Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) rechnet in diesem Jahr mit einer erneut schrumpfenden Wirtschaft. Nach der Befragung von mehr als 27.000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen erwartet der Verband ein Minus von 0,5 Prozent. 2023 ging das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt bereits um 0,3 Prozent zurück. "Die schlechte Stimmung der Unternehmen verfestigt sich", teilte die DIHK am Donnerstag in Berlin mit.
Größte Wirtschaftskrise seit 20 Jahren
Es wäre erst das zweite Mal in der Nachkriegsgeschichte, dass die deutsche Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Jahren schrumpfen würde. Das letzte und einzige Mal war dies 2002 und 2003 der Fall. Damals reagierte die rot-grüne Regierung mit der "Agenda 2010" - weitreichenden Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen.
Der Verband drängt die Bundesregierung angesichts schlechter Wirtschaftsprognosen zum Handeln. "Die Regierung hat keine bessere Alternative, als voll loszulegen", mahnt DIHK-Geschäftsführer Martin Wansleben. "Die Krise ist da." Es müsse alles getan werden, was zu einem größeren Angebot der Unternehmen führe, ohne gleichzeitig die Inflation anzuheizen. Zumal die Konjunktur durch die starken Zinserhöhungen zur Bekämpfung der hohen Inflation ohnehin gebremst würde.
Als Beispiel nennt er einen deutlichen Abbau der Bürokratie. "Das deutsche Lieferkettengesetz muss jetzt ausgesetzt werden", sagt Wansleben. DasLieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), wie es offiziell heißt, gilt für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern. Sie müssen unter anderem analysieren, wie groß das Risiko ist, dass sie von Menschenrechtsverstößen wie Zwangsarbeit profitieren, ein Risikomanagement sowie einen Beschwerdemechanismus aufsetzen und öffentlich darüber berichten. Bei Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich oder bei unmittelbaren Zulieferern müssen die Unternehmen laut Gesetz unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen ergreifen
Schwaches Deutschland-Geschäft, Lichtblicke nur im Ausland
Nicht alles ist schlecht. "Das internationale Geschäft läuft weniger schlecht als befürchtet", erklärt der DIHK-Chef. Teilweise seien sogar zarte Lichtblicke zu beobachten. Das Problem liege in Deutschland. Fast drei von fünf Unternehmen (57 Prozent) sähen mittlerweile in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ein Geschäftsrisiko. "Das ist ein besorgniserregender Höchstwert in unseren Befragungen." Im Frühsommer 2023 waren es nur 43 Prozent.
Die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP will laut Finanzminister Christian Lindner bis zum Frühjahr ein Konzept zur Stärkung des heimischen Wirtschaftsstandorts vorlegen. Dies solle vermutlich synchronisiert werden mit den Gesprächen über den Haushaltsentwurf für 2025, der im Sommer präsentiert werden soll. Sowohl FDP-Chef Lindner als auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatten Deutschland als Standort zuletzt als nicht mehr wettbewerbsfähig bezeichnet.
"Wenn wir nichts tun, wird unser Land zurückfallen. Dann wird Deutschland ärmer“, so Lindner. Die Grünen plädieren für ein über Schulden finanziertes Sondervermögen für Investitionen, während die FDP auf Steuererleichterungen und Bürokratieabbau setzt.
In der Umfrage der DIHK verwiesen besonders viele Betriebe auf die allgegenwärtige Bürokratie als Problemzone hin. Als Geschäftsrisiken wurden zudem die hohen Energiepreise, der Fachkräftemangel, die schwache Inlandsnachfrage sowie die hohen Arbeitskosten genannt. Dies geht immer öfter zulasten von Investitionen. 33 Prozent der Betriebe gaben an, ihre Investitionen in Deutschland verringern zu wollen. Nur 24 Prozent planen eine Ausweitung.
Die deutschen Unternehmen blicken laut DIHK-Umfrage nach wie vor pessimistisch in die Zukunft. Mit 35 Prozent geht mehr als ein Drittel der Betriebe von einer Verschlechterung in den kommenden zwölf Monaten aus. 14 Prozent rechnen mit Besserung. Die aktuelle Geschäftslage bezeichnen allerdings 29 Prozent der Betriebe als gut und 22 Prozent als schlecht. Insgesamt werde der Negativtrend aber anhalten, so die DIHK.
Wirtschaftsverbände im Alarmmodus: Standort ist in Gefahr
Zuletzt häufen sich die Warnrufe der deutschen Wirtschaftsverbände. So haben etwa die ostdeutschen Industrie- und Handelskammen einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfasst. Die regionale Wirtschaft stecke "in einem sich zuspitzenden Dauerkrisenmodus" und Ostdeutschland drohe zu einem ökonomischen "Transitland" zu werden. Zudem hat jüngst die Batterie-Industrie die Bundesregierung scharf kritisiert; Auslöser war die Streichung von Fördergeldern.
Neben Großbritannien ist Deutschland das einzige Industrieland, das sich in einer Rezession befindet. Die DIHK prognostiziert für das Jahr 2024 einen erneuten Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent und ist damit pessimistischer als die Bundesregierung, die ein Mini-Wachstum von 0,2 Prozent erwartet. Die Lage in der Industrie ist prekär und die Auftragseingänge sind zuletzt massiv eingebrochen. Der Output der Chemiebranche befindet sich auf dem Niveau von 1995. Die Stimmung im Mittelstand ist schlecht und der Fachkräftemangel bereitet Sorgen. Unternehmen und Investoren kehren dem Land in Scharen den Rücken. 2022 kam es zu einem Rekordkapitalabfluss (negative Netto-Direktinvestitionen) von 125 Milliarden Euro
Exemplarisch für Deutschlands wirtschaftlichen Niedergang und die schleichende Deindustrialisierung ist die Tatsache, dass das Bundesland Bayern seit 2019 mehr importiert, als es exportiert. Bayern galt lange als Aushängeschild der Exportindustrie und die jahrzehntelang starke Handelsbilanz der Bundesrepublik, die mittlerweile nur noch minimal positiv ist. Der Standort Deutschland und sein Wirtschaftsmodell sind akut gefährdet.