Weltwirtschaft

Kriege und Sanktionen: Wird in Europa im Winter das Gas knapp?

Lesezeit: 3 min
23.11.2023 10:36  Aktualisiert: 23.11.2023 10:36
Die Gasspeicher sind voll und die Preise sind weit entfernt von den extremen Auswüchsen des letzten Jahres. Doch die geopolitischen Risiken sind höher denn je.
Kriege und Sanktionen: Wird in Europa im Winter das Gas knapp?
Für den Winter drohen in Europa Gasmangel und hohe Preise. (Foto: dpa)
Foto: Marijan Murat

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Im letzten Jahr hatten die Bürger und Unternehmen in Europa unerwartetes Glück im Hinblick auf die Versorgung mit Gas, denn der Winter war deutlich milder als üblich, und der Verbrauch war daher ungewöhnlich niedrig. Doch dieses Jahr sieht es anders aus. Die kalte Heizperiode hat in Europa längst begonnen und in der Folge haben die Gaspreise bereits erste Sprünge in die Höhe gemacht.

Zwar sind die europäischen Gasspeicher dank des stetigen Zustroms von Flüssiggas (LNG) aus den USA derzeit bis zum Rand gefüllt. Doch nun steigt die Nachfrage massiv - in Europa wie in Asien, und trotz des reichlichen weltweiten Angebots an Flüssiggas könnten die Preise in Europa in die Höhe schießen, möglicherweise sogar um ein Vielfaches. Und dies liegt nicht nur an den kalten Temperaturen, wie das Portal Oilprice berichtet.

Das derzeit noch reichliche Angebot an Gas war der Grund dafür, dass die LNG-Preise in den letzten Wochen gesunken sind. Der Benchmark-Kontrakt für europäisches Erdgas TTF handelte am Dienstag bei 43,42 Euro, was erheblich billiger ist als die mehr als 120 Euro, mit denen er vor einem Jahr gehandelt wurde. Doch der Trend zeigt schon seit Anfang Juni nach oben.

Die Anfälligkeit des europäischen Gas-Marktes für Kriege und Krisen in weiter Ferne wurde am Montag deutlich. Die europäischen Referenzpreise für Erdgas stiegen deutlich, nachdem bekannt geworden war, dass die Huthi-Rebellen im Roten Meer ein Frachtschiff beschlagnahmt hatten, das in Verbindung mit einem israelischen Unternehmen stand.

Risiko höherer Frachtraten lastet auf Gaspreis

Daher wurde die Beschlagnahmung weithin als Zeichen für eine mögliche Eskalation des Gaza-Krieges gewertet. Israel machte den Iran für die Beschlagnahmung des Schiffes verantwortlich, während der Iran jegliche Beteiligung bestritt. In der Folge stiegen die Gaspreise in Europa um etwa 3 Prozent, während die Gaspreise in den USA sogar leicht zurückgingen, was die europäische Abhängigkeit von Gas-Importen verdeutlicht.

Trotz der geopolitischen Risiken im Nahen Osten erwartet S&P Global wegen des starken Angebots im Markt derzeit keinen starken Anstieg der LNG-Preise, wie das Unternehmen am Montag berichtete. Andere Analysten verweisen auf weitere negative Nachrichten aus der Schifffahrt, darunter die Einschränkungen am Panamakanal und die Risiken am Suezkanal aufgrund des Gaza-Kriegs.

Im Panamakanal hat eine lang anhaltende Dürre den Wasserstand verringert, was bereits zu höheren Frachtraten für alle Schiffe geführt hat. Die eingeschränkte Durchfahrt durch das wichtige Nadelöhr zwischen Nord- und Südamerika ist offenbar auch nicht so schnell zu beheben. Die LNG-Lieferungen aus den USA nach Europa nutzen den Kanal nicht, wohl aber die Lieferungen nach Asien.

Wegen der anhaltenden Probleme im Panamakanal nutzen einige Abnehmer in Südkorea nun eine Route über den Atlantik und durch den Suezkanal. Doch auch hier gibt es derzeit angesichts des Gaza-Kriegs erhebliche Risiken. Andere asiatische Abnehmer von amerikanischem LNG suchen daher nach alternativen Routen. Dies würde auch die Frachtraten und die LNG-Preise in die Höhe treiben, selbst wenn das Angebot reichlich ist.

Bundesnetzagentur ruft Bürger zum Sparen auf

Auch die deutsche Bundesnetzagentur schließt eine Gasmangellage im beginnenden Winter nicht aus. Die Behörde hat die privaten Verbraucher und Unternehmen in Deutschland zu weiteren Einsparungen aufgerufen. „Die Ausgangssituation zu Beginn der Heizperiode ist deutlich besser als im vergangenen Jahr“, sagte der Präsident der Bonner Behörde, Klaus Müller, Anfang November.

Die Gasspeicher seien sehr gut gefüllt und die Importe und Einsparungen stabil. „Für eine vollständige Entwarnung ist es aber zu früh“, so Müller. Ein sehr kalter Winter würde den Gasverbrauch stark ansteigen lassen. Bei einem Stopp der verbleibenden russischen Gaslieferungen nach Südosteuropa müssten diese Staaten in einer Mangellage über Deutschland mitversorgt werden.

Die Einsparerfolge im vergangenen Winter seien beachtlich gewesen, sagte Müller, richtete aber den Blick nach vorne. „Niemand soll frieren. Aber zugleich bitten wir die Menschen, dass sie sich auch weiterhin genau überlegen, welcher Verbrauch sich einsparen lässt.“ Wer Gas sparsam verbrauche, könne auch im kommenden Winter viel Geld sparen.

Die Experten der Netzagentur haben verschiedene Szenarien berechnet. Angespannt würde die Lage demnach, wenn die Exporte sich erhöhen und die Importe sinken würden. Kritisch könne die Versorgungslage werden, wenn es außerdem kältebedingt eine hohe Nachfrage in Deutschland gäbe. Dies könne dazu führen, dass der vorhandene Gasbedarf nicht vollständig gedeckt werden kann.

Risiko eines Einbruchs beim LNG-Angebot

Das Angebot an Flüssiggas mag derzeit reichlich sein, aber das reichliche Angebot ist nur einen Ausfall von einer Unterbrechung und einem Preisanstieg entfernt. Dies zeigte der Ausfall der Gasexportanlage „Freeport“ im US-Bundesstaat Texas infolge einer Explosion im Juni letzten Jahres. Auf „Freeport“ entfiel etwa ein Zehntel der europäischen LNG-Importe. Erst im Februar wurde die Anlage wieder in Betrieb genommen.

Die Ursache der Explosion lag vor allem in einem Drucksicherheitsventil, das nach einer Routineprüfung mehrere Wochen lang nicht wieder geschlossen worden war, was zu einem Druckanstieg und übermäßiger Hitze führte, wodurch die Leitung schließlich platzte und sich entzündete, so der Untersuchungsbericht, der in stark geschwärzter Form veröffentlicht wurde.

Angesichts der bevorstehenden Wintertemperaturen könnten die Gaspreise in Europa infolge des Nachfrageschubs weiter steigen. Denn die Entnahmen aus den vollen Speichern haben bereits begonnen, wie es für diese Jahreszeit üblich ist. Die Weltmarktpreise mögen widerstandsfähiger sein, aber das Aufwärtsrisiko bleibt aufgrund der erhöhten Risiken bei der weltweiten Verschiffung bestehen.


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