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26.10.2023 17:54  Aktualisiert: 26.10.2023 17:54
Ein neuer Bericht des Rechnungshofes der EU legt kapitale Mängel im Management eines großen Förderprogramms offen. Nicht nur habe die EU-Kommission keinen Überblick darüber, wie zielgerichtet die Hilfen sind. Vielfach sei der Kommission noch nicht einmal klar, wofür das Geld überhaupt ausgegeben wird.
EU: Milliardenfonds außer Kontrolle
In Erklärungsnot: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: dpa)

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Konkret geht es um den ARF-Fonds (Aufbau- und Resilienzfazilität). Dieser Fonds, der zur Erholung von der Coronakrise beitragen soll, ist mit einem Volumen von 723 Milliarden Euro ausgestattet worden. Das Ziel: Mit dem Geld sollen die EU-Staaten Reformen und Investitionen in den Arbeitsmarkt oder den Naturschutz anstoßen und damit die Wirtschaft in Europa moderner und umweltfreundlicher machen. Der Fonds setzt sich dabei aus 338 Milliarden Euro an nicht rückzahlbare Finanzhilfen und aus 385 Milliarden Euro an Darlehen zusammen. Um dies zu erreichen, hatte die EU erstmals in ihrer Geschichte in einem größeren Umfang Kredite aufgenommen.

Bei der Prüfung der Verwendung der Mittel aus dem ARF-Fonds ist nun aber der Europäische Rechnungshof zu einem geradezu desaströsen Ergebnis gekommen. Für gewöhnlich bemängelt der Rechnungshof eine mangelnde Kontrolle der Verwendung der Gelder, doch diesmal muss der Rechnungshof eingestehen, dass „nicht nachvollziehbar“ sei, wofür die Staaten die Subventionen eigentlich ausgeben und ob der Fonds überhaupt irgendeine Wirkung habe. So gebe es keinen Überblick darüber, ob die durch die EU finanzierten Projekte irgendeinen Beitrag dafür leisten, die Wirtschaft in Europa moderner und klimafreundlicher zu machen.

Schwachstellen im System

Der Bericht, der unter der Leitung der aus Kroatien stammenden Prüferin Ivana Maletic verfasst wurde, kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, dass es „Schwachstellen im Überwachungssystem“ gebe, die dazu führten, dass die Leistung der Förderung nicht zu messen sei. Hart geht die Rechnungsprüferin mit der Kommission in Gericht: Zwar bekämen die Länder über den EU-Aufbaufonds „mehr Geld als je zuvor, aber die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, ob seine grundlegenden Ziele erreicht werden und wie das Geld ausgeben wird“.

Geradezu komisch wirkt der Bericht des Rechnungshofes, wenn die Prüfer mit einem Unterton der Resignation zu dem Ergebnis kommen, dass der „größte Fonds der EU angeblich leistungsbasiert ist“, eine Leistung aber leider nicht messbar sei – man befinde sich „in einer paradoxen Situation“. Nach dem Befund der Rechnungsprüfer reichen bei dem Mammutprogramm der EU die „Überwachungskomponenten“ nicht aus. So werde von der Kommission lediglich kontrolliert, ob die nationalen Regierungen die angekündigten Projekte auch tatsächlich verwirklichen würden, nicht aber, ob diese Projekte überhaupt irgendeine Wirkung hätten. Zudem, so der Rechnungshof in seinem aktuellen Bericht, erhebe Brüssel keine Daten darüber, wie viel die Länder konkret ausgäben. Die Kommissionsangaben zum Aufbaufonds beruhten daher lediglich „aktuell auf Schätzungen“, so die Berichterstatterin des Rechnungshofes, Maletic´.

Die Antwort der Kommission

In einer umfangreichen, elfseitigen Antwort reagierte die EU-Kommission auf die Feststellungen des Rechnungshofes. Dabei aber vermeidet es die Kommission, konkret auf die Schwachstellen in ihrem Prüfsystem einzugehen. Weitschweifig weist die Kommission stattdessen auf die aus ihrer Sicht so große Bedeutung des Fonds hin – dieser sei „ein mächtiges Instrument auf europäischer Ebene für die Unterstützung eines beschleunigten und ehrgeizigen grünen und digitalen Wandels“.

Die Kommission beharrt in ihrer Rechtfertigung darauf, dass die Mittelverwendung leistungsorientiert sei. Die Zahlungen an die Mitgliedsländer beruhten dabei auf „der befriedigenden Erfüllung von Meilensteinen und Zielen und nicht auf tatsächlichen Kosten“. Die Kommission macht geltend, die EU-Staaten müssten zweimal im Jahr Rechenschaft über ihre geförderten Maßnahmen ablegen und seien für die Qualität ihrer Daten verantwortlich. Es folgt die lapidare Feststellung: „Die Kommission ist der Ansicht, dass dies für alle vereinbarten Pläne der Fall ist.“

Der Fonds „Aufbau- und Resilienzfazilität“ wurde 2020 von der EU eingerichtet und soll als Corona-Wiederaufbaufonds zum einen die Mitgliedsländer dabei unterstützen, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie schneller zu überwinden und zum anderen die Wirtschaft zu modernisieren und klimafreundlicher auszurichten. So sollen die durch den Fonds angestoßenen Maßnahmen sich positiv auf Arbeitsmärkte, Bildungswesen, Sozial- und Gesundheitswesen auswirken und auch den Stand der Digitalisierung erhöhen. Zu den geförderten Maßnahmen gehören unter anderem auch der Schutz von Artenvielfalt und Lebensräumen sowie Gebäudesanierungen mit dem Ziel der Energieeinsparung.

Bei dem jüngsten Bericht ist den Prüfern in diesem Zusammenhang pikanterweise auch ein Vorgang mit deutscher Beteiligung aufgefallen, der offenlegt, wie fahrlässig die Kommission die Verwendung ihrer Gelder prüft. Bei diesem Fall ging es um Investitionen ins nationale Gesundheitswesen. Berlin meldete nach Brüssel aber offenbar nicht die Zahl neuentstandener oder modernisierter Gesundheitseinrichtungen, sondern schlicht die aller Krankenhaus-Patienten im Jahr 2019 – unabhängig davon, wie alt oder neu die Kliniken waren, in denen sie behandelt wurden. Dies aber reichte laut Rechnungshof als Grundlage für die Annahme, 23 Prozent der deutschen Bevölkerung hätten neue oder aufgewertete Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung gestanden.


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