Politik

US-Geheimdienste akzeptieren Scheitern der Gegenoffensive

Die US-Geheimdienste gehen davon aus, dass die Gegenoffensive der Ukraine gescheitert ist. Die vom Westen gelieferte Ausrüstung war nicht genug gegen die russische Verteidigung.
Autor
19.08.2023 09:11
Aktualisiert: 19.08.2023 09:11
Lesezeit: 4 min
US-Geheimdienste akzeptieren Scheitern der Gegenoffensive
Auch wenn die Ukraine die Ziele der Gegenoffensive nicht erreicht, so ist sie General Milley zufolge dennoch nicht umsonst gewesen. (Foto: dpa) Foto: Sebastian Christoph Gollnow

Die US-Geheimdienste gehen davon aus, dass die ukrainische Gegenoffensive die wichtige südöstliche Stadt Melitopol nicht erreichen wird. Das Hauptziel der Gegenoffensive, die russische Landbrücke zur Halbinsel Krim zu kappen, ist damit unerreichbar. Dies berichtet die Washington Post unter Berufung auf Insider, die mit der geheimen Lageeinschätzung vertraut sind.

Grund für das Scheitern der Gegenoffensive sind nach Einschätzung der Geheimdienste die von Russland angelegten tiefen Minenfelder und Schützengräben in der Region. Dass die ukrainische Armee diese Verteidigungsanlagen nicht überwinden konnte, dürfte nun in der Ukraine und im Westen zu einer Diskussion darüber führen, wer die Schuld am Scheitern trägt.

Die Ukraine hat für ihre Gegenoffensive westliche Waffen und militärische Ausrüstung im Wert von mehreren Milliarden Dollar erhalten. Doch dies war offenbar nicht ausreichend. Die ukrainischen Streitkräfte haben in den letzten Monaten keine nennenswerten Geländegewinne erzielt und hängen in der mehr als 50 Meilen von Melitopol entfernten Stadt Robotyne fest.

Die Stadt Melitopol gilt als das Tor zur Krim. Sie liegt an der Kreuzung zweier wichtiger Autobahnen und einer Eisenbahnlinie, die es Russland ermöglichen, militärisches Personal und Ausrüstung von der Halbinsel in andere eroberte Gebiete im Süden der Ukraine zu transportieren. Die Ukraine startete die Gegenoffensive Anfang Juni und hoffte, ihren Erfolg beim Vorstoß durch die Region Charkow im letzten Herbst wiederholen zu können.

Westliche Ausrüstung enttäuscht

In der ersten Woche der Kämpfe musste die Ukraine jedoch große Verluste gegen die gut vorbereitete russische Verteidigung hinnehmen. Die vom Westen gelieferte Ausrüstung, darunter US-Kampffahrzeuge vom Typ Bradley, Leopard-2-Panzer aus deutscher Produktion und spezielle Minenräumfahrzeuge, hatten der Verteidigung wenig entgegenzusetzen.

Um die Verluste auf dem Schlachtfeld einzudämmen, ging die Ukraine zu einer Taktik über, bei der sie sich auf kleinere Einheiten stützt, die in verschiedenen Bereichen der Front vorrücken. Dies führte dazu, dass die Ukraine im Laufe des Sommers in verschiedenen Gebieten schrittweise Gewinne erzielte, aber es ist nicht gelungen, die russische Hauptverteidigungslinie zu durchbrechen.

Der Weg nach Melitopol ist äußerst schwierig. "Russland hat dort drei Hauptverteidigungslinien und danach befestigte Städte", so Rob Lee, Militäranalyst beim Foreign Policy Research Institute. "Es ist nicht nur eine Frage, ob die Ukraine eine oder zwei davon durchbrechen kann, sondern ob sie alle drei durchbrechen kann und nach der Zermürbung genügend Kräfte zur Verfügung hat, um etwas Bedeutsameres zu erreichen".

Im US-Kongress wird hinter verschlossenen Türen über die Reaktion auf die Misserfolge gestritten. Einige Republikaner sträuben sich gegen den Antrag von Präsident Joe Bidens auf zusätzliche 20,6 Milliarden Dollar für die Ukraine-Hilfe. Andere Republikaner und in geringerem Maße auch Demokraten hingegen haben die Regierung dafür kritisiert, dass sie der Ukraine nicht früher stärkere Waffen geliefert hat.

Doch US-Beamte weisen die Kritik zurück, dass F-16-Kampfjets oder Raketensysteme mit größerer Reichweite wie ATACMS zu einem anderen Ergebnis geführt hätten. "Das Problem besteht nach wie vor darin, Russlands Hauptverteidigungslinie zu durchdringen, und es gibt keinen Beweis dafür, dass diese Systeme ein Allheilmittel gewesen wären", zitiert die Washington Post einen hochrangigen Regierungsbeamten.

Gegenoffensive aus US-Sicht nicht umsonst

In einem Interview in dieser Woche sagte General Mark A. Milley, Vorsitzender der Generalstabschefs, die USA seien sich über die schwierige Aufgabe der Ukraine im Klaren gewesen. "Ich hatte schon vor ein paar Monaten gesagt, dass diese Offensive langwierig und blutig sein wird und dass sie langsam vonstatten gehen wird", sagte er gegenüber der Washington Post. "Und genau so ist es auch."

Auch wenn die Ukraine ihre Ziele nicht erreicht habe, so ist es nach Ansicht des Generals doch gelungen, die russischen Streitkräfte im Rahmen der Gegenoffensive zu schwächen. "Die Russen sind in einer ziemlich schlechten Verfassung", so Milley weiter. "Sie haben eine große Anzahl von Verlusten erlitten. Ihre Moral ist nicht sehr gut."

US-Beamte sagten, das Pentagon habe der Ukraine mehrfach empfohlen, eine große Masse an Streitkräften auf einen einzigen Durchbruchspunkt zu konzentrieren. Obwohl sich die Ukraine für eine andere Strategie entschied, sagten Beamte, dass dies angesichts der großen Opfer, die die ukrainischen Truppen auf dem Schlachtfeld bringen, die Entscheidung Kiews war.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba räumte am Donnerstag ein, dass die ukrainische Gegenoffensive nur langsam vorankomme, sagte aber, Kiew werde nicht aufhören zu kämpfen, bis das gesamte Land zurückerobert sei. "Unser Ziel ist der Sieg, der Sieg in Form der Befreiung unserer Gebiete innerhalb der (ukrainischen) Grenzen von 1991, und es ist uns egal, wie lange es dauert", sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Analysten sagen, dass Russland die Erwartungen im Hinblick auf die Verteidigung seiner eroberten Gebiete übertroffen hat. "Der entscheidende Faktor für den bisherigen Verlauf der Offensive ist die Qualität der russischen Verteidigung", sagt Lee und verweist auf den Einsatz von Schützengräben, Minen und der Luftwaffe durch Russland. "Sie hatten viel Zeit und haben sich sehr gut vorbereitet."

Die neue Einschätzung der US-Geheimdienste deckt sich mit einer geheimen Prognose vom Februar, wonach die Gegenoffensive aufgrund von Mängeln bei der Ausrüstung und der Truppenstärke das Ziel der Ukraine, die Landbrücke zur Krim bis August zu kappen, "deutlich verfehlen" wird. In der Einschätzung wurden schon damals Melitopol oder Mariupol als Ziele genannt, um den russischen Zugang zur Krim auf dem Landweg zu unterbrechen.

Ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums hält es für möglich, dass die Ukraine die Gegenoffensive im Winter fortsetzt, auch wenn es dann viel schwieriger werde, die Soldaten warm zu halten und mit Lebensmitteln und Munition zu versorgen. Aber auch bei militärischen Operationen im Winter könnte Moskau besser abschneiden. "Die Russen sind bekanntlich in der Lage, bei kaltem Wetter zu kämpfen", so der Beamte.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

DWN
Politik
Politik Kritische Rohstoffe: Warum die EU im Wettlauf um seltene Erden gegen China und die USA verliert
29.10.2025

Seltene Erden und kritische Rohstoffe prägen die globale Wirtschaftspolitik. Während China und die USA ihre Interessen durchsetzen,...

DWN
Politik
Politik Mindestlohn-Erhöhung: Bundesregierung beschließt Anhebung in zwei Stufen – wer zahlt und wer profitiert
29.10.2025

Der gesetzliche Mindestlohn steigt deutlich – doch was bedeutet das für Arbeitnehmer, Unternehmen und Preise? Die neue...

DWN
Finanzen
Finanzen Nvidia-Aktie: KI-Gigant Nvidia vor Sprung über 5-Billionen-Dollar-Marke
29.10.2025

Die Nvidia-Aktie steht kurz davor, eine historische Marke zu überschreiten – und die Weltbörsen staunen. Doch was steckt wirklich...

DWN
Finanzen
Finanzen Sparplan? Deutsche sparen viel, aber oft ohne klare Strategie
29.10.2025

Die Deutschen lieben das Sparen, doch vielen fehlt ein klarer Sparplan oder Wissen über den Vermögensaufbau. Sicherheit steht meist über...

DWN
Finanzen
Finanzen Porsche-Aktie in der Analyse: Wenn der Mythos wankt und die Rendite schmilzt
29.10.2025

Porsche schreibt fast eine Milliarde Euro Verlust – und das mitten im Strukturwandel. Der Sportwagenhersteller kämpft mit schwachen...

DWN
Panorama
Panorama Digitale Krankmeldung und eAU: Rechte, Pflichten und Grenzen im Krankheitsfall
29.10.2025

Wer sich krankmeldet, steht oft vor Fragen: Wann muss ich Bescheid sagen? Was darf ich trotz Krankschreibung tun? Und welche Fehler können...

DWN
Politik
Politik Science Europe-Chefin: Wir können Trump nicht ändern, aber wir können unser Handeln ändern
29.10.2025

Datensperren in den USA, restriktive Regeln in China. „Science Europe“ fordert einen Kurswechsel. Europa muss seine technologische...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chipmangel in der deutschen Industrie verschärft sich: Wo die Ursachen liegen und warum die Folgen dramatisch sind
29.10.2025

Der zunehmende Chipmangel trifft Deutschlands Industrie empfindlich. Steigende Engpässe, geopolitische Spannungen und die Abhängigkeit...