Politik

Zweifler überzeugt? Ein Jahr Giorgia Meloni

Lesezeit: 3 min
23.09.2023 18:45  Aktualisiert: 23.09.2023 18:45
Ein Jahr ist es her, dass Giorgia Meloni in Italien die Wahl gewann. Im Ausland waren die Sorgen groß, dass das EU-Gründungsmitglied weit nach rechts rücken könnte. Heute sind die internationalen Partner recht zufrieden. Aber Meloni will mehr.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Italien  
Europa  

Giorgia Meloni im Bundeskanzleramt, im Weißen Haus, vor den Vereinten Nationen: Italiens Ministerpräsidentin ist in der internationalen Politik binnen weniger Monate zu einer festen Größe geworden. Welch Unterschied zum September vor einem Jahr: Als sie mit ihrer Ultrarechts-Partei Fratelli d'Italia die Wahl gewann, stellte sich halb Europa die Frage, wie nun mit ihr umzugehen sei. Das hat sich erledigt. Meloni macht international bella figura: Beim Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa gab es sogar Wangenküsschen.

Zuhause in Rom, in der Koalition mit zwei weiteren Rechtsparteien, ist die 46-Jährige unbestritten die Nummer eins. Nach zwölf Monaten stimmen auch die Umfragewerte noch – keineswegs eine Selbstverständlichkeit, schon gar nicht in Italien. Die Fratelli d'Italia (Brüder Italiens, benannt nach der ersten Zeile der Nationalhymne, mit Wurzeln in der postfaschistischen Bewegung) liegen aktuell um die 28 Prozent, zwei Punkte über dem Wahlergebnis. Melonis persönliche Sympathiewerte sind noch höher.

Meloni klagt über „24 Stunden Achterbahn“

Italiens erste Frau an der Regierungsspitze ist gekommen, um zu bleiben. In der Zeitschrift „Chi“ klagte die Mutter einer siebenjährigen Tochter zwar darüber, dass ihre Tage jetzt aus „24 Stunden Achterbahn“ bestünden. „Manchmal wünschst Du Dir auszusteigen, einen Moment innezuhalten und ins normale Leben zurückzukehren. Aber das kommt Dir nur für ein paar Augenblicke in den Sinn und ist dann gleich wieder weg.“

Die jetzige Legislaturperiode dauert noch vier Jahre. So lange halten es italienische Regierungschefs eigentlich nie aus. Meloni traut man das zu. Den staatlichen Fernsehsender RAI hat sie weitgehend auf Linie gebracht. Manche spötteln schon über „Tele-Meloni“. Vom Privatfernsehen ist wenig zu befürchten. Viele Sender gehören der Familie von Silvio Berlusconi, der bis zu seinem Tod vor dreieinhalb Monaten als Chef der Forza Italia mitregierte.

Galionsfigur von Europas „neuer Rechter“?

Auch der andere Koalitionspartner, die Lega von Verkehrsminister Matteo Salvini, bereitet bislang keine wesentlichen Probleme. Die Opposition – jetzt ebenfalls mit einer Frau, der Sozialdemokratin Elly Schlein – ist noch sehr mit sich selbst beschäftigt. Die meisten richten sich deshalb darauf ein, dass Meloni tatsächlich länger bleibt. Manche mutmaßen gar, dass sie europaweit zur Galionsfigur einer „neuen Rechten“ werden könnte. Solche Prognosen, auch das zeigt die Erfahrung, können sich als trügerisch erweisen.

Einige sind durchaus der Meinung, dass Italien ein heißer Herbst bevorstehen könnte. Nicht wegen der Außenpolitik. Hier verfolgt Meloni einen sehr pragmatischen Kurs. Die schrillen Töne aus dem Wahlkampf, als sie die EU für so gut wie alles Schlechte verantwortlich machte, sind verschwunden. Das hängt auch mit dem schlechten Zustand der Staatsfinanzen zusammen: Die knapp 200 Milliarden Euro, die das EU-Gründungsmitglied zur Bewältigung der Corona-Folgen versprochen bekam, braucht Meloni unbedingt.

Im Ukraine-Krieg steht sie verlässlich an der Seite der westlichen Partner gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Gegenüber Peking hat sich der Kurs geändert, auch das im Einklang mit den Partnern: Derzeit ist Meloni bemüht, aus dem chinesischen Projekt einer „Neuen Seidenstraße“ auszusteigen, wo Italien bislang als einzige große westliche Industrienation dabei ist.

Mit Wahlversprechen im Verzug

Dass die Stimmung kippen könnte, hängt mit anderen Fragen zusammen – insbesondere mit dem Thema Migration. Im Wahlkampf hatte Meloni versprochen, die „Invasion aus Afrika“ zu beenden. Passiert ist das Gegenteil: Seit Anfang Januar kamen mehr als 130.000 Migranten übers Mittelmeer nach Italien – doppelt so viele wie um diese Zeit vor einem Jahr. Auf der Insel Lampedusa waren es an einem einzigen Septembertag mehr als 5000.

Deshalb hat Meloni den Ton wieder verschärft. Die mögliche Abschiebehaft gegen Migranten wurde aufs EU-weit zulässige Maximum von 18 Monaten verlängert. Zudem will sie abseits der großen Städte neue Abschiebezentren bauen lassen. Insbesondere drängt sie auf Hilfe der EU. Bei ihrem ersten Auftritt vor den Vereinten Nationen forderte sie, Menschenhändlern den „globalen Krieg“ zu erklären.

Aber auch mit anderen Wahlversprechen ist Meloni im Verzug. Italiens Wirtschaft ist im zweiten Quartal geschrumpft. Hinzu kommt die hohe Inflation. Immer noch gibt es keinen Mindestlohn. Kritik handelte sie sich zudem ein, weil fast 170.000 Empfänger von „Bürgergeld“ per Handy-Nachricht darüber informiert wurden, dass die Sozialhilfe gestrichen werde. Die Gewerkschaften nennen das eine „soziale Bombe“. Auch das sehr traditionelle Familienbild der Fratelli d'Italia gefällt vielen nicht. Meloni lebt übrigens ohne Trauschein mit dem TV-Journalisten Andrea Giambruno zusammen. (Christoph Sator, dpa)


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen US-Aktien sind heiß gelaufen: Warum immer mehr Analysten den europäischen Aktienmarkt in den Blick nehmen
22.11.2024

Vermögensverwalter Flossbach von Storch sieht zunehmend Risiken für US-Aktien. Nach der jüngsten Rekordjagd an den US-Börsen verlieren...

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...