Vietnam will seine Fördermenge von Seltenen Erden bis 2030 auf 2,02 Millionen Tonnen pro Jahr steigern. Dies geht aus einem von Reuters eingesehenen Regierungsplan hervor. Dadurch würde das südostasiatische Land zum mit Abstand wichtigsten Lieferanten von Seltenen Erden werden.
2022 wurden in Vietnam seltene Metalle in Höhe von 4.300 Tonnen pro Jahr gefördert, ein rasantes Wachstum nach nur 400 Tonnen im Vorjahr. In der globalen Rangliste entspricht das laut „US Geological Survey“ Rang 6 hinter Thailand (7.100 Tonnen), Myanmar (12.000), Australien (18.000) und USA (43.000). Mit großem Abstand Marktführer ist China mit 210.000 Tonnen jährlicher Fördermenge.
Die Regierung hegt aus guten Gründen Ambitionen im Bereich der seltenen Industriemetalle. Vietnam verfügt mit rund 22 Millionen Tonnen hinter China (40 Millionen) über die zweitmeisten Reserven weltweit. Der Gegenwert des Rohstoffschatzes wird auf insgesamt 3.000 Milliarden Dollar geschätzt. Zu einer höheren Produktion soll die Erschließung von neun Minen im nördlichen Landesteil beitragen, wie aus dem Regierungsplan hervorgeht. Nach 2030 sollen drei bis vier weitere Abbaustätten hinzukommen.
Neben dem Bergbau will das Land auch in Raffinerieanlagen für Seltene Erden investieren, um bis 2030 jährlich 20 000 bis 60 000 Tonnen Seltene-Erde-Oxide herzustellen. „Das Ziel des Plans ist es, dass das Land eine synchronisierte und nachhaltige Industrie für den Abbau und die Verarbeitung von Seltenen Erden entwickelt“, heißt es in dem Dokument. Die Regierungsziel sieht vor, dass Vietnam einen Teil der veredelten Produktion exportieren wird.
Der vietnamesische Minensektor ist stark reguliert. Nur Bergbauunternehmen mit modernen und umweltfreundlichen Technologien sollen für den Abbau und die Verarbeitung zugelassen werden, wobei noch offen ist, nach welchen Kriterien das entschieden wird. Ausländische Investoren müssen sich an das „Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership“ (CPTPP) halten, in dessen Rahmen nur dann eine Bergbau-Lizenz erteilt wird, wenn das Projekt nachweislich einen Netto-Nutzen für Vietnam erbringt.
Kapitalgeber aus dem Ausland sind jedoch wichtig, weil kleinere Firmen nur schwer an Kredite kommen. Wie „Germany Trade & Invest“ schreibt, ist zudem die relativ „schwache Entwicklung lokaler Zulieferer“ ein Schwachpunkt des Landes. Es führe dazu, dass „potenzielle Investoren teilweise andere Standorte mit stärker ausgebildeten Zulieferindustrien, wie Thailand oder Malaysien, vorziehen.“
Der industrielle Aufstieg Südostasiens
Die neuen Ziele von Vietnams Regierung kommen zu einem Zeitpunkt, an dem sich westliche Länder unabhängiger von China machen wollen. Noch ist China die Werkbank der Welt, aber dieser Status beginnt zu bröckeln. Das liegt vor allem an den inzwischen relativ hohen Löhnen in China und der alternden Bevölkerung (Medianalter von 38 versus nur 30 wie in Vietnam). Zudem ist die unternehmerische Freiheit in China deutlich stärker eingeschränkt als in den südostasiatischen Staaten – Vietnam etwa bietet bessere Investitionsbedingungen. Darüber hinaus wollen die Pekinger Machthaber ohnehin den Dienstleistungssektor stärken und den Fokus innerhalb der Industrien mehr auf moderne Technologie statt billige Massenproduktion legen.
Vietnam ist neben Indien eines der Länder, das China als Werkbank der Weltwirtschaft zunehmend den Rang abläuft. Zusätzlich ein führender Exporteur von Seltenen Erden zu werden, macht durchaus Sinn. Vietnam könnte sich in diesem Bereich nahezu komplett unabhängig vom Reich der Mitte machen, die (Export-)Wirtschaft stärken und Synergieeffekte für den Aufbau der landeseigenen Hightech-Branche schaffen.
Das neue Jahrtausend ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs Südostasiens. Kaum eine Region wächst zurzeit so stark wie die ASEAN-Staaten (neben Vietnam zählen hierzu Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysien, Myanmar, Philippinen, Singapur und Thailand). Die junge Demografie mit einer schnell wachsenden Mittelschicht begünstigt eine dynamische Wirtschaft. Südostasien ist ein wichtiges globales Drehkreuz für Produktion und Handel sowie einer der am schnellsten wachsenden Verbrauchermärkte der Welt. Die RCEP-Freihandelszone, der neben den zehn ASEAN-Staaten auch China, Japan, Südkorea und Australien angehören, ist die größte der Welt.
Vietnams ist ein integraler Bestandteil von ASEAN und RCEP. Die Wirtschaft wächst rasant – nach Schätzungen der Ratingagentur Fitch um 7,8 Prozent im Jahr 2022 und 6,5 Prozent in diesem Jahr. Vietnam entwickelt sich in Südostasien zu einem wichtigen Produktionsstandort für elektronische Komponenten, Geräte und Textilien. Es ist zugleich einer der am schnellsten wachsenden Märkte für erneuerbare Energien. Aktuell hängt der Energiesektor noch erheblich von der Kohleverstromung ab, aber bis 2030 soll die Hälfe der Stromerzeugung aus „grünen“ Quellen kommen.
Vietnam ist ein Magnet für ausländische Investitionen aus der RCEP-Region
Westliche und chinesische Firmen investieren stark in den attraktiven Zukunfts-Standort Vietnam, wobei das Reich der Mitte als unmittelbares Nachbarland den Fuß schon in der Tür hat. Besonders Unternehmen aus Japan und Südkorea setzen auf Vietnam. Auch deutsche Unternehmen eröffnen Produktionsstätten vor Ort. Der südliche Nachbar Chinas wird zunehmend zu einem attraktiven Asien-Standort für Unternehmen, die auf die Handelsspannungen zwischen den USA und China reagieren und ihre Lieferketten robuster machen wollen. Ein anderer großer Profiteur dieser Entwicklungen ist Indien.
Mehrere Länder gehen aktuell Partnerschaften mit der vietnamesischen Regierung und privaten Unternehmen ein, um eine integrierte Lieferkette für Seltene Erden und andere wichtige Materialien aufzubauen. Schon 2014 im Dezember 2014 erteilte das Ministerium für natürliche Ressourcen und Umwelt der „Lai Chau Rare Earth Company“ und ihrem japanischen Partner eine Lizenz für den Abbau von Seltenen Erden in der nördlichen Provinz Lai Chau. In dieser Mine werden die größten Reserven des Landes vermutet. Ende 2022 unterzeichneten Vietnam und Südkorea ein Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Erkundung und Erschließung von wichtigen Mineralien einschließlich Seltener Erden.
Australische Unternehmen prüfen Investitionen in den vietnamesischen Bergbau, darunter „Australian Strategic Minerals“ (ASM), das im Dezember ein Abkommen mit „Vietnam Rare Earth“ über die langfristige Lieferung von Seltenen Erden aus der Provinz Yen Bai unterzeichnete, um das koreanische Metallwerk von ASM zu versorgen. Umgekehrt investiert auch Vietnam selbst im unmittelbaren Ausland. Die Rohstofffirma „CAVICO Vietnam“ betreibt in der Provinz Bolikhamxay in Laos eine große Bergbau- und Verarbeitungsanlage, in der unter anderem Seltene Metalle gefördert werden.
Für den Rest der Welt bedeutet Vietnams geplante Investitionsoffensive, dass sich mittel- bis langfristig die Abhängigkeit von seltenen Erden aus China verringern dürfte. Die verarbeitende Industrie bleibt jedoch weiterhin stark auf die Förderung aus dem asiatisch-pazifischen Raums angewiesen. Ein Großteil der vietnamesischen Reserven befindet sich an der nördlichen Grenze zu China, was eines Tages für geopolitischen Zündstoff sorgen könnte (siehe Taiwan-Konflikt).
Seltene Erden: Unersetzlich für Digitalindustrie und Energiewende
Als Seltene Erden werden eine Gruppe von seltenen Metallen (zum Beispiel „Scandium“, „Neodym“ und „Cerium“) bezeichnet, die unter anderem in Elektrobatterien, Mikrochips und Windrädern verbaut werden. Eine ausreichende Verfügbarkeit an Seltenen Erden ist entscheidend für Digitalindustrie und Energiewende.
Sie werden vorwiegend als Nebenprodukt bei der Gewinnung anderer, stärker konzentriert vorliegender Metalle wie Zirkonium und Tantal und aus deren Erzen abgebaut. Der Begriff „selten“ kann für etwas Verwirrung sorgen, denn selbst die seltensten Elemente dieser Metallgruppe sind grob hundertmal häufiger auf der Erde vorhanden als etwa Gold, aber eben viel seltener als Industriemetalle wie Nickel, Kupfer, Zinn oder Indium.
Ein Effekt von Vietnams ambitionierten Abbau-Plänen auf die Preise ist sehr schwer vorherzusagen. Im Übrigen sind alle Metalle der Seltenen Erden zusammengenommen in den letzten 15 Jahren nicht teurer, sondern deutlich billiger geworden. Das ergibt sich aus dem „MVIS Global Rare Earth/Strategic Metals Price-Index“.
Das spricht dafür, dass in den letzten Jahrzehnten ausreichend in Minen-Kapazitäten investiert wurde und sich Industrie-Unternehmen aus globaler Sicht keine Sorgen um akute Knappheiten machen müssen.