Weltwirtschaft

WTO warnt vor Politisierung des Welthandels

Lesezeit: 3 min
07.10.2023 15:55  Aktualisiert: 07.10.2023 15:55
Die Welthandelsorganisation beklagt eine zunehmende Fragmentierung des Welthandels entlang geopolitischer Bruchlinien.
WTO warnt vor Politisierung des Welthandels
Ist die Globalisierung auf dem Rückzug? Die WTO warnt vor einer Fragmentierung des Welthandels entlang geopolitischer Bruchlinien. (Grafik: istockphoto.com/VVadyab)
Foto: VVadyab

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Welthandelsorganisation (WTO) registriert eine zunehmende Fragmentierung der globalen Lieferketten entlang geopolitisch motivierter Gräben.

WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala warnt deshalb vor den negativen Folgen, die eine Abkehr vom freien Welthandel für alle Beteiligten habe. Zunächst würden die Konsequenzen, die politisch motivierte Umschichtungen in den Lieferketten und bei Produktionsstandorten vielleicht nicht so offensichtlich sein. „Aber mit der Zeit wird man es mit dem Verlust des Wettbewerbs, mit höheren Preisen und Kosten spüren“, sagte die Chefin der Welthandelsorganisation (WTO) Mitte September der Deutschen Presse-Agentur.

Globalisierung auf dem Rückzug?

Nach Jahrzehnten, die von einem wachsenden Welthandel und einer zunehmenden Vernetzung geprägt waren, zeichnet sich aktuell eine Gegenbewegung ab. Zentrale Faktoren dafür sind die geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China sowie die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Die Trump-Administration hatte im Jahr 2018 einen Handelskrieg gegen China eröffnet, welchen die Biden-Administration nicht nur fortsetzte, sondern massiv ausweitete und um eine militärische, gegen China gerichtete, Strategie der Einkreisung erweiterte.

Seitdem und als Folge des Ukraine-Kriegs überlagern zunehmend (geo)politische Überlegungen das wirtschaftliche Handeln. So drängt die US-Regierung ihre Verbündeten beispielsweise dazu, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China herunterzufahren und erlässt weitreichende Sanktionen gegen chinesische Technologiekonzerne wie Huawei.

Weitere Beispiele für das Umdenken mit Blick auf die globalen Lieferketten sind die Versuche Washingtons, mehr Chipfertigung wieder in die USA und nach Westeuropa zu bringen, um das Ausfallrisiko angesichts der Spannungen mit China um Taiwan zu verringern. Von dort kommen ein Großteil der Halbleiter sowie nahezu alle der modernsten Chips.

Diese Maßnahmen schaden aber auch der amerikanischen Wirtschaft selbst, wie ein ehemaliger US-Finanzminister vor Kurzem öffentlich beklagte.

In solchen Situationen sei es „unausweichlich“, dass ein Teil der Lieferketten verlagert werde, sagte Okonjo-Iweala. Es sei nicht richtig, wenn ein Produkt zu 90 Prozent an einem Ort produziert werde und alle davon abhingen. „Wir sollten die Konzentration an einigen Stellen verringern, aber wir wollen nicht eine Veränderung des Investitionsverhaltens sehen, die zeigt, dass der Handel nicht mehr so eng verzahnt ist.“

„Wenn sich die Investitionen erstmal einmal verschoben und Lieferketten zerschlagen haben, ist das nicht so einfach zu reparieren“, warnte Okonjo-Iweala. Sie hoffe, dass die aktuellen geopolitischen Spannungen nicht zu Rückgängen im Handel zwischen großen Ländern oder Staatenblöcken führen.

Denn das, so die WTO-Generaldirektorin, würde auch die Weltwirtschaft weniger resistent gegen Krisen machen. Äthiopien etwa sei auf Weizen aus der Ukraine angewiesen gewesen, habe aber schnell Ersatz aus den USA und Argentinien bekommen, als im vergangenen Jahr die Lieferungen wegen Russlands Militäroperation wegbrachen. „Wir waren positiv überrascht, wie widerstandsfähig der Handel sich erwies.“

Die aktuelle Umwälzung der Lieferketten sei auch „eine Chance, Länder zu integrieren, die bisher außen vor gelassen wurde“, sagte Okonjo-Iweala. Wenn aktuell Fertigungskapazitäten aus China verlagert würden, gingen sie meist nach Indien, Vietnam oder Indonesien. Warum aber nicht auch nach Bangladesch, Kambodscha oder Laos - oder in den Senegal, Ruanda oder Südafrika, so die WTO-Generaldirektorin: „Es wäre eine andere Art von Globalisierung als wir sie bisher gesehen haben.“

Folker Hellmeyer kommentiert die Warnungen der WTO in seinem Report wie folgt:

Die geopolitischen Verwerfungen im neuen Jahrtausend wirken in Richtung „Friendshoring“ und „Reshoring“. Diese Tendenzen gehen vom Westen aus. Gleichzeitig homogenisiert sich der „Globale Süden“ wirtschaftlich und politisch (u.a. BRICS+, RCEP, das größte Freihandelsabkommen der Welt).

Ob vor diesem Hintergrund das „Friendshoring“ und „Reshoring“ dauerhaft und nachhaltig die richtigen Ansätze für unsere Interessen und unser Wohlergehen sind, ist fragwürdig, denn der globale Süden steht auf Basis Kaufkraftparität für mehr als 66% des Welt-BIP, für 88% der Weltbevölkerung und die Rohstoffreserven, die der Westen braucht (BRICS+ 80% der Weltölproduktion).

Technologisch sind die Aufholprozesse des Globalen Südens beachtenswert. Zudem wachsen diese Länder mindestens doppelt so schnell wie der Westen. Läuft der Westen durch „Bipolarität“ in eine Isolationsfalle?


Mehr zum Thema:  

 

DWN
Unternehmen
Unternehmen Fachkräftemangel: Weg frei für Fachkräfte aus Kenia – eine „Win-win-Situation“?
17.09.2024

Mit der Begründung, dass Deutschland Fachkräfte am Arbeitsmarkt fehlen, hat die Bundesregierung ein Anwerbungsabkommen mit Kenia...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Intel verschiebt Baustart von Chipfabrik in Magdeburg
17.09.2024

Der US-Konzern Intel pausiert seine Pläne für die Chipfabrik in Magdeburg wegen Verluste und Sparprogramme. In der Regierung ging sofort...

DWN
Politik
Politik Landtagswahlen in Brandenburg: Alles, was man wissen sollte
17.09.2024

Das politische Deutschland blickt gespannt auf die anstehende Landtagswahl in Brandenburg. Wofür stehen die Spitzenkandidaten von SPD,...

DWN
Politik
Politik Schöne neue Arbeitswelt? Oder wie wir uns in Zukunft alle nur noch langweilen wollen
17.09.2024

Der Begriff der Arbeit hat sich über die Jahrhunderte extrem gewandelt. Von der physischen Plackerei ging es für die Menschen in ihrer...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Ende einer Ära: Volkswagen verabschiedet sich vom Bulli - Ford baut den Transporter
16.09.2024

Aus und vorbei! Für die einen soll es wohl das Zeichen sein, dass Volkswagen mit allen Mitteln aus der Krise kommen will und sich deshalb...

DWN
Finanzen
Finanzen Erneuter Goldpreis-Rekord: 2.600 Dollar nur noch eine Frage der Zeit
16.09.2024

In unsicheren Zeiten wie aktuell ist Gold als „Safe-Haven“-Anlage sehr beliebt. Hinzu kommen sinkende Zinsen, die Investitionen in das...

DWN
Technologie
Technologie Unser neues Magazin ist da: Die disruptive Kraft der Arbeit 4.0
16.09.2024

Arbeit prägt unser Leben und unsere Gesellschaft – doch sie steht vor einem gewaltigen Wandel. In unserem neuen DWN-Magazin beleuchten...

DWN
Ratgeber
Ratgeber Auswandern nach Ungarn: Wie der Plattensee unter Viktor Orbán immer mehr zum Paradies für deutsche Auswanderer wird
16.09.2024

Ungarn lockt digitale Nomaden, Rentner, Studenten und sogar junge Familien aus Deutschland an. Niedrige Steuern, günstige Preise und eine...