Zwei Alarmsignale, die auch beim besten Willen nicht zu überhören sind, lassen aufhorchen: In einem aktuellen Interview mahnt der französische Rechnungshof-Präsident eine dringende Umkehr in der französischen Haushaltspolitik an. Die Finanzen Frankreichs befänden sich in einem besonders schlechten Zustand, so der Präsident des Rechnungshofes und ehemaliger EU-Kommissar, Pierre Moscovici.
Derzeit hält Frankreich nicht nur keines der wesentlichen Kriterien ein, die bei der Gründung des Euro festgelegt wurden und die die Stabilität der Gemeinschaftswährung garantieren sollten – es verfehlt sie meilenweit. So liegt die Staatsverschuldung Frankreichs bei 116 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), während die in den Stabilitätskriterien festgelegte Obergrenze bei 60 Prozent liegt. Auch bei der laufenden Verschuldung ist Frankreich von der Einhaltung der Kriterien deutlich entfernt: Statt der erlaubten drei Prozent, beträgt die laufende Verschuldung des Haushaltsjahres 4,7 Prozent.
Misstrauen gegenüber Paris
Den Versprechungen von Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire, den Schuldenberg des Landes nun abbauen zu wollen, misstraut der Rechnungshof: „Die Bemühungen um einen Schuldenabbau lassen auf sich warten“, sagte Moscovici und verwies dabei auf die seiner Meinung nach allzu optimistischen Wachstumsprognosen für die französische Wirtschaft. Im Gegensatz zum Finanzministerium gehe der Rechnungshof auch im nächsten Jahr von einem steigenden Staatsdefizit aus.
Ähnlich sah das die Ratingagentur Fitch, die im Frühjahr das Kreditrating Frankreichs um eine Stufe herabgesenkt hatte. Zwar genieße Frankreich auch nach der Herabstufung durch Fitch eine immer noch hohe Kreditwürdigkeit, doch die Herabstufung war ein deutliches Warnsignal. Zwar konnte eine Herabstufung durch die anderen Agenturen Moody´s und vor allem Standard and Poor (S&P) erst einmal vermieden werden - dem Vernehmen nach soll Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne sogar bei S&P vorstellig gewesen sein, um eine drohende Abstufung zu vermeiden - doch Frankreich steht seitdem wieder unter verschärfter Beobachtung durch die internationalen Ratingagenturen.
In einem aktuellen Bericht kommt auch das Institut der Wirtschaft (IW) zu beunruhigenden Prognosen. „Frankreich gibt Anlass zur Sorge“, so das IW. In einer Simulation der Entwicklung der Staatsschulden Frankreichs hat das IW drei Szenarien durchgeführt: ein Basisszenario, ein mittleres und ein pessimistisches Szenario. Alle drei Szenarien orientierten sich an den Wachstumsprognosen des Internationalen Währungsfonds. Die drei Szenarien unterscheiden sich aber hinsichtlich der Entwicklung der Haushaltssalden und der durchschnittlichen Zinssätze für die Schulden.
Schlechte Prognosen
Ergebnis: Selbst im optimistischsten Basisszenario würden bis zum Jahr 2030 der Schuldenberg Frankreichs auf über 129 Prozent des BIP wachsen, im pessimistischsten Fall gar auf mehr als 147 Prozent. Dies werfe aber die Gefahr auf, so das IW, dass die Finanzmärkte diesen Kurs nicht mehr als nachhaltig bewerten, die Frage der Schuldentragfähigkeit würde sich dann neu stellen.
Dies allerdings hat Auswirkungen auf die Stabilität der Eurozone insgesamt. Denn: „Es kommt jetzt auf Frankreich an“, sagt die Ökonomin des französischen Think Tanks IFRAP, Agnès Verdier-Molinié: „Alles wird von der Glaubwürdigkeit der Politik zur Sanierung der öffentlichen Finanzen abhängen – und davon hängt letztlich die Stabilität der Euro-Zone ab.“
Dies sieht ihr Kollege, der französische Ökonom Patrick Artus, sehr ähnlich: Die Gefahr einer sogenannten „Fragmentierung“ innerhalb der Eurozone sei real. Die Fragmentierung beschreibt die unterschiedlichen Höhen der Renditen auf Staatsanleihen der verschiedenen Mitgliedsländer. Diese unterschiedlichen Renditen können aber zur Folge haben, dass aber überschuldeter Länder wie beispielsweise Italien und vielleicht sogar auch Frankreich immer mehr Probleme haben werden, ihre Schuldenlast zu tragen. Der Ökonom Artus hatte ausgerechnet, dass Frankreich seine Ausgaben um 80 Milliarden Euro kürzen müsste, um eine vergleichbare Schuldenlast wie Deutschland zu haben. Doch sei es völlig unklar, wie dieses Ziel erreicht werden solle, denn, so Artus, die von Macron angestrebte Rentenreform brächte nur eine Ersparnis von zehn Milliarden Euro, darüber hinaus habe die gegenwärtige Regierung „keinerlei Idee“, wie sie das Sparziel erreichen wolle. Jedoch werfe ein immer größerer Spread, also ein Auseinandergehen der Renditen der Staatsanleihen der Mitgliedsländer, die Frage auf, ob dann noch von einem einheitlichen Währungsraum gesprochen werden könne.
Mit der Verschlechterung der Situation ist mit Frankreich die zweitgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone in eine bedenkliche Schieflage geraten. Davor hatten sich schon für die drittgrößte Euro-Wirtschaft – Italien – die Aussichten dramatisch verdüstert. Inzwischen geht die Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im laufenden Jahr von einem Defizit von 5,3 Prozent aus, dann müsste Italien 75 Milliarden allein für Zinsen bezahlen. Und dass bei einem Schuldenstand von mehr als 140 Prozent des BIP.
Heißer Herbst
Mit Sorge sehen die Regierung in Rom wie auch die Europäische Zentralbank in Frankfurt dem Herbst entgegen: Am 17. November veröffentlicht die Ratingagentur Moody´s ein neues Italienrating. Sollte eine Herabstufung erfolgen, würden Anleger das Land bestrafen. Am 21. November dann will die EU-Kommission ihren Bericht über die Haushaltspläne der jeweiligen Länder veröffentlichen. Sollte auch dieser Bericht negativ sein, dürfte das den Druck weiter erhöhen.
Der frühere Chefvolkswirt der EZB, der Ökonom Jürgen Stark, sieht denn auch in der Überschuldung einzelner Länder die größte Gefahr für die Gemeinschaftswährung. In einem Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten hatte er daraufhin gewiesen, dass die Zentralbanken der Euro-Mitgliedsländer rund 25 bis 30 Prozent der Staatsschulden in ihren Büchern hielten. Sollten aber die Staatspapiere aufgrund steigender Zinsen und geringeren Bewertungen Verluste ausweisen, würde dies das Eigenkapital einer Zentralbank angreifen. Für die dann notwendige Rekapitalisierung der Zentralbank durch den Staat müsste dann am Ende der Bürger aufkommen. Und dann, so Ökonom Stark im DWN-Interview, „merkt auch der Letzte, dass da etwas richtig falsch gelaufen ist“.