Politik

Bund der Steuerzahler: Die Schuldenbremse ist unverzichtbar

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, hält die Schuldenbremse in ihrer gegenwärtigen Form für unverzichtbar. Im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten erklärt er, wie die Schuldenbremse zustande kam, warum die Politik einen Stabilitätsanker braucht und welche Schlüsse aus dem Urteil des Bundesverfassungsgericht zu ziehen sind.
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01.12.2023 15:10
Aktualisiert: 01.12.2023 15:10
Lesezeit: 4 min
Bund der Steuerzahler: Die Schuldenbremse ist unverzichtbar
Unverzichtbare Schuldenbremse: Steuerzahler-Präsident Reiner Holznagel. (Foto: Annette Koroll)

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In der Diskussion um die Schuldenbremse wird zunehmend eine Reform oder gar eine Beseitigung der Schuldenbremse gefordert, die in der Verfassung verankert ist. Ist die Schuldenbremse überholt?

Reiner Holznagel: Wie wichtig die grundgesetzliche Schuldenbremse nach wie vor ist, zeigt sich schon daran, dass viele Politiker sie abschaffen wollen. Wenn man nun meint, dass die Schuldenbremse überholt sei, entbehrt das nicht einer gewissen Komik. Die Schuldenbremse hat Verfassungsrang und wurde – nachdem sie für den Bund schon seit 2016 gilt – dann auch für die Länder und somit gesamtstaatlich zum 1. Januar 2020 wirksam. Genau drei Monate später wurde erstmals eine Notsituation festgestellt und damit die schuldenbremsende Wirkung der Schuldenbremse außer Kraft gesetzt. Ich finde es sehr befremdlich, wenn einige politische Vertreter darüber reden, eine Regel mit Verfassungsrang zu beseitigen, die gerade mal drei Monate ihre volle Kraft entfalten konnte. Dabei war es die Politik selbst, die die Schuldenbremse eingeführt hatte, weil die Notwendigkeit so offensichtlich war.

DWN: Wie kam es dazu? Und welche Notwendigkeiten haben damals zu ihrer Einführung geführt?

Holznagel: Meinen Gesprächspartnern stelle ich regelmäßig die Frage, wer denn der letzte Bundesfinanzminister war, der vor der Einführung der Schuldenbremse einen ausgeglichenen Bundeshaushalt eingebracht hat. Es war Finanzminister Franz-Josef Strauß im Jahr 1969! Seitdem verschuldete sich die Bundesrepublik immer schneller. 2008 reifte dann parteiübergreifend die Einsicht, dass es so nicht weitergegen kann. Am Ende stand die Schuldenbremse, die maßgeblich vom damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Öttinger verhandelt wurde. Am Ende war es die Politik selbst, die eingesehen hatte, dass sie einen solchen Stabilitätsanker braucht. Als dann Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble 2015 erstmals einen ausgeglichenen Haushalt einbrachte, gab es im Finanzministerium nicht einen einzigen Beamten, der in seiner aktiven Zeit bislang erlebt hatte, dass die Bundesrepublik Deutschland einen ausgeglichenen Haushalt hatte.

DWN: Was aber sind die Schlussfolgerungen für die Zukunft?

Holznagel: An der Schuldenbremse muss unbedingt festgehalten werden! All das Gerede über eine Reform der Schuldenbremse hat letztlich nur das Ziel, sie aufzuweichen und zu unterminieren. Das heißt: Wir müssen eine ehrliche Debatte darüber führen, was uns Umwelt- und Klimaschutz wert sind. Es gibt gute Gründe dafür, sich für eine solche Politik zu entscheiden, doch dann muss man auch darüber diskutieren, was wir bereit sind, dafür zu zahlen. Hinzu kommen zwei Aspekte, die in diesem Zusammenhang in der Öffentlichkeit nicht genug diskutiert werden – nämlich einen ökonomischen und einen demokratietheoretischen Aspekt, der besonders wichtig ist.

DWN: Das müssen Sie erklären.

Holznagel: Fangen wir mit dem ökonomischen Aspekt an. Viele Menschen, die heute die Schuldenbremse aufweichen oder sogar abschaffen wollen, sind durch die Phase der Niedrigzinsen politisch geprägt worden. Diese Zeit ist definitiv vorbei, Schuldenmachen kostet wieder. Im Jahr 2022 hat der Bund gerade mal 3,9 Milliarden Euro für seine Schulden bezahlen müssen. In diesem Jahr werden es knapp 40 Milliarden sein, Tendenz weiter steigend. Und das sind nur die Zinsen! Denn, was viele nicht wissen: Die Schuldenbremse schreibt vor, dass die Schulden, die bei der Feststellung einer Notsituation aufgenommen worden sind, auch zeitnah getilgt werden müssen. So soll die Tilgung schon 2028 beginnen – vorerst in Höhe von mehr als elf Milliarden Euro pro Jahr. Das hat zur Folge, dass in einer Hochzins-Phase der Schuldendienst und zugleich hohe Tilgungspflichten das Parlament in seinen Handlungen extrem einschränken.

DWN: Und welchen demokratietheoretischen Aspekt hätte dies?

Holznagel: Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht eines jeden Parlaments. Doch wenn Zins und Tilgung immer mehr Summen ausmachen, wird der Spielraum enger – und dem Parlament bleibt nicht mehr viel zu entscheiden. Das ist ein Demokratie-Defizit!

DWN: Nun wollen ja auch Regierungschefs der Länder die Schuldenbremse aufweichen. Wie sehen Sie die Vorstöße aus den Ländern?

Holznagel: Die Motivation des Regierenden Bürgermeisters in Berlin unterscheidet sich von denen der Ministerpräsidenten in Dresden und Magdeburg. Berlin lebt schon seit vielen Jahren über seine Verhältnisse. Das, was Berlin über Sondertöpfe finanzieren möchte, gehört zu den Kernaufgaben eines Landes und muss aus einem regulären Haushalt bezahlt werden. Dazu gehören die Sanierung der Gebäude und der Polizeiwachen. Wenn der neue Berliner Senat erklärt, dass die Sanierung energetisch sei, ändert dies nichts daran, dass das eine ganz normale staatliche Aufgabe ist, die durch den Landeshaushalt abgedeckt werden muss. Wenn Berlin dazu nicht in der Lage ist, kann der neue Senat versuchen, eine Haushaltsnotlage festzustellen – die er politisch verantworten muss. Die verfassungsrechtlichen Hürden hierfür sind allerdings sehr hoch.

DWN: Und wie verhält es sich in Sachsen- und Sachsen-Anhalt?

Holznagel: In diesen Fällen geht es nicht darum, dass die Länder über ihre Verhältnisse gelebt haben, sondern darum, dass eine Strukturinvestition zum Aufbau von Halbleiterwerken über einen Klimafonds abgewickelt werden soll. Das ist ein Etikettenschwindel! Es wäre ehrlich gewesen, wenn man einen Sonderfonds zur Errichtung der heimischen Chipindustrie eingerichtet und ihn am besten auch so genannt hätte. Das hätte aber eine ganz andere politische Diskussion zur Folge gehabt. Die Grünen beispielsweise hätten dann begründen müssen, warum sie internationalen Großkonzernen wie Intel in Magdeburg zehn Milliarden Euro Steuergeld als roten Teppich auslegen wollen.

DWN: Was folgt für Sie aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November?

Holznagel: Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung sich etwas Zeit genommen hätte, mit Verfassungsrechtlern und Haushältern das Urteil genau zu studieren und auszuwerten. Vor allem braucht Deutschland jetzt einen Kassensturz, dem zwei Maßnahmen folgen müssen – nämlich strecken und streichen. Wir müssen uns endlich klarmachen, dass wir uns nicht alles leisten können und auch nicht sofort. Die Bundesregierung muss eindeutig sagen, was möglich ist – und was auf absehbare Zeit eben nicht.

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