Weltwirtschaft

Deutschland ist wieder der „kranke Mann Europas“

Lesezeit: 4 min
29.06.2023 14:56  Aktualisiert: 29.06.2023 14:56
Die Wirtschaftspolitik der Ampelkoalition hat verheerende Folgen. Deutschland rutscht in Europa immer weiter ab und verliert den Anschluss. Fachkräfte und Investoren wandern in Scharen ab, die Industrie verlagert die Produktion.
Deutschland ist wieder der „kranke Mann Europas“
Karl Lauterbach (SPD, l), Bundesminister für Gesundheit, spricht mit Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, vor Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Kanzleramt. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Deutschland ist wieder der kranke Mann Europas. Während sich der Rest des Kontinents allmählich von den Folgen der Corona-Pandemie erholt, steuert die Bundesrepublik geradewegs auf eine Rezession zu. Hohe Energiepreise und eine verfehlte Wirtschaftspolitik verschlimmern eine ohnehin angespannte Lage. Nun kehren Unternehmen und Investoren dem Wirtschaftsstandort zunehmend den Rücken.

Zuletzt sackte der ifo-Index in Deutschland ungewöhnlich stark ab, auf 88,5 Punkte von 91,5 Punkten im Vormonat. Die Umfrage des Münchner ifo-Instituts unter 9.000 Führungskräften im Land misst die Aussichten für das Geschäftsklima. „Vor allem die Schwäche der Industrie bringt die deutsche Konjunktur in schwieriges Fahrwasser“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. In nahezu allen Branchen ist die Stimmung getrübt. „Die Wahrscheinlichkeit ist gestiegen, dass das Bruttoinlandsprodukt auch im zweiten Quartal schrumpft“, sagte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe.

Der Grund für Deutschlands Abstieg

Die hohen Energiepreise sowie die nach wie vor hohe Inflation haben die weltweite Nachfrage nach Gütern fallen lassen. Das trifft eine Exportnation wie Deutschland besonders hart, dessen Geschäftsmodell jahrelang auf billigem Gas aus Russland und dem florierenden Export von Industrieprodukten aufgebaut war. Dieses Geschäftsmodell bekommt nun ernsthafte Risse.

Wenn die weltweite Nachfrage nachlässt (wie es bei hohen Energiekosten und Inflation der Fall ist), ist dieses Modell nicht mehr wettbewerbsfähig. Das energieintensive verarbeitende Gewerbe wurde zu Beginn des Ukrainekrieges besonders hart getroffen, und die Produktion ging deutlich zurück, während die Produktion im Euroraum anstieg.

Für das Jahr 2023 sehen die Wachstumsprognosen für Deutschland düster aus. Je nach Wirtschaftsinstitut liegen die Raten zwischen 0,2 Prozent BIP-Zuwachs und teilweise sogar negativ. Eine Rezession scheint kaum mehr abzuwenden. In der Eurozone steht nur das kleine Estland schlechter da. Während die anderen EU-Staaten ihr Vor-Corona-Niveau wieder erreicht haben, schwächelt Deutschland weiter.

Hausgemachte Probleme „Made in Germany“

Die Ampelkoalition hat den Abstieg durch ihre Energie- und Wirtschaftspolitik noch unnötig verschlimmert. Die dadurch steigenden Energiekosten haben direkte Effekte auf die Industrieproduktion. Energieintensive Industriebereiche wie beispielweise die Chemieproduktion – jahrelang ein Exportschlager Deutschlands – haben ihre Produktionsleistung aufgrund zu hoher Energiekosten gedrosselt.

Darüber hinaus haben die Probleme in China die deutsche Industrie hart getroffen. Chinas ist für Deutschland ein wichtiger Exportmarkt. China hat durch seine Null-Covid-Politik einen Wirtschaftsabschwung erlebt und erholt sich langsamer als erwartet. Hinzu kommen die hohen Kosten der Energiewende, die die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie belasten. Deutschland hat laut dem Vergleichsportal Verivox mit 31 Cent je Kilowattstunde die höchsten Strompreise der Welt, noch vor Dänemark (29 Cent) und Belgien (16 Cent).

Die Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke im Frühjahr dieses Jahres dürfte sich schon bald auf den ohnehin hohen Strompreis niederschlagen, sobald der Sommer vorüber ist. Dann kommt auch die unsichere Gasversorgung wieder auf den Tisch. Zwar haben sich die EU-Staaten inzwischen zu einem Gaskartell zusammengeschlossen, um auf dem Weltmarkt bessere Preise zu erzielen. Doch das teure LNG-Gas ist gefragt und Europa konkurriert mit den aufstrebenden asiatischen Staaten.

Investoren und Fachkräfte wandern ab

Das alles zeichnet ein düsteres Bild, das nun auch zunehmend Investoren verschreckt. Laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) flossen 2022 rund 125 Milliarden Euro mehr Direktinvestitionen aus Deutschland ab, als hierzulande investiert wurden. Demzufolge waren dies die höchsten Nettoabflüsse von Kapital, die es in Deutschland je gab.

Dazu kommt, dass die in der Wirtschaft dringend benötigten Fachkräfte Deutschland in immer schnellerem Tempo verlassen. Im letzten Jahr verließen 1,2 Millionen Deutsche das Land und wandern vor allem in die Schweiz, nach Österreich und in die USA aus. Damit setzt sich ein Trend fort, der bereits seit 2016 anhält. Seitdem verlassen jährlich mehr als eine Millionen Deutsche das Land. Ein Grund dürfte die hohe Besteuerung hierzulande sein. Deutschland liegt bei Steuern und Abgaben im OECD-Vergleich auf dem zweiten Platz (47,8 Prozent für Alleinstehende). Nur in Belgien liegt die Abgabenlast noch höher.

Jeder sechste Industriejob wandert ab

Auch die Industrie hält weitere Investitionen am Standort Deutschland zurück. Kein Wunder, denn eine baldige Senkung der hohen Energiepreise ist nicht Sicht und diese bestimmt zu einem Großteil die Fixkosten industrieller Fertigung. Laut einer Umfrage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) sind bereits 16 Prozent der befragten Unternehmen aktiv dabei, Teile der Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Weitere 30 Prozent planen einen solchen Schritt.

Drei von vier Maschinenbauern gaben bei einer Umfrage des Branchenverbandes VDMA an, dass die Attraktivität des Standortes Deutschland in den vergangenen Jahren gesunken sei. Eine ähnliche Entwicklung (75 Prozent) schreiben die Firmen nur noch Großbritannien zu. Nur Ein Viertel der Umfrageteilnehmer des VDMA bewerten die aktuellen Rahmenbedingungen in Deutschland als gut oder sehr gut. Ein deutlich besseres Zeugnis stellen sie beispielsweise den USA aus – 74 Prozent bezeichneten die Bedingungen als gut oder sehr gut.

Zwar versucht die Regierung mit einem Industriestrompreisdeckel dagegen zu steuern, doch über den genauen Weg herrscht noch Uneinigkeit. Wirtschaftsminister Habeck will den Strompreis nur für bestimmte Bereiche – etwa Chemie oder Stahl – bis maximal zum Jahr 2030 künstlich verbilligen. Der vergünstigte Tarif würde für 80 Prozent des Basisverbrauchs gelten, um einen Anreiz zum Sparen zu setzen. Die Kosten dafür werden auf 25 bis 30 Milliarden Euro geschätzt, also etwa fünf Milliarden pro Jahr.

Und während Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner noch über die Finanzierung des Projekts streiten, schaffen die Unternehmen bereits Fakten, um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben. Nach zwei Monaten in Folge, an denen die Industrieaufträge sanken, wandern immer mehr Firmen ins Ausland ab. Zuletzt schlug Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) Alarm und forderte die Regierung zu schnellem Handeln auf.

Da ist der Bau einer neuen Chipfabrik des Technologiekonzerns Intel in Magdeburg Tropfen auf den heißen Stein nur ein Tropfen auf den heißen Stein, den sich Deutschland zudem teuer erkauft. Mit bis zu zehn Milliarden Euro subventioniert der Staat den Bau der Fabrik, der langfristig bis zu 3.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffen soll. Das sind mehr als 3 Millionen Euro Subventionen pro geschaffenen Arbeitsplatz.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Immobilien
Immobilien Deutschlands herrenlose Häuser: Eine Chance für den Markt?
27.04.2024

Herrenlose Immobilien - ein kurioses Phänomen in Deutschland. Es handelt sich hier um Gebäude oder Grundstücke, die keinen...

DWN
Finanzen
Finanzen Reich werden an der Börse: Ist das realistisch?
27.04.2024

Viele Anleger wollen an der Börse vermögend werden. Doch ist das wahrscheinlich - oder wie wird man tatsächlich reich?

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.