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Europas Abstieg und Amerikas Chance

Lesezeit: 3 min
01.08.2023 13:34  Aktualisiert: 01.08.2023 13:34
Europa steckt in einer tiefen Krise – es verliert Schlüsseltechnologien, die Gesellschaften sind überaltert, die Wohlstandsverluste spürbar. Ist der Abstieg Europas unumkehrbar?
Europas Abstieg und Amerikas Chance
Joe Biden und Olaf Scholz während des G7-Gipfels im Mai. Europa hinkt den USA hinterher. (Foto: dpa)
Foto: Michael Kappeler

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Das erste Mal seit Jahrzehnten verzeichnet Europa einen spürbaren Wohlstandsverlust. Lange hatte der Kontinent sich auf einen gelungenen Abstieg vorbereitet. Die sanfte Verschiebung der Machtzentren wurde zwar erkannt, aber man wollte sich arrangieren: Mit günstiger Energie aus Russland, billigen Waren aus China, einem steten Zufluss junger Migranten und der Rückendeckung der USA würde Europa schon irgendwie funktionieren. Doch es kam anders.

Die Welt wächst, auch sanktionierte Volkswirtschaften wie die Russische Föderation können dieses Jahr voraussichtlich mit einem Plus abschließen. Doch die deutsche Wirtschaft, nicht umsonst als Motor der gesamten EU betrachtet, wird schrumpfen. Ein Minus von 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts reißt das Herz Europas und den ganzen Kontinent ein Stück weit nach unten. Denn auch wenn die anderen Volkswirtschaften der EU ein leichtes Wachstum verzeichnen können, verarmt der ganze Kontinent Europa. Die Gründe dafür sind vielfältig. So sind die Reallöhne großer europäischer Volkswirtschaften wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland seit 2019 merklich gesunken. Der private Konsum sank in der Eurozone seit 2019 um ein Prozent, während er in den USA um fast neun Prozent anstieg. Waren die beiden Machtblöcke vor der Finanzkrise 2008 noch gleichauf, was die Konsumausgaben anging, haben sie sich seitdem mit 28 Prozent in den USA und 18 Prozent in Europa deutlich voneinander entfernt. Die USA ziehen an den großen Volkswirtschaften vorbei und erreichen scheinbar mühelos das Niveau ehemaliger Wohlstandsoasen wie Island und Luxemburg. Auch die Schweiz konnte von den USA überholt werden. Doch woran liegt dieser eklatante Wohlstandsverlust der alten im Gegensatz zur Neuen Welt?

Abhängigkeit als Schwäche des alten Kontinents

Die Globalisierung war eines der Steckenpferde des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Er brachte protektionistische Maßnahmen wieder in die öffentliche Debatte. Sein Nachfolger Joe Biden führt die Serie an Strafzöllen, die sein Vorgänger ins Leben gerufen hat, unbeirrt weiter. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese in Europa so verrufenen Maßnahmen jetzt dazu führen, dass die USA deutlich besser dasteht als ihre Partner. Während das BIP der EU zu 50 Prozent von den Exporten seiner Länder, insbesondere Deutschlands, abhängt, sind es in den USA gerade einmal zehn Prozent. Seitdem deutsche Autoverkaufszahlen in China rückläufig sind und überhaupt mehr und mehr Technologien im Ausland gefertigt werden, verliert Europa als Exporteur seine Bedeutung. Hingegen hat es der Kontinent nicht geschafft, sich von Importen unabhängig zu machen. Während die USA seit Jahren erfolgreich Fracking betreibt, suchen Politiker der EU händeringend nach günstigen Energiequellen im Ausland, auch wenn diese weder grün sind noch moralisch vertretbar erzeugt werden. Europa bleibt also von Importen vornehmlich aus dem Energiesektor abhängig, wenn etwa der Bau eines Offshore-Windparks wegen unberechenbarer Kosten eingestellt werden muss.

Zu dieser grundlegenden Problematik kommen viele spezifisch europäische Probleme hinzu. Erhöhte Rüstungsausgaben, der Krieg in der Ukraine, die Nachfolgen der rigorosen Covid-Maßnahmen und eine Arbeitskultur, in der Freizeit einen immer wichtigeren Raum einnimmt. So setzte die IG Metall kürzlich Optionen für eine verkürzte Vollzeitarbeit durch, wonach die Beschäftigten ihre Arbeitsstelle auf bis zu 28 Wochenstunden reduzieren können.

Deutschland und Europas Abstieg

Das bescheidene Wachstum der Eurozone wird durch die Schrumpfung Deutschlands weiter verlangsamt. Länder wie Indien (6,1 %), China (5,2 %), die Entwicklungsländer (4,5 %) und weitere werden laut der IWF-Konjunkturprognose 2023 ein durchschnittliches Wachstum erfahren. Deutschland muss sich mit einem Minus von 0,3 Prozent neu erfinden, sonst droht die weitere Abwanderung von wichtigen Unternehmen. Diese können die gefährliche Mixtur aus hohen Energiekosten, ausbleibenden Fachkräften, einer anspruchsvollen Belegschaft, die eher Freizeit als Arbeit will und unberechenbaren politischen Forderungen an Bürger und Unternehmer nur noch schwer ertragen.

Wenn die Bundesrepublik nicht zu einer reinen Dienstleistungswirtschaft werden und ihr Fundament verlieren möchte, auf dem sie ihren Reichtum aufgebaut hat, muss sie grundlegende Änderungen vornehmen, die sie in ihrem Wachstum behindern. Dazu gehören der Abbau von bürokratischen Hürden beim freien Unternehmertum, eine Optimierung der Zuwanderung, die Senkung von Steuern und die rigorose Durchsetzung eigener Interessen in der Energiewirtschaft. Die reine Nutzung von vermeintlich grünen Energieträgern mag ein schöner Traum sein, der aber ein zu hohes Risiko mit sich bringt, nämlich, dass Europa weiter abhängig von externen Mächten bleibt.

Die EU zwischen den Stühlen

Die EU wird derzeit von Deutschland ausgebremst. Während Spanien oder Frankreich erfreuliche Wachstumsraten verzeichnen können, ist es die Bundesrepublik, die Grund zur Sorge gibt. Die EU darf nicht denselben Fehler wie die Bundesregierung machen, indem sie sich von ideologischen Grabenkämpfen lähmen und schließlich leiten lässt. Neulich zeigte der Mercosur-Deal, dass die Schwächen der EU schamlos ausgenutzt werden, wenn Brüssel kein Paroli bietet. Auch in Berlin wären die Politiker besser beraten, sich pragmatisch und nicht weitergeleitet zu verhalten. So konstatiert der Chefvolkswirt Alexander Krüger: „Statt Ideologie und Umverteilung bedarf es dringend einer neuen Wachstumsagenda, die innovativ wirkt und vor allem den Regulierungsgrad senkt. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass in Berlin noch die richtigen Weichen gestellt werden.“

                                                                            ***

Virgil Zólyom, Jahrgang 1992, lebt in Meißen und arbeitet dort als freier Autor. Sein besonderes Interesse gilt geopolitischen Entwicklungen in Europa und Russland. Aber auch alltagsnahe Themen wie Existenzgründung, Sport und Weinbau fließen in seine Arbeit ein.


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