Technologie

KI und Hightech: Ist die Bundeswehr für die Zukunft gerüstet?

Lesezeit: 6 min
20.02.2024 10:35
Die Kriege der Zukunft (und der Gegenwart) werden auch auf dem technologischen Schlachtfeld entschieden. In Deutschland wird an entsprechenden Hochtechnologien geforscht. Das Potenzial ist groß, aber die Umsetzung in der Praxis scheitert noch an altbekannten Hürden.

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Der rasante technologische Fortschritt der Neuzeit findet sich auch in militärischen Anwendungen wieder. Digitalisierung, Automatisierung, Robotik und Künstliche Intelligenz sind bereits jetzt die Schlüsselbegriffe in Entwicklung und Forschung – und sie werden auch die nächsten Jahrzehnte beherrschen. Selbst große und hervorragend ausgebildete Armeen werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf die fortschrittlichsten Technologien und KI-basierten Assistenzsysteme zugreifen können.

Die Militärforschung muss sich heutzutage zwangsläufig mit KI auseinandersetzen. „Zeitgleich mit der sicherheitspolitischen Zeitenwende leben wir in einer Epoche des rasanten technologischen Fortschritts“, sagte Generalleutnant Michael Vetter, der im Bundesverteidigungsministerium die Abteilung Cyber- und Informationstechnik (CIT) leitet, gegenüber dem Handelsblatt. „Künstliche Intelligenz wird eine zunehmend allgegenwärtige und damit entscheidende Technologie.“

Deutschlands Militär und die hiesigen Rüstungsfirmen wie Rheinmetall (Waffensysteme, Panzer, Munition), ThyssenKrupp Marine Systems (Schiffe, U-Boote) und Hensoldt (Radarsysteme) können von dieser Entwicklung profitieren, wenn sie ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in diesen Zukunftsbereichen bündeln.

Neueste Forschungsprojekte für KI in der Bundeswehr

Ein Beispiel für ein aktuelles Forschungsprogramm ist die Entwicklung der KI-Software „Inspectre“ durch die junge Münchener Firma „Munich Innovation Labs“ in Kooperation mit dem „Cyber Innovation Hub“ (CIH) der Bundeswehr. Die intelligente Software sondiert öffentlich zugängliche Daten aus Social-Media-Kanälen und Messenger-Diensten im Hinblick auf wertvolle Informationen für (potenzielle) militärische Operationen. Also etwa, wie die allgemeine Stimmung im Einsatzland ist und ob die Menschen dort eher aggressiv oder passiv auf ausländischen Einfluss reagieren.

Unterdessen hat der oben erwähnte Sensorspezialist Hensoldt jüngst in die Datenfirma „21 Strategies“ investiert. Das Start-up aus Oberbayern werkelt in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr-Universität in Hamburg (HSU) und nun zusätzlich mit Hensoldt als Generalunternehmer an einer KI namens „Ghostplay“, die Strategien zur Abwehr von Drohnenangriffen liefern soll. Das ist wohl bislang ein blinder Fleck bei der deutschen Armee. Laut Projektleiter und HSU-Professor Gary Schaal könnte die intelligente Software eine Kompetenzlücke bei der Bundeswehr schließen. „Ghostplay“ verbessert die eigenen Strategien durch ständige Simulationen von Angriffs- und Verteidigungs-Szenarien.

An weiteren interessanten Forschungsfeldern mangelt es nicht. Ein aktueller Bericht der Bundeswehr gibt einen Überblick über zahlreiche militärische Forschungsprojekte in Deutschland, die letztlich alle auf die eine oder andere Weise einen Vorteil auf dem Schlachtfeld ermöglichen sollen. Dazu gehören etwa KI-Technologien zur Geländeerkennung und zur Logistik-Planung, autonome Waffensysteme, taktische Kommunikation mit 5G, Sensoren zur Früherkennung von Energiewaffen, portable Antennensysteme und mit neuronalen Netzwerken trainierte „explosiv-reaktive-Armeekleidung“ (ERA). Aber es werden etwa auch Techniken entwickelt, um Sprachbots des Gegners mit modifizierten Texten zu verwirren.

Mobile Ersatzteile-Fertigung mit 3D-Druck

„Additive Fertigung“, häufig einfach 3D-Druck genannt, ist eine der Zukunftstechnologien, in der Deutschland weltweit führend ist. Und es gibt auch schon militärische Anwendungen. So forscht die Bundeswehr an der additiven Fertigung von „Ultrahochmolekularem Polyethylen“, das etwa als Verbundwerkstoff für Kugelschutz-Kleidung und bei medizinischen Implantaten einsetzbar ist. Auch gewisse elektronische Komponenten sollen in Zukunft additiv produzierbar sein.

Die deutsche Marine experimentiert derweil mit 3D-Druckern zur mobilen Herstellung von Ersatzteilen. Aktuell müssen sämtliche Ersatzteile auf Vorrat mitgeführt werden – und wenn diese einmal verbraucht sind, kann das den Erfolg einer Mission gefährden. Mithilfe von 3D-Druckern könnten bestimmte Teile nach Bedarf produziert werden. Selbst wenn die Qualität nicht dieselbe ist, so ergibt sich zumindest die Option eines bedarfsabhängigen Notvorrats, der so lange zum Einsatz kommt, bis reguläre Ersatzteile wieder logistisch verfügbar sind.

Unter den Stichworten „Human Performance Augmentation“ und „Human Performance Enhancement“ werden Technologien zur vorübergehenden oder dauerhaften Verbesserung der menschlichen Leistungsfähigkeit erforscht. Im Kern geht es darum, die Fähigkeiten von Menschen und Maschinen zu kombinieren. In diesem Forschungsfeld spielt künstliche Intelligenz eine sehr wichtige Rolle.

Laut einer Studie der Bundeswehr bieten Augmentations-Technologien ein breites Spektrum an militärischen Anwendungsbereichen. Es könne zu grundlegend neuen Konzepten der Kriegsführung führen, heißt es in der Studie. „In den nächsten 30 Jahren ist es möglich, dass einzelne Soldaten in der Lage sein werden, erhöhte oder vielfältigere operative Effekte zu erzielen, die Auswirkungen auf unsere Streitkräftestruktur, unser Ausrüstungsprogramm und unsere Doktrin haben.“

Es gibt laut Bundeswehr bereits heute ausgereifte Augmentations-Technologien, die militärisch einsetzbar wären – die Hürden sind demnach eher politischer und ethischer Natur. Die disruptivsten dieser Technologien seien hingegen noch in einem relativ frühen Stadium. Den Supersoldaten, der mit allerlei leistungsstärkenden Implantaten ausgestattet ist und dank AR-Technologie keinen Schuss mehr daneben setzt, wird es also in naher Zukunft wahrscheinlich nicht geben.

Biosensoren können die Arbeit der Sanitäter erleichtern

Neuartige Augmentations-Technologien können zum Beispiel dazu beitragen, die medizinische Versorgung zu verbessern und zu optimieren. Das Bundeswehr-Vorzeigeprojekt „Human Performance Enhancement – Smart Textiles and Augmented Reality“ (HPE-STAR) nutzt Sensorik in intelligenten Textilien, um die frühzeitige Erkennung von Müdigkeit oder Wassermangel bei Soldaten zu unterstützen. Dies beinhaltet zudem akustische und optische Feedback-Systeme, die etwa eine automatische Thermoregulation gegen Überhitzung beziehungsweise Unterkühlung und sogar eine Frühwarnung vor entfernten Schussgefechten ermöglichen sollen. Moderne Biosensoren in der Kleidung sollen auch Blutungen frühzeitig erkennen können.

Das Projekt „HPE-Star“ läuft seit 2019. Ein Demonstrator wurde bereits erfolgreich bei Feldversuchen getestet. Der Prototyp bestand aus smarten Textilien zur Aufzeichnung von Biodaten, einem internen Controller zur Speicherung und Vorverarbeitung der Daten sowie der externen Weiterleitung der Informationen an Nutzerendgeräte.

Biomonitoring-Technologien haben das Potenzial, die gesamte medizinische Rettungskette deutlich schneller und effizienter zu machen. Biosensorische Daten liefern die notwendigen Informationen über geschwächte und verwundete Soldaten. Zusätzlich kann moderne KI dem Sanitärdienst dabei helfen, anhand von Echtzeit-Visualisierungen das gesamte Geschehen – inklusive des Standorts der mobilen Einheiten und der verfügbaren medizinischen Behandlungseinrichtungen vor Ort – im Blick zu behalten und entsprechend Prioritäten zu setzen.

In einem Forschungsbericht der Bundeswehr heißt es dazu: „Die Entwicklung einer gemeinsamen IT-Architektur, die all diese Bereiche verbindet, steht im Mittelpunkt der zukünftigen digitalen Forschung für einen effizienten medizinischen Dienst. Um einen Beitrag zu dieser Forschung beizutragen, wurde im Jahr 2021 eine wissenschaftliche Gemeinschaftsinitiative von Medizinerinnen und Medizinern des Bundeswehrzentralkrankenhauses in Koblenz zusammen mit IT-Spezialisten der Universität in München und dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung ins Leben gerufen.“

Militär-Experten fordern KI-Strategie der Bundeswehr

Man sieht: In Deutschland wird fleißig an modernsten Militär-Technologien geforscht. Allerdings spielt Künstliche Intelligenz bei der Bundeswehr aktuell kaum eine Rolle. Warum ist das so?

KI hat vielfältige militärische Einsatzgebiete weit über typischerweise mit KI assoziierte und durchaus problematische Technologien im Bereich Zielerkennung oder automatisierte Waffensysteme hinaus. Beispielsweise muss man bei rein medizinischen Anwendungen oder bei Analyse-Software zur Lagebildplanung keine großen ethischen Bedenken haben. Rein zu Verteidigungszwecken verwendete KI-Technologien können für die Streitkräfte trotzdem einen enormen Mehrwert liefern.

Der „Arbeitskreis KI & Verteidigung“, der vom Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) gegründet wurde, engagiert sich zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) und dem IT-Verband Bitkom für die verstärkte Integration von Künstlicher Intelligenz beim Militär. Mit einem vor kurzem veröffentlichten Impulspapier möchte die Interessensgruppe das Bewusstsein für das Thema Militär-KI stärken und zur Diskussion über Stellenwert und Grenzen des Einsatzes solcher Technologien beitragen.

Es gehe darum, das Thema KI in der Verteidigung zu „entdämonisieren“, sagte BDSV-Geschäftsführer Hans Christoph Atzpodien bei der Präsentation des Papiers.

Die Experten fordern darin unter anderem, dass KI zum Schutz von Soldaten eingesetzt wird. Dies könne auch teil- und vollautonome Waffensysteme umfassen, wenn etwa schnelles Handeln erforderlich ist. In Situationen, in denen das Leben von Soldaten bedroht ist, sei eigenständiges Handeln der Maschine gerechtfertigt. Deutschland müsse auch technologisch in der Lage sein, Angriffe mit KI-unterstützten Waffensystemen abzuwehren. Der generelle Ausschluss von KI-Technologie „hätte eine unverantwortbare strukturelle militärische Unterlegenheit zur Folge und würde operativ die Gefahr von Kollateralschäden etwa aufgrund mangelnder Präzision in der Zielerfassung erhöhen“, schreiben die Autoren.

Der militärische Einsatz von KI sei vor diesem Hintergrund nicht nur ethisch gerechtfertigt, sondern schlichtweg erforderlich, um die Verteidigungsfähigkeit zu gewährleisten. Aus Sicht der Verbände ist es zudem notwendig, die Debatte über Möglichkeiten und Grenzen von KI in der Verteidigung nicht nur zu führen, sondern die Ergebnisse direkt in Entwicklungsprojekte wie das europäische Kampfflugzeug der Zukunft (FCAS), an dem unter anderem der französisch-deutsche Konzern Airbus beteiligt ist, zu integrieren.

Unter dem Strich setzt sich das Bündnis der Industrieverbände für eine nationale militärische KI-Strategie ein. In diesem Kontext seien klare politische Richtlinien gefragt, die den Einsatz von KI im militärischen Bereich reglementieren. Bislang existiere noch nicht einmal eine allgemeingültige Definition des KI-Begriffs.

Momentan ist in Deutschland die vollautomatische Anwendung von KI im militärischen Kontext nicht erlaubt. Alle Entscheidungen müssen am Ende von einem Menschen getroffen werden. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vom 07.12.2021 heißt es dazu konkret: „Letale autonome Waffensysteme, die vollständig der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab.“ Und das Verteidigungsministerium ließ jüngst verlautbaren, dass die Verwendung von Deepfakes zur Täuschung des Gegners nicht mit den Einsatzgrundsätzen des Heeres vereinbar sei.

Politische Hürden

Eine große KI-Strategie der Bundeswehr erscheint jedenfalls überfällig – auch mit Blick auf die deutsche Rüstungsindustrie, die klare Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in diesem Bereich benötigt. Ideen lieferte das Amt für Heeresentwicklung schon vor einigen Jahren in einem Positionspapier. Dort wurde unter anderem die Gründung einer Nationalen Rüstungsagentur gefordert, die als gemeinnütziger Verein die Aktivitäten von Bundewehr, Rüstungsindustrie und Forschung bündelt, um die Entwicklung von militärischer KI-Software in Deutschland voranzutreiben. Außerdem empfahlen die Militärexperten damals den Aufbau eines Herres-eigenen Datenzentrums.

Derzeit mangelt es vor allem an Geld und politischer Unterstützung. 2023 wurde der Bereich „Wehrtechnische Forschung und Technologie“ um 200 Millionen Euro gekürzt und damit nur noch mit 330 Millionen dotiert. 2024 bis 2027 sollen zwar wieder jährlich 565 Millionen Euro für Forschungszwecke mit Fokus auf Digitalisierung ausgegeben werden, auch unter Nutzung des 100 Milliarden Euro schweren Bundeswehr-Sondervermögens, allerdings wurden die Geldmittel der Bundeswehr, die explizit der KI-Forschung dienen, zuletzt massiv zusammengestrichen. 2024 gibt es hierfür nur noch 4,4 Millionen Euro statt den 16,4 Millionen aus dem Jahr 2023. 2025 sind aktuell sogar nur 2,5 Millionen Euro an Forschungsgeldern für diesen Bereich geplant.

Dies geht aus einer als Verschlusssache eingestuften Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Unionsfraktion hervor. Demnach wird auch der Etat für die Entwicklung von Big-Data-Anwendungen drastisch verkleinert. „Big Data“ ist ein Überbegriff für die Software-gestützte Analyse von riesigen Datenmengen mit dem Ziel der Mustererkennung. 2023 stehen für die wehrtechnische Forschung hier noch 6,5 Millionen Euro zur Verfügung, bis 2026 sinkt das Budget auf 1,6 Millionen Euro.

Die Kürzung der Forschungsmittel für KI ist kein gutes Signal für die Bundeswehr, die derzeit von Unterbesetzung und massiven Material-Engpässen geplagt ist. Gerade KI-Tools könnten nämlich dabei helfen, die Logistik zu optimieren und das Personal effizienter einzusetzen.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.

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