Politik

Durchbruch in Verhandlungen: Neue EU-Schuldenregeln sind beschlussreif

Die geplante Reform der EU-Schuldenregeln steht nach langem Streit kurz vor dem Abschluss. Die Bundesregierung konnte zwar Änderungen durchsetzen, doch Kritiker befürchten ein Aufweichen der Stabilitätskriterien.
10.02.2024 13:27
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Durchbruch in Verhandlungen: Neue EU-Schuldenregeln sind beschlussreif
Bundesfinanzminister Lindner und sein französischer Amtskollege Le Maire. Bei den Verhandlungen zu den EU-Schuldenregeln musste Lindner viele Kompromisse machen (Foto: dpa). Foto: Kay Nietfeld

In der EU gibt es eine Einigung auf neue Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden. Vertreter des Europaparlaments und der Regierungen der Mitgliedstaaten schlossen in der Nacht zum Samstag lange Verhandlungen erfolgreich ab. Die Einigung werde den Stabilitäts- und Wachstumspakt erheblich verbessern und wirksame und anwendbare Regeln für alle EU-Länder gewährleisten, erklärte der belgische Finanzminister Vincent Van Peteghem im Namen der belgischen EU-Ratspräsidentschaft.

Die Pläne sehen insbesondere vor, dass bei EU-Zielvorgaben für den Abbau zu hoher Defizite und Schulden die individuelle Lage von Ländern stärker berücksichtigt wird. Zugleich soll es für hoch verschuldete Länder klare Mindestanforderungen für die Rückführung von Schuldenstandsquoten geben. Die EU-Finanzminister hatten sich darauf bereits Ende des Jahres geeinigt - danach waren allerdings noch Verhandlungen mit dem Europaparlament notwendig.

Kriterien für Schulden und Defizit

Grundsätzlich gibt es in der EU die Regel, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Zudem gilt es, das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit - also die vor allem durch Kredite zu deckende Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Haushalts - unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu halten.

Das bisherige Regelwerk zur Überwachung und Durchsetzung dieser Vorgaben sahen Kritiker seit langem als zu kompliziert und zu streng an. Wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine wurde es zuletzt sogar ganz ausgesetzt. Vor allem 2020 lagen die Defizite in fast allen EU-Ländern deutlich über der Drei-Prozent-Marke.

Bundesregierung wollte Nachbesserungen

Grundlage der nun getroffenen Einigung waren Reformvorschläge der EU-Kommission, die allerdings vor allem von der Bundesregierung als zu weitreichende Aufweichung des sogenannten Stabilitätspakts kritisiert worden waren. Die Regierungen der EU-Staaten verständigten sich deswegen nach monatelangen Verhandlungen auf etliche Veränderungen.

Um die Vorhersehbarkeit und Fairness zu verbessern, sollen die Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten so zwei «Schutzvorkehrungen» genügen. Über eine zur Schuldentragfähigkeit soll sichergestellt werden, dass die öffentliche Schuldenquote um einen jährlichen Mindestsatz sinkt. Bei der Schutzvorkehrung zur sogenannten Defizitresilienz geht es darum, eine Sicherheitsmarge zu schaffen, die unter dem im Vertrag festgelegten Defizit-Referenzwert von drei Prozent liegt. Staaten sollen demnach die drei Prozent nicht ausreizen, um in Krisen größere Puffer zu haben.

Vorgesehen bleibt weiter, dass Staaten bei einem Verstoß gegen die Drei-Prozent-Defizitgrenze eine jährliche strukturelle Verbesserung von mindestens 0,5 Prozent des BIP erreichen sollen.

Gegner sehr strenger Regeln setzten allerdings durch, dass die für die Aufsicht zuständige EU-Kommission in einem Übergangszeitraum bei der Berechnung der Anpassungsanstrengungen den Anstieg der Zinszahlungen berücksichtigen kann. Wenn Mitgliedstaaten glaubhafte Reform- und Investitionspläne vorlegen, die Widerstandsfähigkeit und Wachstumspotenzial verbessern, soll auch der Zeitraum zur Schuldenverringerung verlängert werden können.

Kritiker befürchten, dass damit der Kommission die Mittel gegeben werde, den Stabilitätspakt aufzuweichen. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner steht in der Kritik. Lindner, so seine Kritiker, habe sich fast zwei Jahre als Hüter der Währungsstabilität in Brüssel aufgeführt und verkündet, dass eine Reform eigentlich unnötig sei, um sich schließlich den Wünschen vor allem Frankreichs nach weniger strengen Regeln zu beugen.

Abgeordnete loben Kompromiss

Die SPD-Europaabgeordneten Joachim Schuster und Gaby Bischoff lobten die Einigung als guten Kompromiss. «Im Vergleich zum alten Regelwerk ist die neue Verpflichtung zum Schuldenabbau stark reduziert. Die Abbauziele werden für hoch verschuldete Staaten zwar eine Belastung darstellen, aber sind realistischer und bieten etwas mehr Handlungsspielräume», kommentierte Schuster. Bischoff sprach von einem wichtigen «Beitrag zur Stärkung des sozialen Europas».

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber erklärte, das neue Regelwerk schaffe mehr Klarheit und setze die Wirtschafts- und Währungsunion auf ein solides Fundament. Mit der Einigung kehre man zu einer verantwortungsvollen EU-Haushaltspolitik zurück. Der alte Stabilitäts- und Wachstumspakt habe viele Schwächen und viele Schlupflöcher gehabt.

Damit die Reform in Kraft treten kann, muss die Einigung noch vom EU-Ministerrat und vom Plenum des Europaparlaments bestätigt werden. In der Regel ist dies eine Formsache.

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