Politik

Bald auch in Deutschland? Koreaner fordern Anhebung des Renteneintrittsalters

In Südkorea fordern Gewerkschaften eine Anhebung des Renteneintrittsalters. In Deutschland sieht die Lage ähnlich bedrohlich aus.
02.09.2023 09:36
Aktualisiert: 02.09.2023 09:36
Lesezeit: 3 min

Gewerkschaften wehren sich für gewöhnlich, wenn ihre Mitglieder länger arbeiten sollen. Nicht so in Südkorea: Dort kämpfen sie für eine Anhebung des Renteneintrittsalters. Damit wollen sie den Arbeitnehmern einige Jahre mehr Lohn verschaffen, bevor sie sich eine andere Beschäftigung suchen müssen, um ihre für gewöhnlich magere Rente aufzubessern.

„Wir müssen das Renteneintrittsalter anheben, um Beschäftigungsstabilität und angemessene Löhne für ältere Menschen zu gewährleisten und um Altersarmut zu verhindern“, fordert der Gewerkschaftsbund FKTU, eine der beiden größten Dachgewerkschaften Südkoreas.

Die viertgrößte Volkswirtschaft Asiens hat eine der am schnellsten alternden Bevölkerungen der Welt. Schon 2025 dürften Prognosen zufolge mehr als ein Fünftel der Einwohner 65 Jahre oder älter sein. Die Armutsquote unter älteren Menschen ist dabei dreimal so hoch ist wie im Durchschnitt der in der OECD vereinigten Industriestaaten.

Die Gewerkschaftsforderung nach einem späteren Renteneintritt ist allerdings alles andere als unumstritten. Kritiker befürchten, dass sich dadurch die Berufsaussichten für junge Menschen verschlechtern und Unternehmen daran gehindert würden, sich rasch an ein sich änderndes Umfeld anzupassen. „Wenn das Renteneintrittsalter einfach per Gesetz erhöht wird, wie es die Gewerkschaften fordern, kann dies für junge Menschen bei der Arbeitsplatzsuche ein großes Hindernis darstellen und sie zur Verzweiflung bringen“, erklärt der Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsrat des Präsidenten.

Die Gewerkschaft beim Stahlhersteller Posco plant trotz solcher Bedenken eine Abstimmung darüber, ob sie einen Streik ausrufen soll, um ihrer Forderung nach einem späteren Rentenbeginn Nachdruck zu verleihen. Zuvor war es ihr nicht gelungen, mit der Unternehmensleitung eine Einigung über die Löhne zu erzielen.

Die Anhebung des Renteneintrittsalters von aktuell 60 um ein Jahr war eine der Forderungen der 11.000 Mitglieder zählenden Gewerkschaft in den ersten gescheiterten Lohnverhandlungen seit Gründung des Stahlunternehmens vor 55 Jahren. Die 44.000 Mitglieder zählende Gewerkschaft beim Autobauer Hyundai will am Mittwoch Pläne für mögliche Streiks vorstellen. Sie fordert ebenfalls eine Anhebung des Renteneintrittsalters, und zwar von 60 auf 64 Jahre.

Pensionsfonds geht das Geld aus

Das südkoreanische Gesetz schreibt ein Renteneintrittsalter von 60 Jahren oder höher vor. Die meisten Unternehmen wenden jedoch die unterste Grenze von 60 Jahren an. Der Nationale Rentendienst (NPS) beginnt aber je nach Geburtsdatum erst im Alter von 63 bis 65 Jahren mit der Auszahlung. Zudem ersetzt die Rente nur einen Bruchteil des Lohns. Der Gewerkschaftsbund FKTU hat deshalb eine Petition an das Parlament gerichtet, um das gesetzliche Rentenalter schrittweise auf 65 Jahre anzuheben.

Der Anteil der Südkoreaner, die 65 Jahre oder älter sind, ist von 11,9 Prozent im Jahr 2013 auf aktuell 18,4 Prozent der Bevölkerung gestiegen. Prognosen des Statistikamtes zufolge dürfte er im Jahr 2050 die Marke von 40 Prozent überschreiten.

Der NPS hat Schwierigkeiten, die schnell alternde Bevölkerung zu versorgen. Lag die Lohnersatzquote 1998 noch bei 70 Prozent, soll sie bis 2028 auf 40 Prozent fallen. Zum Vergleich: In den europäischen Industriestaaten liegt dieser Wert bei 60 bis 70 Prozent. Obwohl der NPS der drittgrößte Pensionsfonds der Welt ist und im Mai ein Vermögen von 974 Billionen Won (681 Milliarden Euro) verwaltete, wird er angesichts der erwarteten Alterung voraussichtlich bis 2055 kein Geld mehr haben.

Deutschland und das Problem Altersarmut

Immer mehr Menschen laufen Gefahr, in Altersarmut abzurutschen. Das geht aus einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag vom September 2022 hervor. Demnach ist die Armutsgefährdungsquote bei Menschen über 65 Jahren von 2018 bis 2021 von 14,7 auf 17,4 Prozent gestiegen. Fast jeder Sechste der über 65-Jährigen in Deutschland ist damit armutsgefährdet, hat also weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) der Bevölkerung zur Verfügung.

Vor allem ältere Frauen sind der Auswertung zufolge häufiger von Armut bedroht als noch vor vier Jahren. Im Jahr 2018 lag die Armutsgefährdungsquote bei den über 65-jährigen Frauen bei 16,4 Prozent, im Jahr 2021 bei 19,3 Prozent. Bei den über 65-jährigen Männern erhöhte sich die Quote im selben Zeitraum von 12,7 auf 15,1 Prozent.

Über alle Altersklassen genommen stieg die Armutsgefährdungsquote moderater an - von 15,5 Prozent im Jahr 2018 auf 16,6 Prozent im Jahr 2021. Die Auswertung liegt auch der Deutschen Presse-Agentur vor.

Höher als bei Senioren ist die Gefährdungsquote bei jüngeren Menschen. Bei den unter 18-Jährigen lag sie 2021 bei 20,8 Prozent, bei 18- bis 25-Jährigen sogar bei 25,5 Prozent. Allerdings haben sich die Quoten hier im Vergleich zu 2018 kaum geändert.

Die Linke forderte von der Bundesregierung angesichts der Entwicklung bei den älteren Menschen schnelle Hilfen.“«Die «stabilen Renten» des Bundeskanzlers sind ein Märchen. Altersarmut explodiert“, sagte der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch den Funke-Zeitungen. Die Grundrente reiche nicht. Bartsch bekräftigte die Forderung seiner Partei nach einer Mindestrente von 1.200 Euro. Zur Finanzierung hatte die Linke in der Vergangenheit bereits gefordert, dass alle Erwerbstätigen sowie Abgeordnete in die gesetzliche Rente einzahlen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs rutscht auf tiefsten Stand seit Juni: Anleger leiden unter Risikoaversion
04.11.2025

Der Bitcoin-Kurs steht unter massivem Druck. Milliardenverluste, Panikverkäufe und makroökonomische Unsicherheiten erschüttern den...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ifo-Studie: Betriebsrat wirkt sich positiv auf die Produktivität aus
04.11.2025

Wie stark kann ein Betriebsrat die Produktivität von Unternehmen wirklich beeinflussen? Eine aktuelle Ifo-Studie liefert überraschende...

DWN
Panorama
Panorama Triage-Regel gekippt: Was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet
04.11.2025

Das Bundesverfassungsgericht hat die umstrittene Triage-Regel gekippt – ein Urteil mit weitreichenden Folgen für Medizin und Politik....

DWN
Politik
Politik Reformen in Europa: Wie der schleppende Fortschritt den Wettbewerb gefährdet
04.11.2025

Europa steht vor wachsenden wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen. Kann die Union unter diesen Bedingungen den Rückstand...

DWN
Finanzen
Finanzen BYD-Aktie unter Druck: Chinas Autobauer mit größtem Umsatzrückgang seit Jahren
04.11.2025

BYD steht unter Druck: Der einstige Überflieger der E-Auto-Branche erlebt den größten Gewinnrückgang seit Jahren. Anleger sind...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Stahlproduktion: Studie der Hans-Böckler-Stiftung warnt vor Milliardenverlusten durch Stahlauslagerung
04.11.2025

Die mögliche Stahlauslagerung deutscher Produktionskapazitäten sorgt für Aufsehen. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung warnt...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: So schützen sich Anleger vor einem möglichen KI-Crash an den Finanzmärkten
04.11.2025

Die US-Finanzmärkte sind in Bewegung. Technologiewerte und Entwicklungen rund um künstliche Intelligenz sorgen für Begeisterung und...

DWN
Finanzen
Finanzen Autokosten: Check zeigt steigende Preise für Versicherung, Pflege und Reparaturen
04.11.2025

Die Preise rund ums Auto steigen rasant – von Versicherung bis Wartung. Ein aktueller Autokostencheck zeigt, wie stark sich der Unterhalt...