Der Bundesregierung droht der nächste fiskalische Super-Gau. Diesmal geht es um die geplante Anpassung der Grundsteuern in ganz Deutschland. Haus- und Grundeigentümer sollen eigentlich ab 2025 neu veranlagt werden. In den vergangenen Jahren sind dazu von den Finanzämtern die Bemessungsgrundlagen auf Grundlage neuer Bodenrichtwerte festgelegt worden. Die meisten Länder nahmen ein vom Bund entwickeltes Modell als Grundlage, ausgerechnet dieses droht nun als verfassungswidrig durchzufallen. Auch in Berlin unterstützt Haus & Grund bereits ein weiteres Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung.
In einem Gutachten von Haus & Grund sowie dem Bund der Steuerzahler hatte der renommierte Rechtswissenschaftler Prof. Gregor Kirchhof die Bodenrichtwerte als „ungeeignete Grundlage“ eingestuft. Häufig blieben lagebedingte Wertminderungen unberücksichtigt, fehlten verlässliche Kaufpreissammlungen oder in manchen Gebieten sogar Gutachterausschüsse. Die Richtwerte der Finanzbehörden seien viel zu ungenau, um auf ihrer Grundlage dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Bescheide begründen zu können. Kai Warnecke, der Präsident von Haus & Grund, spricht von „systematischen Bewertungslücken“.
So ging es in Rheinland-Pfalz vor Gericht um ein Hang-Grundstück, deren Grundfläche gleichwohl voll in die Bewertung eingeflossen ist. Im zweiten Fall bezweifelte die Eigentümerin grundsätzlich den Wert ihres Altbaus mit einfacher Verglasung an. Nach Angaben aus Rheinland-Pfalz seien allein dort 280,000 Einsprüche gegen die Berechnung der Grundsteuer anhängig. „Die Landesregierung hat auf das falsche Pferd gesetzt", lästert René Quante, Geschäftsführer beim Bund der Steuerzahler in Mainz.
Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, bewertet die richterliche Ohrfeige als „Weckruf an die Politik“. Er spricht für Millionen Bürger bundesweit, die sich bereits über eine „Art zweiter Steuerklärung“ echauffierten. Für alle Grundstücke in Deutschland mussten aufwändig Erklärungen abgegeben werden. Holznagel hält es für gut möglich, dass das Bundesverfassungsgericht auch das „Bundesmodell Grundsteuer“ kassiert. Das Finanzministerium in Mainz müsste als nächstes erst einmal Rechtsmittel einlegen. Danach würde der Bundesfinanzhof in München über diese Beschwerde entscheiden.
Haus & Grund rät Eigentümern zu Widerspruch
Das kann dauern. Die Praxis zeigt, dass die Finanzämter in den Ländern üblicherweise abwarten und die Bearbeitung von Widersprüche nach hinten verschieben, bis rechtlich endlich Klarheit besteht. Warnecke rät Hauseigentümern deshalb, der Empfehlung seines Verbandes zu folgen und ebenfalls in Widerspruch gegen Bescheide der Finanzämter zu gehen. Zigtausende Hauseigentümer hätten bereits gegen das geänderte Vorgehen präventiv protestiert und formlos ihren Bescheiden widersprochen. Sie könnten sich auf die Musterklagen (Az. 4 V 1295/23 sowie 4 V 1429/23) berufen und das Ruhen des Verfahrens aus Zweckmäßigkeitsgründen beantragen. Stimmt das Finanzamt diesem Antrag zu, bleibt das Einspruchsverfahren bis zu einem Urteil in der Musterklage offen.
Warnecke vermutet, dass es in vielen Fällen noch nicht zu spät ist. Betroffene sollten sich wappnen, falls letztlich auch beim höchsten Gericht die Zweifel überwiegen und die Finanzverwaltung angehalten wird, ein weiteres Mal ein verändertes Grundsteuer-System vorzulegen. Zur Erinnerung: Bereits im Jahr 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht die langjährige Praxis von Grundsteuerbescheiden als nicht mehr verfassungsgemäß gerügt, weil sich Ämter unverändert und stur an der so genannten Einheitsbewertung aus dem Jahre 1964 orientiert hatten.
Die Richter des Ersten Senats in Karlsruhe forderten ein faires neues Ermittlungsverfahren, das mehr Gerechtigkeit für die Bürger schaffen sollte. Folglich hatte das frühere Ministerium von SPD-Finanzminister Olaf Scholz einen systematisch neuen Bewertungskatalog vorgelegt, der in Folge von elf Bundesländern als Berechnungsgrundlage adaptiert worden war, aber nun gleichfalls auf der juristischen Kippe steht.
Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland. Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen stehen mit ihren Grundsteuer-Bescheiden nun im Feuer. In Hessen, Hamburg, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern ist die Lage anders, weil dort von der Verwaltung eigene Berechnungs-Modelle entwickelt wurden. Die Landesregierung in Hannover hat etwa ein Flächen-Lage-Modell zu Grunde gelegt.
Richter bezweifeln Rechtmäßigkeit der Bescheide
Die in Rheinland-Pfalz beurteilten Fälle waren dem Finanzgericht derweil als Eilverfahren vorgelegt worden – beide Kläger haben nun vorläufig recht bekommen. Die Richter entschieden, dass die „angegriffenen Grundsteuerwertbescheide wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit auszusetzen“ sind. Sie betonten überdies hinaus, dass nicht nur Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beiden Grundsteuerbescheide bestünden, sondern „auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Bewertungsregeln“.
Nur Gutachter bemessen Wert von Grundstücken
So könnten Finanzbehörden selbst keine Bewertungsgrundlagen anstellen, dies sei bestenfalls Sache qualifizierter Gutachter. Fraglich ist überhaupt, ob die Grundstücks- und Gebäudeanteile jeweils in den Bescheiden nachvollziehbar eingestuft und gegeneinander abgewogen würden.
„Das Finanzgericht hat in einer beeindruckenden Breite und Tiefe seine ernsten verfassungsrechtlichen Zweifel am Bundesmodell dargelegt“, applaudierte der Augsburger Verfassungsrechtler Kirchhof. „Diese Werte sind – wie der Name schon sagt – reine Richtwerte und daher für die Bemessung einer Steuer zu ungenau.“
In Berlin hat das Finanzamt gleichfalls ein besonders krasses Missverhältnis produziert. In hervorragender Wohnlage am Wannsee in Zehlendorf war die Behörde von 2000 Euro Bodenrichtwert ausgegangen, während ausgerechnet im Bezirk Neukölln dieser Wert bei 4000 Euro eingestuft worden war.
Finanzsenator Stefan Evers (CDU) versprach seinen Steuerbürgern in einem offenen Brief, „individuell zu prüfen, ob Billigkeitsmaßnahmen in Betracht kommen“, falls „Grundsteuern im Einzelfall unverhältnismäßig hoch ausfallen.“
Die Frage ist nun, wann und ob Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Namen der Regierung Olaf Scholz den nächsten Rundbrief an die Hauseigentümer abschickt, um die erhitzten Gemüter bundesweit zu beruhigen.