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Der Griff nach den Sternen: Satelliten im All und Bergbau auf dem Mond

Lesezeit: 6 min
30.07.2023 08:31  Aktualisiert: 30.07.2023 08:31
Dem Weltraum kommt eine ähnliche geopolitische Bedeutung zu wie den Ozeanen und Meeren - und sie wird weiter zunehmen. Warum Großmächte da präsent sein müssen und wer beim Rennen im  All die Nase vorn hat, erklärt Bestsellerautor Tim Marshall im DWN-Interview.
Der Griff nach den Sternen: Satelliten im All und Bergbau auf dem Mond
Blick von oben auf die Skylab-Raumstation in der Erdumlaufbahn, aufgenommen im April 2023 vom Kommando- und Servicemodul (CSM) von Skylab 4 während des letzten Überflugs des CSM vor der Rückkehr nach Hause. (Foto: dpa/Nasa)

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Großmächte müssen im Weltall präsent sein, wollen sie ihre machtpolitische Basis auf der Erde nicht verlieren, sagt Tim Marshall, Politik-Experte und Autor des Buches „Die Geografie der Zukunft“, im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Neben den wirtschaftlichen spielen auch militärische Interessen eine entscheidende Rolle.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Ihrem Buch „Die Geographie der Zukunft“ beschäftigen Sie sich mit dem Weltraum. Welche Rolle wird die Präsenz einzelner Länder im Weltraum für ihre Machtpositionen auf der Erde spielen? Und was sind die Nachteile für Länder, die keinen Zugang zum Weltraum haben?

Tim Marshall: Jedes Land, das keine Präsenz im Weltraum hat, ist benachteiligt. Satelliten gehören heute zur nationalen Infrastruktur der modernen Industriestaaten. Sie spielen eine große Rolle in der Kommunikation, bei militärischen Operationen und im Handel. Darüber hinaus riskieren Länder und ihre großen Unternehmen, die sich nicht am Bergbau auf Asteroiden und dem Mond beteiligen können oder wollen, den Verlust eines Anteils an einer Branche, die mehrere Billionen Dollar wert sein könnte. Da die Satellitengürtel immer voller werden, muss die Zahl der Satelliten irgendwann begrenzt werden, was natürlich die etwa 100 Länder benachteiligen wird, die dort noch nicht vertreten sind. Auch die Ressourcen des Mondes sind endlich, und so wird es ein Wettrennen zum Mond geben, denn auch dort geht unter anderem darum, die für die hiesigen Technologien benötigten Materialien abzubauen.

DWN: Unter anderem? Welche Ziele verfolgen die einzelnen Akteure noch auf dem Mond?

Tim Marshall: Hinter der Rückkehr zum Mond im Rahmen des Artemis-Programms - das ist ein bemanntes Raumfahrtprojekt der NASA in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern wie der europäischen, der japanischen und der kanadischen Raumfahrtagentur (ESA, JAXA und CSA) - und den vorgeschlagenen Mondbasen, die die USA und China/Russland zu bauen beabsichtigen, geht es zum einen, wie eben erwähnt, um den Abbau von Rohstoffen. Darüber hinaus ließe sich der Mond aber auch als Startrampe für Flüge zum Mars nutzen.

Das Wettrennen im Weltraum insgesamt hat allerdings auch einen militärischen Aspekt. Je mehr Satelliten in den Handel und die Kriegsführung integriert werden, desto mehr Länder werden das Bedürfnis haben, sie zu verteidigen, und in einigen Fällen auch die Möglichkeit haben, sie anzugreifen. Vergessen Sie nicht: Ein Teil der Frühwarnsysteme der Länder für den Start von Atomwaffen befindet sich in ihren Satelliten. Wenn ein Land glaubt, dass diese Maschinen bedroht sind, wäre die Versuchung größer, präventiv tätig zu werden.

DWN: Das unvermeidliche Wettrüsten im Weltraum.

Tim Marshall: Darauf läuft es leider hinaus. Dabei haben wir schon viele Beispiele für die Vorteile einer Zusammenarbeit zwischen den Nationen gesehen. Der „Handschlag im Weltraum“ im Jahr 1975 zwischen Sojus- und Apollo-Astronauten trug dazu bei, die Spannungen des Kalten Krieges abzubauen, und die Partnerschaften rund um die Internationale Raumstation förderten gute Beziehungen und Fortschritte in der Wissenschaft. Doch leider hat Russlands Einmarsch in der Ukraine diese besonderen Beziehungen zerrüttet, und das angespannte Verhältnis zwischen den USA und China ist ein Grund dafür, dass die nahe Zukunft der bemannten Raumfahrt durch konkurrierende Machtblöcke geprägt sein wird.

DWN: In Ihrem Buch sprechen Sie von den großen Drei unter den Raumfahrtnationen - den USA, China und Russland. Wer von ihnen hat (technologisch) die Nase vorn und könnte sich dies in den nächsten Jahren ändern?

Tim Marshall: Die USA, China und Russland sind die klaren Spitzenreiter, denn alle drei sind allen anderen weit voraus. Innerhalb der großen Drei sind die USA jedoch nach wie vor die am weitesten fortgeschrittene Raumfahrtnation, wobei China nun Russland überholt hat und Russland wahrscheinlich in einigen Bereichen zurückfallen wird. China und die USA finanzieren die Raumfahrttechnologie weiterhin in einer Weise, wie es die Russen nicht tun, und aufgrund des Einmarsches in die Ukraine wird Russland Schwierigkeiten haben, sich Zugang zu einigen der Spitzentechnologien zu bewahren, die erforderlich sind, um das derzeitige Niveau zu sichern, und es wird Schwierigkeiten haben, seine klügsten und besten Wissenschaftler zu halten.

DWN: Die geopolitischen Umwälzungen auf der Erde haben unter anderem zu einer Annäherung zwischen China und Russland geführt. Stehen wir im Weltraum vor einer ähnlichen Blockbildung wie auf der Erde?

Tim Marshall: Allerdings. Die beiden Blöcke spiegeln weitgehend die Situation auf der Erde wider. Die Artemis-Vereinbarungen untermauern die amerikanische Mission, 2026 einen Mann und eine Frau auf dem Mond spazieren zu lassen, bevor eine Mondbasis gebaut wird. Die rund 20 Länder, die das Abkommen unterzeichnet haben, stimmen im Wesentlichen einer von den USA geführten Vision von Regeln für das 21. Jahrhundert zu. China, mit Russland als Juniorpartner, hingegen wünscht sich eine andere Zukunft und versucht, Länder wie den Iran in seinen Orbit zu ziehen.

DWN: Inzwischen gibt es auch private Unternehmen wie Space X, die sich in den Weltraum wagen. Werden sie dann auch dort Ansprüche erheben können, wie Nationalstaaten?

Tim Marshall: Staatliche Mittel sind nach wie vor die wichtigste Einnahmequelle für die großen Drei, ebenso wie für die Europäische Weltraumorganisation. Die Investitionen der Privatwirtschaft nehmen jedoch rasch zu. Vor einem Jahrzehnt gab der Privatsektor in den USA beispielsweise etwa eine Milliarde Dollar pro Jahr für Forschung und Entwicklung aus, heute sind es zwischen fünf und sechs Milliarden Dollar. Die kommerziellen Unternehmen haben erkannt, dass die Risiken zwar groß, die potenziellen Gewinne aber enorm sind. Einige Länder wie Indien, die USA und Japan erlassen derzeit Gesetze, die es ihren Privatunternehmen ermöglichen, das, was sie auf dem Mond oder den Asteroiden abbauen, zu „besitzen“. Sie können keinen Besitzanspruch auf einen Ort erheben, aber sie werden sicherlich argumentieren, dass sie, wenn sie so und so viele Dollar ausgegeben haben, um zu den Ressourcen zu gelangen und sie zu finden, das „Recht“ haben, als Einzige dort zu arbeiten. Ihre Regierungen werden diese Argumente unterstützen.

DWN: Welche Technologien wurden und werden für die Eroberung des Weltraums entwickelt und kommen dann den Menschen auf der Erde zugute? Und wie wichtig ist die Beteiligung von Privatunternehmen an deren Entwicklung?

Tim Marshall: Diese Liste ist lang. GPS ist aus der Weltraumtechnologie hervorgegangen, ebenso wie Laptop-Computer. Das Gleiche gilt für die Technologie, die heute in den Atemschutzgeräten von Feuerwehrleuten auf der ganzen Welt und in der Wasseraufbereitung eingesetzt wird. Robotik und Prothesen wurden verbessert, „Memory Foam“ (zu Deutsch etwa Gedächtnisschaum) wurde erfunden, kratzfeste Brillengläser und gefriergetrocknete Lebensmittel gehören zu den Hunderten von kommerziellen Nebenprodukten, die direkt mit der Raumfahrtindustrie zusammenhängen. In jüngster Zeit hat sich unser Wissen über den Klimawandel durch den Einsatz von Satelliten enorm verbessert, und in den Schwerelosigkeitslabors der Internationalen Raumstation wird an vielen medizinischen Fortschritten gearbeitet.

Inzwischen hat die NASA fast alles in den privaten Sektor verlagert, jetzt stehen private Unternehmen im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Entwicklung. SpaceX und seine wieder verwendbaren Raketen sowie die Miniaturisierung von Satelliten haben den Zugang zum Weltraum wesentlich billiger gemacht, weshalb inzwischen mehr als 80 Länder dort vertreten sind.

DWN: Der Prototyp eines Weltraum-Solarkraftwerks wurde kürzlich am Caltech, einer technischen Universität in Kalifornien, vorgestellt. Was hat es damit auf sich und könnte diese Technologie auch für die Bewohner der Erde genutzt werden?

Tim Marshall: In diesem Jahr haben Wissenschaftler am Caltech in einer Weltpremiere einen Mikrowellensender benutzt, um Energie, die von Sonnenkollektoren im Weltraum eingefangen wurde, auf die Erde zu übertragen. Anschließend wandelten sie das Mikrowellensignal wieder in Elektrizität um. Es handelte sich zwar nur um eine winzige Menge, aber dieser „Konzeptnachweis“ könnte es möglich machen, dass wir ganze Felder solcher Paneele im Weltraum installieren, die rund um die Uhr Energie an bestimmte Orte leiten, wo sie in nationale oder lokale Netze eingespeist werden kann. Sollte dies gelingen, wäre dies ein großer Schritt, um uns von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu befreien.

DWN: Wird sich unser Verständnis der Physik durch die Erfahrungen der Menschheit im Weltraum verändern?

Tim Marshall: Das hat es bereits und wird es auch weiterhin tun. Wir dachten, die Gesetze der Physik seien universell, jetzt glauben wir, dass sie jenseits des „gleichmäßigen Horizonts“ am Rande eines Schwarzen Lochs möglicherweise nicht gelten. Wir dachten, nichts könne sich schneller als mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen. Die Quantenphysik und die Experimente im Weltraum machen dies nun weniger sicher.

DWN: Würden Sie einen Ausblick wagen, wie unsere Welt in 20 Jahren aussehen könnte? Wird es Menschen auf dem Mond und auf dem Mars geben? Und wird es auf der Erde eher friedlich oder eher militant zugehen?

Tim Marshall: Auf dem Mond wird es dauerhaft bewohnte Basen geben. Und auf dem Mars? Ich bin zuversichtlich, dass wir ihn mit einem Raumschiff mit Besatzung umkreisen werden, wahrscheinlich werden wir auf ihm gelandet sein und ihn betreten haben. Wenn die Robotik weiter voranschreitet, besteht die Chance, dass wir dort eine rudimentäre Basis errichten können. In zwanzig Jahren, also sieben Jahre vor 2050, werden laut Elon Musk eine Million Menschen dort leben. Von unserem jetzigen Standpunkt aus halte ich das allerdings für unmöglich.

Was den Frieden betrifft, so haben wir ihn noch nie gehabt, und ich bezweifle, dass wir bis dahin das Heilmittel gegen unseren Hang zu Misstrauen und Angst gefunden haben werden. Aber ich bin Optimist, denn für einen größeren Teil der Menschheit ist es in den letzten Jahrhunderten meistens aufwärts gegangen. Ich denke, das wird sich fortsetzen, und der Weltraum wird dabei eine überwiegend positive Rolle spielen.

Info zur Person: Tim Marshall, Jahrgang 1959, ist renommierter Experte für Außenpolitik und internationaler Bestsellerautor. ›Die Macht der Geographie‹, 2015 bei dtv erschienen, wurde in 30 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als zwei Millionen Mal verkauft. 2020 folgte mit ›Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert‹ der nächste Bestseller über brisante Krisenherde der Welt.


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