Politik

Asylbewerber: Wie Großbritannien Bootsflüchtlinge abschrecken will

Drastische Maßnahmen: Sollte der umstrittene Plan, Asylbewerber in Ruanda unterzubringen, scheitern, kommt nun die Vulkaninsel Ascension wieder ins Spiel. Der Vorschlag war 2020 als undurchführbar abgelehnt worden. Was die Regierung sonst noch plant.
08.08.2023 14:20
Aktualisiert: 08.08.2023 14:20
Lesezeit: 3 min
Asylbewerber: Wie Großbritannien Bootsflüchtlinge abschrecken will
Der Schlepper Mercia zieht den Lastkahn „Bibby Stockholm“ nach Portland in der Grafschaft Dorset. Die britische Regierung will Migranten übergangsweise in einer schwimmenden Behausung unterbringen und hat dafür trotz Kritik aus den eigenen Reihen ein erstes Schiff organisiert. Auf dem Lastkahn sollen etwa 500 Menschen untergebracht werden. (Foto: dpa) Foto: Ben Birchall

Die britische Regierung bemüht sich mit drastischen Maßnahmen und Gesetzen Flüchtlinge und Asylbewerber, die in kleinen Booten den Ärmelkanal überqueren, abzuschrecken. Nach heftiger Kritik an Plänen, die Flüchtlinge sofort nach Ruanda zu bringen, wo sie in Lagern ihre Verfahren abwarten sollen, rückte am Wochenende ein anderer Deportationsort für illegal einreisende Migranten in den Fokus. Wie verschiedene britische Zeitungen am Sonntag unter Berufung auf Regierungskreise berichteten, könnten Asylsuchende auf die Vulkaninsel Ascension im Südatlantik geschickt werden, sollten die umstrittenen Ruanda-Pläne endgültig scheitern.

Der Vorschlag, Asylbewerber auf die mehr als 6000 Kilometer entfernte unwirtliche Insel zu schicken, war 2020 bereits von der damaligen Innenministerin Priti Patel ins Spiel gebracht worden, wurde allerdings seinerzeit von der Regierung als undurchführbar abgelehnt. Die Opposition geißelte ihn als „verrückt, inhuman, absurd teuer und unpraktisch“. Nun scheint er wieder denkbar. Am Montag bestätigte Sarah Dines, Staatssekretärin im Innenministerium, die Ascension-Option als mögliche Alternative für Ruanda, schreibt der „Guardian“.

Ascension ist eine 88 Quadratkilometer große tropische Insel im Südatlantik zwischen Afrika und Südamerika. Zusammen mit der Insel St. Helena und der Inselgruppe Tristan da Cunha bildet sie das Britische Überseegebiet St. Helena, Ascension und Tristan da Cunha. Die Vulkan- Insel von der Größe Föhrs dient Briten und Amerikanern als Militärstützpunkt.

Ruanda-Pläne sind noch nicht vom Tisch

Wie ernsthaft diese Option erwägt wird, ist allerdings unklar. Man sei sehr zuversichtlich, dass die Ruanda-Politik rechtmäßig sei und würde sich zunächst darauf konzentrieren, sagte Dines demnach im Gespräch mit Times Radio. Wie jede verantwortungsvolle Regierung müsse man aber auch zusätzliche Maßnahmen im Blick behalten. „Wir schauen uns also alles an, um sicherzustellen, dass unsere Politik funktioniert.“ Die Regierung müsse alles tun, um die Anziehungskraft illegaler Schlepperbanden zu verringern, die das System ausnutzen, so Dines.

Nach dem offenbar nicht abgesprochenen Vorpreschen von Dines, bemühte sich die Regierung den Eindruck zu zerstreuen, dass Ascension ernsthaft in Betracht gezogen werde, ohne jedoch offiziell dazu Stellung zu nehmen, berichtet der „Guardian“. Es seien auch weitere Länder im Gespräch, bestätigte ein Regierungssprecher in einem Pressebriefing, ohne diese zu nennen. Man sei allerdings sehr zuversichtlich, dass man für die Unterbringung von Migranten in Ruanda grünes Licht bekomme. Der „Times“ zufolge hat es unter anderen Gespräche mit Ghana, Nigeria, Namibia, Marokko und Niger gegeben.

Auch der konservative Politiker Jacob Rees-Mogg, ehemaliger Wirtschaftsminister unter Liz Truss, schaltete sich in die Diskussion ein. Der Plan Asylbewerber nach Ascension zu bringen, sei 2020 auch deshalb ausgeschlossen worden, weil ein solches Projekt mit mindestens einer Million Pfund pro Person einfach zu teuer geworden wäre, sagte er in einem Gespräch mit GB News. Das sind Kosten, die die Briten auch heute nicht vertreten könnten.

Schnelle Abschiebungen wird es jedoch erst einmal nicht geben. Der Rechtsstreit um die Ruanda-Politik ist noch nicht beendet. Nachdem der High Court die Politik für rechtmäßig befunden hatte, hatte das Berufungsgericht im Juni geurteilt, dass dies wegen eines unzureichenden Asylsystems in Ruanda nicht der Fall sei. Nun soll das höchste Gericht des Landes, der Supreme Court, die Sache endgültig klären. Ein Urteil wird laut dem „Observer“ im Spätherbst erwartet.

Hohe Geldstrafen für Unternehmer und Vermieter

Die Abschiebungen in unwirtliche, weit entfernte Gegenden sind nicht die einzige Abschreckungsmaßnahme der britischen Regierung gegen illegale Einwanderer. Auch Geldstrafen für Unternehmen und Vermieter, die illegal Eingereiste beschäftigen oder unterbringen, sollen drastisch erhöht werden. Der zuständige Staatssekretär Robert Jenrick warf „skrupellosen“ Firmenchefs, die undokumentierte Arbeit erlaubten, vor, das Geschäft der Menschenschmuggler anzutreiben. Den Plänen zufolge sollen die Strafen für Unternehmen von 15.000 auf 45.000 Pfund (52.000 Euro) je illegal beschäftigtem Arbeiter steigen. Die Strafen für Vermieter verzehnfachen sich demnach von 1000 Pfund pro Mieter auf 10.000 Pfund.

Unbequeme Unterkunft für Asylbewerber auf Lastkähnen

Um ihre von Schleppern geweckten Hoffnungen auf eine bequeme Unterkunft zu zerstreuen, sollen die Asylbewerber außerdem zunächst auf umgebauten Lastkähnen untergebracht werden. Wie mehrere Medien berichteten, kamen am Montag die ersten Männer am Hafen der südenglischen Stadt Portland an. Dort protestierten mehrere Menschen gegen den Ankerplatz des „Bibby Stockholm“ genannten Schiffs, andere gegen die Asylpolitik der konservativen Regierung. An Bord des dreistöckig ausgebauten Kahns sollen am Ende insgesamt 500 Männer im Alter zwischen 18 und 65 Jahren auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten.

Die „Bibby Stockholm“ wurde zuletzt als schwimmende Unterkunft für Ölarbeiter genutzt. Sie hatte Mitte der 1990er Jahre in Hamburg auch Asylsuchende und Obdachlose beherbergt. Damals war sie für etwa 200 Insassen ausgelegt. Wie die BBC berichtete, wurde die Kapazität nun auch mithilfe von Stockbetten auf 500 erhöht. Die Feuerwehrgewerkschaft warnte deshalb vor Risiken. Mit der Maßnahme will Premierminister Rishi Sunak sowohl ein Platzproblem bei der Unterbringung von Migranten lösen als auch hohe Kosten durch Hotelzimmer vermeiden. Die Regierung will noch weitere, ähnliche Lastkähne einsetzen.

Drastische Verschärfung der Gesetze

Nach einem neuen Gesetz verwirkt zudem jede Person, die versucht hat, auf illegalem Weg ins Land zu kommen, jedes Rückkehrrecht. Wer ohne Erlaubnis das Land betritt, wird umgehend in Haft genommen, soll so schnell wie möglich abgeschoben werden und darf nicht mehr Asyl in Großbritannien beantragen - ohne Rücksicht auf die persönlichen Umstände. Alternative sichere und legale Routen für Asylsuchende, wie sie Menschenrechtsgruppen seit langem fordern, bietet die konservative Regierung des Vereinigten Königreichs jedoch nicht an.

Die Zahl irregulär eingereister Menschen war im vergangenen Jahr auf 45.000 gestiegen, obwohl konservative Kräfte angekündigt hatten, mit dem Brexit werde die Migration abnehmen. Allerdings gibt es seitdem kein Rücknahmeabkommen mehr mit der EU. (mit dpa)

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