Politik

EU-Staaten einigen sich auf Lockerung der Schuldenregeln

Lesezeit: 3 min
21.12.2023 10:32  Aktualisiert: 21.12.2023 10:32
Die EU-Schuldenregeln - die in der Vergangenheit ohnehin fast durchweg verletzt wurden - sollen gelockert werden.
EU-Staaten einigen sich auf Lockerung der Schuldenregeln
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gibt ein Statement ab nach dem Online-Treffen der EU-Finanzminister. Die Finanzministerinnen und Finanzminister der EU sind zu einem zusätzlichen Treffen per Videokonferenz zusammengekommen, um weiter über die Reform der gemeinsamen Schuldenregeln zu beraten. (Foto: dpa)
Foto: Christoph Reichwein

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die europäischen Finanzminister haben sich nach monatelangem Ringen auf eine Reform der Schuldenregeln verständigt. Hoch verschuldete EU-Staaten sollen mehr Zeit bekommen, ihre Defizite abzubauen, und auch zusätzliche Spielräume für Investitionen. Gleichzeitig wurden die Vorgaben an einigen Stellen verschärft, um mehr Sicherheitspuffer zu haben. Ein Überblick:

FOKUS AUF DIE AUSGABEN

Viele Regierungen hatten in der Vergangenheit geklagt, die von der EU verlangten Vorgaben nicht gut genug beeinflussen zu können. Das soll sich ändern, indem sich der Fokus verschiebt - weg vom Endergebnis des jährlichen Defizits und des Schuldenstands hin zu den Ausgaben. Diese Größe ist deutlich leichter zu steuern.

Staaten mit zu hohen Schulden sollen künftig mit der EU-Kommission einen individuellen Plan ausarbeiten, um die Werte über einen Zeitraum von vier Jahren zu verbessern. Dabei wird bei den Primärausgaben angesetzt, um Defizite von über drei Prozent der Wirtschaftsleistung wieder unter die Obergrenze zu bringen. Gleiches gilt bei Gesamtschuldenständen, die oberhalb der eigentlichen vertraglich vereinbarten Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen.

Dies als Maastricht-Regeln bekannte Grenze wird von einer großen Zahl europäischer Staaten seit Jahren gerissen, ohne dass es zu Konsequenzen käme.

MEHR ZEIT BEI REFORMEN UND INVESTITIONEN

In Ausnahmefällen wird EU-Staaten ein Zeitraum von sieben Jahren eingeräumt, in dem sie ihre Werte verbessern müssen. Das gibt ihnen mehr Spielraum, wenn sie im Gegenzug bestimmte Reformen umsetzen oder von der EU-bevorzugte Investitionen tätigen, etwa um energieunabhängiger von Russland zu werden.

Auf Druck von Italien wird es einen Automatismus für den Zeitraum von sieben Jahren geben, wenn bereits bestimmte Reformen und Investitionen mit Brüssel vereinbart sind. Diese müssen im Zusammenhang mit grünen Technologien oder der Digitalisierung im Rahmen der Auszahlungen aus dem riesigen und höchst umstrittenen sogenannten Corona-Wiederaufbaufonds der EU stehen.

Lesen Sie dazu: EU: Milliardenfonds außer Kontrolle

ZWEIKLASSEN-GESELLSCHAFT

Künftig soll zwischen hoch verschuldeten und extrem hoch verschuldeten EU-Staaten differenziert werden - mit Schuldenständen von über 60 und 90 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung.

In letztere Gruppe fallen unter anderem Frankreich, Italien und Griechenland. Bei Werten über 90 Prozent müssen die Schuldenstände um mindestens ein Prozent pro Jahr reduziert werden. Für die erste Gruppe gilt eine Mindestvorgabe von 0,5 Prozent pro Jahr.

Im Vergleich zu den bisherigen Regeln ist das Tempo damit deutlich geringer. Abgeschafft wird die sogenannte Zwanzigstel-Regel, die viele EU-Staaten überfordert und deswegen für großen Unmut gesorgt hat. Diese sah vor, dass Länder mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent jedes Jahr ein Zwanzigstel der Differenz zwischen 60 Prozent und der tatsächlichen Quote abbauen müssen. Das waren teilweise vier Prozent der Wirtschaftsleistung.

SICHERHEITSPUFFER BEIM DEFIZIT

Die Vorgabe zum maximal erlaubten Haushaltsdefizit von drei Prozent wird künftig strenger ausgelegt, worauf vor allem Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner gedrungen hatte. Die Obergrenze bleibt zwar, aber es wird ein Sicherheitsnetz eingezogen. 1,5 Prozent sollen als Puffer genutzt werden, um im Falle von Konjunktureintrübungen Spielräume zu haben und nicht gleich die Marke von drei Prozent zu reißen.

Aufgebaut werden soll der Puffer durch geringere strukturelle Defizite, die vorliegen, wenn die laufenden Ausgaben immer wieder über den Einnahmen liegen. Bei Ländern mit einem Vier-Jahres-Plan soll das strukturelle Defizit um 0,4 Prozent pro Jahr abgebaut werden, bei Sieben-Jahres-Plänen um 0,25 Prozent. Damit wurden die bisherigen Regeln an dieser Stelle etwas gelockert. Bei der Berechnung der jeweiligen Verbesserung werden bis 2027 Zinszahlungen nicht berücksichtigt, was Frankreich besonders wichtig war. Auch dies schafft Spielräume für Investitionen.

KONTROLLE

Bislang hatten Verstöße keine nennenswerten Konsequenzen für Schuldensünder. Ob es künftig anders wird, dürfte sich erst noch zeigen.

Die EU-Kommission kann Disziplinarmaßnahmen einleiten, an deren Ende auch Strafen stehen können. Aktiv werden kann die Brüsseler Behörde, wenn der vereinbarte Ausgabenpfad in einem Jahr um 0,3 Prozent der Wirtschaftsleistung überschritten wird. Bei der Betrachtung der Vier- beziehungsweise Sieben-Jahres-Zeiträume muss die Abweichung nach oben kumuliert mindestens 0,6 Prozent betragen.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Die Rezession ist da: Bankrotterklärung Deutschlands?
09.10.2024

Schlechter als erhofft: Die Bundesregierung erwartet für 2024 eine Abnahme der Wirtschaftsleistung. Wie sollen wir da wieder herauskommen?

DWN
Panorama
Panorama Häufigste Ängste der Deutschen: höhere Preise und Migration
09.10.2024

Manche Menschen fürchten um ihren Job, andere machen sich Sorgen wegen steigender Kriminalität oder wachsenden islamistischen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeitsmarkt: Fast jeder Zweite nur noch befristet angestellt. Sind Jobs auf Lebenszeit ein Auslaufmodell?
09.10.2024

Immer kürzer, immer schneller: Befristete Arbeitsverträge sind auch nach der Corona-Pandemie traurige Realität bei deutschen...

DWN
Panorama
Panorama Fußballchef bei Red Bull: Jürgen Klopp als Konzernstratege - kann er das?
09.10.2024

Es gibt verschiedene Management-Typen. Strategen, die von langer Hand planen und sich weder aus der Ruhe bringen noch in die Karten schauen...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft US-Wahl: Trump fordert Importzölle - Kanada und Mexiko wären stark betroffen
09.10.2024

Die von Donald Trump geforderten Importzölle der USA könnten Kanada und Mexiko besonders stark treffen. Ihre weltweiten Exporte würden...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Selenskyj-Treffen wegen Bidens Absage in der Schwebe - ändert sich die Ukraine-Strategie?
09.10.2024

Der Hurrikan "Milton" in den USA und die Verschiebung des Deutschlandbesuchs von US-Präsident Joe Biden wirbeln die westlichen...

DWN
Politik
Politik Telegram kooperiert jetzt mit den russischen Behörden: Sollte man den Messenger bald verlassen?
09.10.2024

Der Gründer von Telegram hatte lange Zeit nicht vor, mit Russland zusammenzuarbeiten, aber jetzt sieht die Lage anders aus. Russische...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Nahostkonflikt: Israel und libanesische Hisbollah im Eskalations-Modus - Vergeltungsschlag erwartet
09.10.2024

Auf Angriff folgt Vergeltung: Nahezu täglich beschießen sich die libanesische Hisbollah-Miliz und die israelischen Streitkräfte – ein...