Die EU will die Ukraine langfristig unterstützen und als potenzielles EU-Mitgliedsland aufbauen. Um die Hilfe für den kommenden vier Jahre abzusichern, hat das EU-Parlament am Dienstag einem 50 Milliarden Euro schweren Hilfspaket zugestimmt. Die sogenannte Ukraine-Fazilität soll von 2024 bis 2027 den Wiederaufbau, die Modernisierung und Reformen in dem vom Krieg geschüttelten Land unterstützen. Geht es nach dem Willen der Parlamentarier soll der Wiederaufbau der Ukraine vor allem durch einen Zugriff auf eingefrorene russische Vermögenswerte finanziert werden. Das betrifft Gelder der Russischen Föderation sowie von Organisationen und Einzelpersonen, die direkt mit dem russischen Angriffskrieg in Verbindung stehen.
Ein Beschluss über weitere Hilfen für die Ukraine ist auch deswegen nötig, weil deren bisherige Finanzierung Ende 2023 ausläuft. So drängt die Zeit, um die Verhandlungen über die Fazilität möglichst zügig abzuschließen. Dass die EU der Ukraine bei der Verteidigung gegen den russischen Angriff weiter beistehen will, steht außer Frage. Sie hat sich darauf festgelegt, die Ukraine so lange wie nötig zu unterstützen. Denn dort werden auch die europäische Sicherheit und die Demokratie verteidigt, wie nicht nur Michael Gahler (EVP/Deutschland), zuständiger Ko-Berichterstatter vom Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, in der Debatte zum Thema betonte.
Korruption durch Kontrollen eindämmen
Die Ausschüsse für Haushalt und auswärtige Angelegenheiten haben dafür federführend einen entsprechenden Entwurf der EU-Kommission überarbeitet. Wegen immer wieder laut werdender Kritik an stark verbreiteter Korruption in der Ukraine, die jüngst auch noch der ehemalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in einer Warnung vor einem zu schnellen EU-Betritt anheizte, haben die Abgeordneten besonders die Transparenz und demokratische Rechenschaftspflicht gestärkt. Damit sollen Betrug, Korruption, Interessenkonflikte und andere Unregelmäßigkeiten beim Gebrauch von EU-Geldern möglichst ausgeschlossen werden. Zudem sollen Unternehmen, die unter dem Einfluss von Oligarchen stehen, von einer Förderung ausgeschlossen werden.
Juncker hatte vergangene Woche in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen gesagt, dass die Ukraine ein Land sei, „dass auf allen gesellschaftlichen Ebenen korrupt ist“ und massive interne Reformprozesse brauche, um beitrittsfähig zu werden. Um eine EU-Perspektive zu erhalten, brachte der ehemalige Kommissionschef stattdessen eine Art „teilweisen Beitritt“ ins Spiel.
Die Hilfen für die Ukraine sollen aus drei Säulen bestehen. Es soll Darlehen und Zuschüsse für den Staat geben, einen Investment-Rahmen, um öffentliche und private Investitionen zu erleichtern, sowie technische und administrative Unterstützung für Regional- und Kommunalverwaltungen und die Zivilgesellschaft, damit sie EU-kompatible Standards entwickeln können.
Um die Ukraine-Fazilität transparenter zu machen, regten die Parlamentarier die Einrichtung eines Webportals an, auf dem die der Ukraine gewährten Finanzoperationen und ihre Ziele festgehalten werden. Auch über die „Meilensteine“, die das Land für den Erhalt der Hilfe erreicht hat, soll dort informiert werden. Beiträge von Drittstaaten und internationalen Organisationen sollen ebenfalls veröffentlicht werden. „Wir erhöhen die Rechenschaftspflicht der Fazilität und stellen sicher, dass sie nicht nur Widerstandsfähigkeit und Wohlstand fördert, sondern dies auch mit höchster Transparenz tut. Während die Ukraine sich auf diese wichtige Reise begibt, werden wir genauestens auf die Integrität jedes einzelnen Schrittes des Landes in Richtung europäischer Integration achten“, so Michael Gahler.
Der Beitrag der EU allein wird nicht ausreichen
Dass es mit der vierjährigen EU-Förderung allein nicht gehen wird, ist allen Beteiligten klar. Eine gemeinsame Untersuchung der ukrainischen Regierung, der Weltbank, der EU-Kommission und der Vereinten Nationen vom März 2023 hatte ergeben, dass der Wiederaufbau und die Erholung der Ukraine geschätzt 383 Milliarden Euro kosten würde. Diese Summe bezog sich allerdings nur auf das erste Kriegsjahr von Februar 2022 bis März 2023. Die fortdauernde Zerstörung ukrainischer Infrastruktur, die Sprengung des Kachowka-Staudammes sowie die großflächige Verminung im Osten und Süden des Landes trieben und treiben die Kosten immer höher. Trotz des unberechenbaren Angriffskrieges bauen die Ukrainer zerstörte Brücken, Straßen, Krankenhäuser, Verwaltungs- und Wohngebäude wieder auf. Es geht auch darum, die Ukraine funktionsfähig zu halten.
Die EU wird der Ukraine keinen Entwicklungsplan überstülpen. Den Plan mit allen Einzelheiten zu den Reformen und Investitionen, die die EU unterstützen soll, soll die Ukraine in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament (über delegierte Rechtsakte) und mit effektiver Konsultation des ukrainischen Parlaments – der Werchowna Rada – ausarbeiten. Er muss von der EU dann gebilligt werden.
„Die EU unterstützt die Widerstandsfähigkeit des Landes gegen Aggressionen und hilft bei Reformen im Zusammenhang mit einem möglichen EU-Beitritt“, erklärte Eider Gardiazabal Rubial (S&D/Spanien), Ko-Berichterstatterin des Haushaltsausschusses. „Wir drängen die Mitgliedstaaten, die Verwendung von eingefrorenen russischen Vermögenswerten zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine zu erlauben und unterstreichen die Bedeutung der Beteiligung der Werchowna Rada und der ukrainischen Zivilgesellschaft an der Vorbereitung der EU-Finanzhilfen.“
Langfristiger EU-Haushalt muss angepasst werden
Die Ukraine Fazilität ist, wie andere, neu einzuführende Instrumente zur Stärkung der Souveränität Europas, ein Bestandteil des langfristigen EU-Haushalts. Dieser muss derzeit wegen der seit seiner Aufstellung veränderten weltpolitischen und wirtschaftlichen Realitäten überarbeitet werden. Er ist zudem wegen der zahlreichen Krisen seit 2021 bereits weitgehend aufgebraucht. Die Abgeordneten bestehen darauf, dass die Fazilität zusammen mit der gesamten Haushaltsrevision so bald wie möglich vereinbart werden sollte. Das Paket soll auch in den Jahreshaushalt für das nächste Jahr integriert werden, der im November 2023 ausgehandelt werden soll.
Sobald sich der Rat auf eine gemeinsame Position geeinigt hat, können die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten beginnen.