Politik

Kann die Ukraine verlorene Gebiete zurückerobern?

Lesezeit: 2 min
09.09.2023 09:16  Aktualisiert: 09.09.2023 09:16
Ein US-Geheimdienstmitarbeiter widerspricht den optimistischen Kriegsberichten des Westens. Im Interview mit Seymour Hersh sagt er: „Selenskyj wird sein Land niemals zurückbekommen“.
Kann die Ukraine verlorene Gebiete zurückerobern?
Andrij Jermak, Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, und Dmytro Kuleba, Außenminister der Ukraine, am Mittwoch beim Treffen mit US-Außenminister Blinken in Kiew. (Foto: dpa)
Foto: Brendan Smialowski

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

In einem Interview mit dem renommierten Reporter Seymour Hersh kritisiert ein US-Geheimdienstmitarbeiter, die Medien hätten die amerikanische Öffentlichkeit über die Misserfolge der Ukraine auf dem Schlachtfeld während der Gegenoffensive im Frühjahr in die Irre geführt. Im Hinblick auf die Berichte der letzten Wochen, wonach die ukrainischen Streitkräfte Territorium zurückerobert haben sollen, fragt der Beamte: "Woher nehmen die Reporter diese Informationen?"

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg berichtete diese Woche über Fortschritte der Ukraine bei ihrer im Juni gestarteten Gegenoffensive zur Rückeroberung von Russland besetzter Gebiete. "Die Ukrainer gewinnen allmählich an Boden", sagte Stoltenberg am Donnerstag bei einem Auftritt im EU-Parlament. "Es ist ihnen gelungen, die Verteidigungslinien der russischen Streitkräfte zu durchbrechen, und sie bewegen sich vorwärts.".

Zuvor hatte US-Außenminister Antony Blinken am Mittwoch bei seinem unangekündigten Besuch in Kiew, wo er neue US-Militärhilfen verkündete, ein ähnlich optimistisches Bild der Lage gezeichnet. "In der laufenden Gegenoffensive haben sich die Fortschritte in den letzten Wochen beschleunigt. Diese neue Hilfe wird dazu beitragen, sie aufrechtzuerhalten und eine weitere Dynamik zu erzeugen", sagte er auf einer Pressekonferenz.

Und bereits am 1. September hatte John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, gemeldet: "Wir haben in den vergangenen 72 Stunden einige bemerkenswerte Fortschritte der ukrainischen Streitkräfte zur Kenntnis genommen." Diese habe es in der südlichen Vorstoßlinie aus dem Gebiet Saporischschja heraus gegeben. Zudem habe die Ukraine einige Erfolge gegen die zweite russische Verteidigungslinie erzielt.

Ganz anders stellt es der US-Geheimdienstmitarbeiter im Interview mit Hersh dar: "Das Ziel der ersten russischen Verteidigungslinie war nicht, die ukrainische Offensive zu stoppen, sondern sie zu verlangsamen, damit die russischen Kommandeure im Falle eines ukrainischen Vorstoßes Reserven zur Verstärkung der Linie heranziehen können. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die ukrainischen Streitkräfte die erste Linie überwunden haben."

Der Beamte sagt, dass diese Botschaft vom militärischen Geheimdienst an das Weiße Haus übermittelt worden sei, während die CIA andere Schlussfolgerungen gezogen habe. "Diese Art der Berichterstattung des militärischen Nachrichtendienstes geht an das Weiße Haus. Es gibt auch andere Ansichten", sagte er und bezog sich dabei auf die CIA. Der Beamte erklärte, dass diese Ansichten Präsident Joe Biden nicht erreichen.

Seit über drei Monaten bemühen sich die ukrainischen Streitkräften, gegen die russischen Verteidigungslinien im Süden der Ukraine vorzurücken. Doch die massiven russischen Minenfelder haben dazu beigetragen, dass die Ukraine in den ersten Wochen der Offensive einen großen Teil ihrer im Westen ausgebildeten Soldaten und vom Westen bereitgestellten Ausrüstung verloren hat. Zudem ist es der Ukraine nicht gelungen, nennenswerte Gebietsgewinne zu erzielen.

Die US-Geheimdienste gehen intern davon aus, dass die Gegenoffensive der Ukraine gescheitert ist. Dennoch drängt das Weiße Haus Kiew zur Fortsetzung der Bemühungen. Der Beamte sagte gegenüber Hersh, dass die Ziele von Präsident Wolodymyr Selenskyj unerreichbar seien, ganz gleich, wie sehr sich Kiew in den Kriegsanstrengungen engagiere. "Selenskyj wird sein Land niemals zurückbekommen", sagte er.


Mehr zum Thema:  

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft EU-Austritt Deutschlands: Ist „Dexit“ der Weg in die Katastrophe?
23.05.2024

Seit dem Brexit-Referendum wird in Deutschland immer wieder über einen möglichen EU-Austritt, den „Dexit“, diskutiert. Eine aktuelle...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Grenzziehung: Russlands Planspiele sorgen für Besorgnis bei Nachbarn
22.05.2024

Ein russisches Gesetzesprojekt zur Neubestimmung der Ostsee-Grenzen sorgt für Aufregung bei Nachbarländern. Litauen spricht von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Handelskonflikt mit USA und EU heizt sich auf: China erwägt höhere Import-Zölle auf Verbrenner
22.05.2024

Der Handelskonflikt zwischen den USA und China eskaliert weiter und erfasst nun auch europäische Autobauer, die gar keine E-Autos...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturaussichten hellen sich langsam auf
22.05.2024

Die deutsche Wirtschaft scheint das Gröbste überstanden zu haben. Nach einem leichten Wachstum zu Jahresbeginn dürfte die Konjunktur...

DWN
Politik
Politik Lehrerverband will Islamunterricht: Lösung für bessere Integration oder Anbiederung?
22.05.2024

Gut 1,6 Millionen Schüler moslemischen Glaubens besuchen mittlerweile Deutschlands Schulen. Für sie wünscht sich der Präsident des...

DWN
Immobilien
Immobilien Bessere Laune im Bausektor, aber Auftragsmangel immer noch zentrales Problem
22.05.2024

Auf dem ZIA-Finance Day letzte Woche ging es - unter anderen Schlüsselthemen - um die sich stabilisierende makroökonomische Lage in...

DWN
Finanzen
Finanzen Der DWN-Marktreport: Börsen im Rally-Modus – Aktienmärkte erreichen Allzeithochs, Metalle glänzen
22.05.2024

Die vergangene Woche konnte sich sehen lassen: Die internationalen Finanz- und Rohstoffmärkte warteten mit beeindruckenden Preisbewegungen...

DWN
Politik
Politik Erleichterungen für Hausarztpraxen im Fokus
22.05.2024

Das Bundeskabinett befasst sich mit einer stärkeren Absicherung der Gesundheitsversorgung für Patientinnen und Patienten - besonders in...