Während die Impfsaison in Deutschland mit angepassten Wirkstoffen gegen die weit verbreiteten Omikron Varianten XBB.1.5 und EG.5 anläuft, diskutiert die Fachwelt bereits über neue Varianten des Covid-19-Erregers. Denn das Virus bleibt in ständiger Veränderung. Derzeit ist es die Variante BA.2.86, auch Pirola genannt, die für Unruhe sorgt. Pirola steht unter besonderer Beobachtung von WHO und Wissenschaftlern aus aller Welt. Es weist besonders viele Mutationen des Spike-Proteins (mehr als 30) auf und könnte deshalb leichter eine durch vorherige Ansteckungen oder Impfungen erworbene Immunität umgehen als vorherige Varianten.
Deshalb rechnen die Gesundheitsbehörden nun mit einer größeren Zahl an Infektionen. Seit dem Sommer beobachten sie steigende Zahlen in mehreren europäischen Ländern. Ob Pirola allerdings auch zu schweren Verläufen führt, ist noch nicht klar. Erste Erkenntnisse scheinen nicht darauf hinzuweisen, bestehende Antikörper scheinen auch gegen Pirola zu helfen, doch noch ist zu wenig bekannt. Um mögliche Erkrankungen abzumildern und auch Long Covid vorzubeugen, empfehlen die Gesundheitsbehörden besonders Risikopatienten, Älteren und Schwachen eine Impfung mit den nun ausgelieferten Impfstoffen, die gut gegen die derzeitig noch häufigsten anderen Varianten schützen sollen.
Zeitgleiches Auftreten in elf Ländern
Pirola ist fast zeitgleich in elf Ländern aufgetreten, im Juli in Dänemark, dann auch in den USA, Israel, Südafrika und Großbritannien. In Frankreich und Deutschland wurde die Variante erstmals Ende August nachgewiesen. Die genaue Zahl der durch BA.2.86 verursachten Infektionen ist wegen der dünnen Faktenlage unklar. Nicht überall wird systematisch sequenziert, längst wird nicht mehr so viel getestet wie zu Pandemiezeiten, nicht jede Erkrankung wird gemeldet.
Noch haben sie kein besorgniserregendes Ausmaß erreicht, dennoch steigen die Infektionszahlen seit August deutlich und halten sich damit nicht an die Grippesaison. Bisher galt, genau wie für die jährliche Grippeimpfung, Ende September als bester Impfzeitpunkt, an dem sich die Corona- Impfkampagnen in der nördlichen Hemisphäre orientierten. Einige Länder haben ihre Impfstarts nun jedoch vorgezogen und zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen eingeführt. Denn selbst bei schwächeren Verläufen für die Mehrzahl der Covid-Fälle, kann eine höhere Zahl an Infektionen die im Winter ohnehin stark belasteten Gesundheitssysteme überfordern.
London zieht Impfstart um einen Monat vor
Großbritannien hat wegen der Ausbreitung von Pirola seine Impfkampagne um einen Monat vorgezogen und damit von der bevorstehenden Grippeimpfung entkoppelt. Seit dem 11. September werden Pflegebedürftige und Bewohner von Pflegeheimen geimpft. Über 65-jährige und Risikopatienten aller Altersstufen werden seit diesem Montag sukzessive zur Impfung eingeladen. Nachdem sie die Einladung erhalten haben, können sie Termine buchen. Auch Pflegekräfte und andere Beschäftigte in entsprechenden Bereichen werden eingeladen.
Die Sorge um eine größere Ansteckungsgefahr wurde durch erste Erfahrungen begründet. So wurden etwa laut einer Mitteilung der britischen Behörde für Gesundheitssicherheit (UKHSA) bei einem Corona-Ausbruch in einem Pflegeheim in Norfolk 33 von 38 Senioren und zwölf Pflegekräfte positiv getestet, berichtete der „Guardian“. Laboranalysen wiesen dann bei 22 der Bewohner und sechs der Angestellten die Pirola-Variante nach. Eine leichtere Übertragung sei also wahrscheinlich, so die Mitteilung, es sei aber noch zu früh, um das volle Ausmaß der Verbreitung zu beurteilen.
Frankreich passt sich Nachbarländern an
In Frankreich wurde Pirola Ende August erstmals nachgewiesen. Aus Sorge über eine Immunflucht der neuen Variante und weil auch in Frankreich die Zahl der Infektionen ansteigt , zieht nun Frankreich ebenfalls seinen Impfstart um zwei Wochen vor. Erste Dosen sollen ab dem 2. Oktober an über 65-Jährige, Schwache und Risikopatienten sowie deren Kontaktpersonen verabreicht werden. Eigentlich sollte mit der Impfung erst ab dem 17. Oktober begonnen werden, mit einer Doppelimmunisierung gegen Covid 19 und Grippe.
Der frühere Start sei auch eine Maßnahme, um sich den Nachbarländern Deutschland und Großbritannien anzupassen, die ebenfalls früher mit dem Impfen beginnen, sagte am vergangenen Freitag Gesundheitsminister Aurélien Rousseau der AFP. „Die Covid-Epidemie ist da. Seit der Vorwoche hat sich die Inzidenz um 30 Prozent erhöht“, sagte der Minister, räumte aber ein, dass man diese Zahlen mit Vorsicht genießen müsse, weil die Systeme der Virusüberwachung seit Anfang Juli erheblich reduziert worden seien.
Schweiz: Gratisimpfung nur für Risikogruppen
In der Schweiz wird eine Impfung nur besonders gefährdeten Personen zum Schutz vor schwerer Erkrankung empfohlen. Die Eidgenossen sehen keinen Grund zur Eile und bleiben bei dem empfohlenen Zeitraum Mitte Oktober bis Dezember: „Bei Personen bis 65 Jahre ohne Risikofaktoren besteht ein sehr geringes Risiko für eine schwere Erkrankung“ heißt es auf der Webseite des Schweizerischen Bundesamts für Gesundheit (BAG).
„Im Vergleich dazu haben besonders gefährdete Personen ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf. Ihnen wird darum eine Impfung im Herbst empfohlen. Sie bietet ihnen einen erhöhten Schutz vor schwerer Erkrankung“, warnt die Behörde die Risikogruppe. Wer nicht zu den Risikogruppen gehört und keine ärztliche Empfehlung hat, muss eine freiwillige Impfung in der Schweiz selbst bezahlen.
USA: Vereinzelt Maskenpflicht und Impfung für alle
In den USA wurde die neue Variante im August im Abwasser nachgewiesen. Wegen Pirola empfiehlt die Gesundheitsbehörde CDS Risikopatienten nun wieder das Maskentragen. Auch zwei New Yorker Kliniken und weitere Einrichtungen haben laut New York Times wieder eine Maskenpflicht eingeführt. Seit Juli steigen die Zahlen der Klinikeinweisungen und Todesfälle im Zusammenhang mit Covid 19 kontinuierlich. Ende August war die Zahl der Klinikeinweisungen in nur einer Woche um 16 Prozent gestiegen. Das ist zwar weniger als im Vergleichszeitraum 2022, veranlasst die Gesundheitsbehörden aber zum Handeln.
Die Amerikaner haben inzwischen die angepassten Impfstoffe von BioNTech und Moderna zugelassen. Anders als die Europäer, die sich bei ihren Empfehlungen vor allem auf Ältere, Risikopatienten und Personal in sensiblen Bereichen beschränken, hat die US Präventionsbehörde CDC am 12. September allen Amerikanern ab dem Alter von sechs Monaten mindestens eine Impfung mit den neuen Wirkstoffen empfohlen. Teilnehmer, die auf mögliche Nebenwirkungen bei Kindern und männlichen Jugendlichen hinwiesen, wurden überstimmt. Mit einer einfachen Impfung im Herbst und ohne weitere Booster nehmen die Behörden den Schutz gegen Covid-19 in ihren jährlichen Impfkanon auf und „normalisieren“ ihn damit.
US-Forscher wenig besorgt wegen Pirola
Die Empfehlungen gelten bisher nur für mRNA-Impfstoffe von BioNTech und Moderna, soll aber in den kommenden Monaten auf Novavax und andere Alternativen zu mRNA-Impfstoffen erweitert werden, sobald diese zugelassen sind. Auf die Variante XBB.1.5, auf die die neuen Impfstoffe zielen, mache zwar nun nur noch drei Prozent der Fälle aus, mehr als 90 Prozent der aktuellen Varianten seien jedoch mit ihr verwandt, hieß es, um die Wirksamkeit der Impfung zu unterstreichen.
Wegen Pirola ist man aufgrund jüngster Studien in den USA inzwischen weniger besorgt. Laut Dr. Dan Barouch, Chef des Center for Virology and Vaccine Research at Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, der eine dieser Studien leitete, haben sie ergeben, dass BA. 2.86 eine durch Infektion oder Impfung erworbenen Immunität nicht umgeht, so die Times.
Deutschland: Impfung für Minister Lauterbach
Diese Einschätzung wird auch in Deutschland geteilt. Im Robert-Koch-Institut (RKI) gibt man sich zuversichtlich, dass die angepassten Impfstoffe gegen die kursierenden Varianten helfen. Der amtierende RKI-Präsident, Lars Schaade, sagte, derzeit zirkulierten in Deutschland fast nur Viren der XBB-Sublinien. Es gebe bisher international keine Hinweise, dass diese Varianten mit schwereren Erkrankungsmustern verknüpft wären.
Am Montag wurden die ersten Impfdosen von BioNTech ausgeliefert, die nun in Apotheken und Arztpraxen verabreicht werden sollen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (60) legte die Impfung allen Bürgern über 60 Jahre und Risikopatienten ans Herz, um das Risiko bleibender Schäden wie bei Long Covid zu senken. Lauterbach ließ sich bei dieser Gelegenheit gleich selbst impfen.
Auch Lauterbach rechnet in diesem Herbst wieder mit sehr vielen Infektionsfällen. Es gebe aber eine breite Immunität in der Bevölkerung. „Wir brauchen auch keine Maßnahmen im Sinne von Kontaktbeschränkungen nach allem, was wir derzeit wissen.“ Trotzdem sollte jeder sich auch selbst schützen, wenn er Risikofaktoren trage. „Dazu kann auch die Maskennutzung gehören in Räumen mit vielen Personen, wenn er ein Risiko hat.“