Wer kann von sich behaupten, er oder sie wäre noch nie an der eigenen Ohnmacht verzweifelt und hätte andere für das eigene Scheitern verantwortlich gemacht und in unkontrollierter Wut die Welt sprengen wollen? Kaum jemand ist vor derartigen Erscheinungen gefeit, sie sind dem Menschen immanent, gleichsam archetypisch. Gelingt allerdings ein überwiegend souveränes Leben und die eher unbeschwerte Bewältigung der Herausforderungen des Alltags, dann halten sich die Zornausbrüche in Grenzen. Fehlt aber diese Sicherheit, bildet sich ein Nährboden für Terrorismus.
Dieses simple psychologische Grundmuster charakterisiert viele junge Muslime. Etwa 1,5 Milliarden Muslime leben in dem riesigen Gebiet, das den Norden Afrikas umfasst und sich über den Nahen Osten bis in den Iran erstrecket und den Kaukasus im Süden Russlands einschließt. In der gesamten Region herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit, die vor allem die Jugend frustriert, weil sie keine Perspektiven erkennt. Ein zentrales Problem bildet das Schulwesen, in dem das Studium des Koran dominiert und keine umfassende Bildung geboten wird, die attraktive, berufliche Karrieren ermöglichen würde. Die Problematik ist nicht auf die Schulen beschränkt, generell lehnt die muslimische Gesellschaft die moderne Wissenschaft ab. Diese Haltung ist nicht nachvollziehbar, da die gesamte Region im Altertum wissenschaftliche Spitzenleistungen hervorgebracht hat, die bis heute bewundert werden.
Das Narrativ von der Benachteiligung
Frustriete, perspektivlose Jugendliche sind leicht die Beute von politischen Verführern, die zu Terroranschlägen gegen vermeintliche Feinde und Schuldige am eigenen Elend aufrufen. Dieses Kernproblem des muslimischen Terrorismus ist eine Folge der von den meisten Führern der islamischen Welt betriebenen Politik. Stereotyp wird über Jahrzehnte die Behauptung wiederholt, dass die USA – und mit den USA – Israel die Probleme der islamischen Länder verursachen würden. Da ist es nicht verwunderlich, dass viele Junge willig folgen, wenn zu einer groß angelegten Terroraktion aufgerufen wird.
Für Verwunderung sorgt der Umstand, dass auch Muslime, die den Terror ablehnen, für die Hassparolen empfänglich sind und diese im familiären Alltag wiederholen und so an die Jungen weitergeben. Zu wenig beachtet wird, dass die muslimischen Familien zumeist ihre Gewohnheiten und Überzeugungen auch im Ausland beibehalten und den Bedingungen in den Gastländern skeptisch und eher ablehnend gegenüberstehen. Viele fühlen sich als benachteiligte Außenseiter.
Es ist für westliche Beobachter schwer verständlich, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Religion extrem stark an Bedeutung gewonnen hat und das Narrativ von der Benachteiligung der islamischen Welt zur gegebenen Tatsache hochstilisiert wurde. Unter diesen Umständen sind die westlichen Vorstellungen von Kommunikation und Verständigung im Verhältnis mit dem Islam schwer umzusetzen.
Diese Problematik zeigt sich in besonderer Weise bei der Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt. Die westliche Politik träumt von zwei Staaten, die friedlich nebeneinander leben sollen. Die palästinensische Führung strebt unverändert seit 1948 die Vernichtung Israels an und schließt somit eine friedliche Lösung aus, obwohl sie selbst 1988 den Staat Palästina ausgerufen hat. Seit 1994 regiert in Westjordanien und im Gaza-Streifen eine autonome Regionalbehörde, die den Aufbau staatlicher Einrichtungen betreiben könnte, dies aber nicht tut. Stattdessen wird mit immer wieder durchgeführten Gewaltaktionen die Zerstörung Israels betrieben, wozu auch der jüngste Massenmord an Zivilisten und Touristen gehört. Mit Unterstützung des Iran, dessen oberster Führer Ali Chamenei mit besonderem Eifer den Westen attackiert, wird Israel in kurzen Abständen mit einem Bomben- und Raketenhagel überzogen.
„Die Erde ist keine flache Scheibe“
Die palästinensische Autonomiebehörde ist auch für das Schulwesen zuständig, das sich nicht entwickelt. Dabei hätten gut ausgebildete Jugendliche größte Chancen vor der eigenen Haustüre. Israel hat eine eigene hochentwickelte Industrie und die internationalen Technologiekonzerne betreiben in Israel Fabriken, die attraktive Arbeitsplätze bieten. Derzeit arbeiten tatsächlich tausende Palästinenser in Israel, aber nicht im IT-Beriech, sondern eher als Hilfsarbeiter am Bau oder in der Gastronomie. In den meisten westlichen Staaten haben sich große muslimische Gemeinden etabliert, in denen auch viele Palästinenser leben.
Vielfach betreiben die Muslime abseits von den öffentlichen Systemen eigene Schulen, in denen die Fächer Sprachen, Mathematik, Physik und Chemie nicht unterrichtet werden, aber die Beschäftigung mit dem Koran dominiert. Somit wird über Jahrzehnte die Möglichkeit nicht genützt, jungen Muslimen das übliche Bildungsniveau von Jugendlichen zu vermitteln. Diese absurde Entwicklung ist der falsch verstandenen Religionsfreiheit geschuldet. Als ob neben dem Besuch einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Schule nicht genügend Zeit für religiöse Aktivitäten bliebe. Diese Problematik belastet auch Israel; wo die verpflichtende Einbeziehung der jungen Palästinenser in das staatliche Bildungswesen den Frust der Jugendlichen verringern würde. Wenn Jugendliche aus den muslimischen Schulen doch in einer regulären Schule ankommen, dann ergeben sich groteske Situationen. Wenn der Physik-Lehrer erklärt, dass die Erde keine flache Scheibe ist, dann wird diese Feststellung als rassistisch und islam-feindlich attackiert.
Terror ist nicht eine Ausdrucksform der Revolution
Der Nährboden für den islamistischen Terror wird durch viele Faktoren geschaffen. Eine zusätzliche Dimension der Verwirrung löst eine weit verbreitete Fehleinschätzung des Terrors aus. Verschiedentlich wird Terror mit Revolution verwechselt und als Reaktion auf Unterdrückung und Benachteiligung missverstanden. Terror ist kein spontanes Auflehnen gegen Unrecht, sondern eine perfide Form der Kriegsführung, die mit Meuchelmorden in der Zivilbevölkerung den Kampfwillen der Gegner untergraben soll. Dieses Ziel erreichen die palästinensischen Terroristen bei Israel nicht, obwohl der Terror bereits seit 75 Jahren betrieben wird. Die gewünschte Wirkung erzielt der palästinensische Terror allerdings auf andere Weise.
Den Palästinensern ist es gelungen, ihren Kampf gegen Israel als ein muslimisches Anliegen darzustellen, das von allen Muslimen unterstützt werden müsste, Tatsächlich ist dieser Aufruf weltweit beachtet worden und so fürchten nun Regierungen, die einen größere Anzahl von Muslimen im Land haben, dass auch in ihren Ländern Terroranschläge stattfinden. In der Folge hat sich bei vielen Politikern die Haltung zu Israel geändert. Nach dem Massenmord vom 7. Oktober dominierte international die Unterstützung für Israel und die Verurteilung der Terrororganisation Hamas. Das hat sich mittlerweile geändert, da man bei zu deutlicher Sympathie für Israel die jeweilige muslimische Gemeinde im eigenen Land verärgern könnte. Auch die erstaunliche Haltung des UNO-Generalsekretärs Antonio Guterres zu Israel ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Über 100 Staaten haben den Staat Palästina bereits anerkannt und könnten Guterres das Leben als Generalsekretär schwer machen.
Hier zeigt sich deutlich, dass der islamistische Terror nicht verstanden wird. In Israel hat keine Konzession, die im Rahmen der verschiedenen Friedensverhandlungen gemacht wurde, für eine Entspannung gesorgt. Im Gegenteil, jede Konzession wurde als Schwäche ausgelegt und als Gelegenheit für weitere Angriffe gesehen. Immer wieder wird im Westen versucht, Gründe für den Terror zu erkennen und diesen vermeintlichen Gründen zu begegnen. Die Anschläge in den USA, in Kanada, in Frankreich, in Deutschland und anderswo waren in der Logik der Terroristen Morde, die auf ihre Anliegen aufmerksam machen sollten. Es ging nicht um Forderungen, denen die Überfälle Nachdruck verleihen würden. Es ging und geht bei den Morden darum zu zeigen, dass der übermächtige Westen verwundbar ist. Es gibt bei dem einzelnen Überfall kein konkretes Ziel, insgesamt wird der totale Sieg angestrebt. Die Palästinenser und ihre Unterstützer im Iran sind erst zufrieden, wenn der Staat Israel und seine Bewohner vernichtet sind. In Afghanistan kann man das Grundmuster studieren: Die Taliban haben das Land so lange terrorisiert, bis in der Bevölkerung jeder Widerstand beseitigt war und alle ausländischen Interventionen aufgegeben wurden.
Palästinenser sehen im Holocaust eine Rechtfertigung
Unter diesen Umständen liegt der Vergleich der palästinensischen Terroristen mit Nazi-Deutschland nahe, zumal die palästinensische Führung im Holocaust eine Legitimierung ihrer Politik gegen Israel sieht und gerne daran erinnert, dass ihr früherer Anführer Husseini 1941 von Hitler freundschaftlich empfangen und in der Folge unterstützt wurde. Der Massenmord vom vergangenen 7. Oktober wird zur historischen Nagelprobe, inwieweit Europa sich tatsächlich vom Antisemitismus verabschiedet hat. Die rasch nachlassenden Sympathiekundgebungen für die Opfer des Überfalls vom 7. Oktober lassen da Zweifel aufkommen. Auch ist auffällig, dass in den Fünfzigerjahren geradezu eine Begeisterung für Israel herrschte und die Leistung der Juden bewundert wurde, die nach der Katastrophe der Shoah auf einem schmalen Landstreifen aus Wüste und Sumpf einen Staat aufbauten. Die Bewunderung und der Respekt waren noch untermauert durch das Entsetzen über das Schicksal der Millionen, die in den Konzentrationslagern umgekommen waren. Als der Erfolg Israels anhielt, das Land sich wirtschaftlich gut entwickelte und auch die Angriffskriege der arabischen Nachbarn überstand, wurde der jüdische Staat als selbstverständlich zur Kenntnis genommen und als unbesiegbar eingestuft. Bis man nach dem 7. Oktober 2023 Stellung beziehen sollte.
Antijudaismus ist nicht durch ein paar Erklärungen zu beseitigen
In dieser Phase ist das Phänomen des Antisemitismus oder genauer Antijudaismus näher zu analysieren. Die christliche Religion ist ursprünglich die jüdische Religion gewesen, Jesus Christus verstand sich als Vertreter eines strengen Judentums und lehnte eine Lebensweise ab, die sich nicht genau an die Regeln hielt. In diesem Sinn verstand sich auch die erste Christengemeinde, die folglich nur streng gläubige Juden aufnahm. Erst Paulus setzte eine Öffnung durch, womit die stärkere Verbreitung begann. Durch Paulus wurden auch die Regeln geändert und so entwickelte sich eine eigenständige Variante des Judentums, die zum Christentum wurde. Als Kaiser Konstantin im vierten Jahrhundert das Christentum zur römischen Staatsreligion machte, wurden alle anderen Varianten des Christentums und des Judentums zu Irrlehren erklärt. Das blieb so in den folgenden Jahrhunderten. Nicht zuletzt hat die Kirche die Juden abgelehnt, weil sie sich unmittelbar mit Gott verbunden sehen und keine Kirche als Mittler zwischen den Gläubigen und Gott akzeptieren. Diese Eigenständigkeit stellte nicht nur die Autorität der Kirche in Frage, sondern auch die Autorität der Herrscher, die ihre Legitimität aus dem Gottesgnadentum ableiteten, das ihnen von der Kirche attestiert wurde.
Der Antisemitismus wurde aus religiösen und politischen Gründen betrieben. In der Folge wurden die Juden ausgegrenzt, konnten nur wenige Berufe ausüben und durften auch nur in bestimmten, abgegrenzten Stadtteilen und Dörfern unter Beachtung spezieller Regeln leben. Diese Einschränkungen lehrten die Juden, auch unter schwierigsten Bedingungen zu überleben und Erfolge zu haben. Diese Herausforderung entsprach auch dem zentralen Glaubensgrundsatz der Juden, der täglich gebetet wird. „Du sollst den Ewigen, Deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft!“ Zum besseren Verständnis kann man diesen entscheidenden Satz auch so lesen: „Du sollst die Schöpfung Gottes, das Sein und das Leben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft lieben“, Dich also dem Sein und dem Leben, dem Universum stellen, die auftretenden Herausforderungen annehmen!
In der Folge kam es zu dem Paradoxon, dass man den Juden nicht nur ihre Eigenständigkeit vorwarf und sie deshalb ausgrenzte, sondern sie auch wegen der unter widrigsten Umständen doch erzielten Erfolge beneidete und ihnen magische Kräfte unterstellte.
Wenn in den vergangenen Wochen, nach dem ersten Entsetzen über das Massaker vom 7. Oktober und den Sympathiekundgebungen für Israel eine gewisse Distanz zum jüdischen Staat zu beobachten ist, dann werden Erinnerungen an die in Jahrhunderten gelernten, antisemitischen Grundmuster wach. In Israel haben die Juden unter schlechtesten Bedingungen einen wirtschaftlich und politisch erfolgreichen Staat aufgebaut. Also kann man sich fragen, warum soll man Israel unterstützen, wenn die Juden doch aus eigener Kraft erfolgreich sind.
Der lange betriebene Antisemitismus wirkt in Teilen der Bevölkerung in vielen Staaten nach und so werden Juden vielfach immer noch als Sündenböcke für jede nur denkbare Unbill gesehen. Die entschiedenen Bekenntnisse der meisten Regierungen gegen den Antisemitismus können das in Jahrhunderten gelernte Verhalten nicht zur Gänze auslöschen und so kommt es derzeit insbesondere in Mitteleuropa zu antijüdischen Ausschreitzungen und zu Sympathiekundgebungen für die Hamas.
Fazit: Auch die Politik steht nicht bedingungslos an der Seite Israels. Der Satz „Mögen sie doch selbst mit dem Terror der Hamas fertig werden“ wurde noch nicht ausgesprochen, er liegt irgendwie in der Luft. Er wäre nur fatal für die Welt, weil der islamistische Terror nicht auf Palästina beschränkt ist, sondern die ganze Welt bedroht. Es ist also im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft, mit diesem mörderischen Phänomen fertig zu werden, das kein Sonderproblem Israels ist. Wenn nicht gerade das World Trade Center in New York zusammenbricht und 3.000 Menschen in den Tod reißt, in Pariser Cafés Menschen wahllos ermordet werden, im Berliner Weihnachtsmarkt ein Massaker verübt wird, in Madrid reihenweise Züge explodieren, die IS in Syrien und im Irak oder Boko Haram in Afrika wüten, dann kann bei dem notorisch schlechten Gedächtnis der Menschen leicht der Eindruck entstehen, der Massenmord vom 7. Oktober 2023 sei nicht die Angelegenheit der gesamten Menschheit.