Die Erde ist heute um fünf Prozent grüner als noch vor rund zwanzig Jahren, trotz beziehungsweise auch wegen dem Klimawandel. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der US-Weltraumbehörde NASA, die leitend von Wissenschaftlern der Universität Boston verfasst wurde.
Gemessen wird das anhand einer Kennzahl, die den Pflanzenreichtum anhand der durchschnittlichen Blattfläche erfasst, der sogenannte „Leaf Area Index“ (LAI). Von 2000 bis 2017 ist netto eine Blattfläche durch Pflanzen und Bäume hinzugekommen, die in etwa der Fläche des gesamten Amazonas-Regenwaldes entspricht. In Zahlen: Mehr als Zwei Millionen Quadratkilometer an zusätzlicher grüner Blattfläche pro Jahr.
Unerwartet: Vor allem China und Indien werden immer grüner
Den Satellitendaten zufolge ist der „Grünungseffekt“ zu großen Teilen auf China und Indien zurückzuführen, die im Beobachtungszeitrum mehr als zehn Prozent an Grünfläche hinzugewannen. Auch die EU, Russland und USA schneiden überdurchschnittlich ab.
Wenn die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt immer pflanzenreicher werden, dann hat das natürlich einen immensen Einfluss auf das globale Bild. Der Studie zufolge ist die intensive Landwirtschaft in beiden Ländern hauptverantwortlich für die Entwicklung (angebaut werden vor allem die Nahrungsmittelpflanzen Reis, Weizen und Mais, aber etwa auch Soja, Tee, Gemüse und Baumwolle).
Die für den Ackerbau genutzte Fläche ist in China und Indien vergleichbar und hat sich von Anfange 2000 bis zum Ende des Beobachtungszeitraums kaum verändert. Dennoch stiegen die jährliche Gesamtfläche an grünen Blättern massiv an. Genauso wie die Nahrungsmittelproduktion. Der Ertrag an Getreide, Obst und Gemüse ist von 2000 bis 2017 um circa 40 Prozent gestiegen, um die größere werdende Bevölkerung zu ernähren. Ermöglicht wurde das durch den Mehrfachanbau, bei dem ein Feld mehrmals im Jahr neu bepflanzt wird, um eine weitere Ernte zu erzielen.
Die zunehmenden Baumpflanzungs-Projekte in China spielten auch eine große Rolle. Das Reich der Mitte hat zahlreiche Programme zur Erhaltung und Ausweitung der Wälder gestartet, um negative Auswirkungen von Bodenerosion, Luftverschmutzung und Klimawandel zu verringern.
„China und Indien sind für ein Drittel der Begrünung verantwortlich, machen aber nur 9 Prozent der mit Vegetation bedeckten Landfläche des Planeten aus – ein überraschender Befund, wenn man bedenkt, dass in bevölkerungsreichen Ländern aufgrund von Raubbau generell eine Verschlechterung der Bodenqualität festzustellen ist“, so Mitautor Chi Chen.
Forst- und Landwirtschaft trägt mehr zur „Begrünung“ bei als der Düngeeffekt durch Kohlendioxid
Der Biologe Ranga Myneni vom Department of Earth and Environment an der Boston Universität und seine Kollegen entdeckten das Phänomen der Begrünung erstmals Mitte der 1990er Jahre mit Hilfe von Satellitendaten. Die Wissenschaftler wussten damals aber nicht, ob der Mensch eine der direkten Hauptursachen dafür ist. Diese Erkenntnis brachte erst ein fast 20 Jahre langer Datensatz hochauflösender Bilder von NASA-Satelliten. Die hochauflösenden Daten helfen den Forschern dabei, Einzelheiten über die Entwicklung der Erdvegetation zu ermitteln.
„Diese Langzeitdaten ermöglichen es uns, tiefer zu graben“, erklärt Mitautor Rama Nemani, Forscher am Ames Research Center der NASA. Als das Ergrünen der Erde zum ersten Mal beobachtet wurde, gingen Wissenschaftler noch davon aus, es liege vor allem an einem wärmeren, feuchteren Klima und erhöhten CO2-Gehalt in der Atmosphäre, der den Stoffwechsel und damit das Wachstum der Pflanzen beschleunigt. Im Rahmen einer älteren Publikation hatte eine andere Forschergruppe in einer Zeitspanne von 1982 bis 2009 einen Anstieg des LAI bei 25 bis 50 Prozent der globalen Vegetationsfläche beobachtet – gegenüber nur knapp 5 Prozent, wo ein Rückgang der Pflanzenfläche sichtbar war. Die Studie unter Federführung der Pekinger Akademie der Wissenschaften, an der ebenfalls Ranga Myneni beteiligt war, führte dies in erster Linie auf Düngeeffekte durch mehr Kohlendioxid zurück.
Jetzt wurde deutlich, dass neben dem Klimawandel die menschliche Land- und Forstwirtschaft wahrscheinlich noch bedeutender ist. Denn ansonsten hätte die Begrünung gleichmäßiger auf dem Globus verteilt sein müssen. „Da wir nun aber wissen, dass der direkte menschliche Einfluss ein Hauptfaktor für die Ergrünung der Erde ist, müssen wir dies in unseren Klimamodellen berücksichtigen“, so Mitautor Nemani. „Dies wird Wissenschaftlern helfen, bessere Vorhersagen über das Verhalten verschiedener Erdsysteme zu treffen […]“
Modell-Berechnungen aus einer im selben Jahr veröffentlichten Studie, bei der auch Ranga Myneni als leitender Autor fungierte, schätzen den CO2-Düngeeffekt immer noch als bedeutendsten globalen Treiber ein. Andere Einflussfaktoren seien eher regionaler Natur. Bäume und Pflanzen brauchen Kohlendioxid für die Photosynthese und binden es durch ihren Stoffwechsel. Mehr CO2 in der Luft bedeutet mehr Pflanzenwachstum und somit mehr Bindung von Kohlendioxid. Teilweise reguliert sich die Natur hier ganz von selbst, wobei der Düngeeffekt mit steigender CO2-Konzentration nachlässt und bei sehr hohen Wert sogar umkehren kann.
Regenwälder kühlen die Erde
Unterdessen kommt ein aktuelles Forschungspapier auf Basis von NASA-Daten zu dem Ergebnis, dass die größere Bedeckung der Erde mit Grünflachen einen kühlenden Effekt hatte, weil Wärme und Wasserdampf effizienter an die Atmosphäre abgegeben werden. Die Begrünung habe somit signifikant dazu beigetragen, die globale Temperaturerhöhung in den vergangenen Jahrzehnten zu begrenzen. Die kühlende Wirkung entfaltet sich vorwiegend in tropischen Regenwäldern. NASA-Forscher Nemani, der auch an dieser Arbeit mitwirkte, betonte, dass die tropischen Wälder allmählich „die Grenzen ihrer Fähigkeit, Kohlenstoff zu absorbieren und die Oberfläche zu kühlen“ erreichen würden.
„Im Kampf gegen den Klimawandel sind die Pflanzen die einsamen Verteidiger. Der Stopp der Abholzung und die ökologisch sinnvolle Anpflanzung von Bäumen in großem Maßstab könnten ein einfacher, aber nicht ausreichender Schutz gegen den Klimawandel sein“, meint der leitende Autor Chi Chen. Die Rodung von Regenwald-Flächen für landwirtschaftliche Zwecke ist aus dieser Perspektive also äußerst bedenklich.
Damit zurück zur eingangs vorgestellten NASA-Studie unter Federführung der Boston Universität. Die Forscher weisen darauf hin, dass der weltweite Zuwachs an Grünfläche, der vor allem in Indien und China zu beobachten ist, die Schäden durch den Verlust der natürlichen Vegetation in tropischen Regionen wie Brasilien und Indonesien nicht ausgleicht. Und die negativen Folgen für die Nachhaltigkeit und die Artenvielfalt in diesen Ökosystemen blieben sowieso bestehen.
Die Wissenschaftler sehen indes auch positive Erkenntnisse. „Sobald die Menschen erkennen, dass es ein Problem gibt, neigen sie dazu, es zu lösen“, betont Nemani. „In den 70er und 80er Jahren war die Situation in Indien und China in Bezug auf den Verlust der Vegetation nicht gut; in den 90er Jahren haben die Menschen das erkannt, und heute hat sich die Situation verbessert. Der Mensch ist unglaublich widerstandsfähig.“
Kein Waldsterben – zumindest aus globaler Sicht
Aus globaler Sicht muss man dies ohnehin differenziert betrachten. Während in Afrika, Südamerika und Teilen Asiens im großen Stil Regenwald gerodet wird, findet in Europa, China und zum Beispiel auch Äthiopien eine Aufforstung statt. Eine 2022 veröffentlichte Studie zeigt auf, dass die europäische Waldmasse in den letzten 30 Jahren um 9 Prozent zugenommen hat. Ein Forschungspapier mit dem Titel „Where are Europe´s last primary forests?“ stellt unter anderem fest, dass es auf dem Kontinent sehr viel mehr ursprüngliche (nicht gleichzusetzen mit unberührte) Waldflächen gibt, als man vorher erwartet hatte. In Deutschland wurde vor 40 Jahren viel Panik um das „Waldsterben“ gemacht – im Nachhinein zu Unrecht.