing Report von 2021 der Technologiefirma EQS sieht in den Daten hierfür keinen Anlass. Der Missbrauch von Meldekanälen bleibt die absolute Ausnahme. Nicht einmal acht Prozent der 2020 eingegangenen Meldungen waren als missbräuchlich einzustufen. Knapp die Hälfte aller eingegangenen Meldungen erfolgte zu Compliance-relevanten Verstößen.
Die Studie, die Daten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz erhob, zeigte, dass es bei rund jedem dritten der untersuchten Unternehmen aus allen vier Ländern zu Missständen gekommen war. Die Vorwürfe: Finanzielles Fehlverhalten, Fälschung von (Finanz-)Dokumenten, Bestechung, Korruption, Betrug oder Verstöße gegen Wettbewerbs- oder Kartellrecht aber auch Umweltschutzvorschriften, um nur einige zu nennen.
Schneller Fehlentwicklungen auf die Spur kommen
Die Einführung des Hinweisgeberverfahrens birgt neben allen Bedenken auch Chancen. Unternehmen können interne Risiken schneller erkennen und auf sie reagieren. Je eher Unternehmen Missstände identifizieren, desto früher können Sie diese beseitigen und Präventionsmaßnahmen zur künftigen Vermeidung einrichten. Eine schnelles Reagieren auf interne Meldungen ist ratsam, bevor der Hinweisgeber eventuell an externe Stellen oder die Presse wendet. Eine vorbildliche Unternehmenskultur bewahrt am besten vor Fehltritten Dritter.