Abgelegene Orte, trostlose Gegenden, menschenleere Weiten – das sind auch in Amerika die besten Voraussetzungen zum Bau eines geeigneten Weltraum-Bahnhofs. Im Flecken Truth or Consequences in New Mexiko zum Beispiel. Er liegt nicht weit weg von der Trinity Site, wo auf der White Sands Missile Range am 16. Juli 1945 die erste US-Atombombe gezündet wurde – der Film „Oppenheimer“ sei hierzu dringend empfohlen.
Das Städtchen, viel mehr ist es wirklich nicht, war bisher bestenfalls wegen seines kleinen Rio-Grande-Stausees bekannt – dem Elephant Butte. Bis Richard Branson 2011 entschied, genau dort seinen Spaceport America zu bauen – den ersten kommerziellen Weltraum-Bahnhof der Welt. Branson hatte schon immer einen guten Riecher, nicht nur im Musikgeschäft, sondern auch mit seiner Fluggesellschaft Virgin Atlantic Airways und nun in der Raumfahrt. Seit 2015 sind am Spaceport Besuchergruppen zugelassen, seit 2019 ist er offiziell in Betrieb, wenn tatsächlich Starts ins Orbit anstehen. Das ist nicht immer der Fall – aber immer öfter.
Microlauncher bringen Satelliten in den Orbit
Vor allem Satelliten werden von hier aus mit Microlaunchern in die Höhe katapultiert – als Dienstleistung für Payloads. Ein ganz einträgliches Geschäft für Richard Branson und sein börsennotiertes Unternehmen Virgin Galactic – und inzwischen auch weitere Anbieter. Denn weil das Geschäft erst noch vor dem Boom steht, versuchen auch andere Entrepreneure teilzuhaben an der Faszination „Out of this world“-Experience. Nun auch in Deutschland!
Auch nicht mehr allein nur in Amerika. Norwegen hat eine Station in Andøya. Portugal will von den Azoren abheben, Spanien von den Kanaren. Schweden hat einen Startplatz in Kiruna. Seit dem Brexit will vor allem Großbritannien kräftig mitverdienen und werkelt an gleich sieben Projekten – fünf davon in Schottland. Die Unternehmensberater von Roland Berger prognostizieren, dass das Geschäft bis 2040 von 300 Milliarden auf 1,2 Billionen Euro anschwellen wird.
Shetland – weit ab vom Land, vom Meer umgeben
Anders ausgedrückt: Derzeit sind laut der Europäischen Weltraumagentur (ESA) gut 7.000 Satelliten im Orbit unterwegs, bis zum Ende des Jahrzehnts sollen 27.000 in ihre Umlaufbahn gebracht werden. Frank und Debbie Strang bieten jetzt in Unst auf den Shetland-Inseln eine perfekte Stelle für Space-Launches. Seit Ende 2023 haben sie grünes Licht der britischen Civil Aviation Authority für Lift-offs von der ehemaligen Militärbasis Sara Ford auf einem kleinen Hügel von Unst erhalten. Sie sind damit die ersten, die Vertikal-Raketen wie in Kourou in Französisch-Guayana oder in Cape Canaveral/Florida ins All befördern dürfen. Ihr Vorteil ist der Standort, weit ab vom Festland, ringsum nur Wasser, perfekt geeignet. Ausgerechnet ein deutsches Unternehmen soll nun als erstes den kleinen Spaceport der Strangs nutzen: die Rocket Factory aus Augsburg, eine ehemalige Tochter des Raumfahrt-Konzerns OHB mit Sitz in Bremen – wie die Branson-Firma börsennotiert, nur noch nicht so hoch notiert auf den Zetteln der Börsianer weltweit.
Im Sommer 2024 soll es losgehen, bis dahin wird noch an der geeigneten Rakete getüftelt, heißt es in Augsburg. Ein erster geplanter Start Ende 2023 wurde deshalb noch verschoben. Das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum fördert die ersten Starts der Rocket Factory mit elf Millionen Euro – vier weitere Millionen Euro kommen von den Briten.
Der private Spaceport selbst wird nicht staatlich gefördert, sondern wurde mit privaten Zuschüssen vor allem des dänischen Textilunternehmers und Milliardärs Anders Povlsen (Vero Moda, Jack & Jones) und weiterer gut 140 Investoren hochgezogen. Ohne deren Begeisterung für das Projekt wäre es nicht so weit vorangeschritten, sagen die Strangs, die ursprünglich Touristen auf ihr Eiland lotsen wollten, bevor sie unternehmerisch umgeschwenkt sind.
Ziel für Unst: Heathrow der Space-Aviation werden
In zehn Jahren soll Unst quasi „das Heathrow für Space-Aviation“ sein, so die Vision der beiden mutigen Firmengründer, ein Drehkreuz der europäischen Raumfahrt. Was benötigt wird, kann mit dem Schiff in den hohen Norden Schottlands transportiert werden.
Hilfreich ist, dass Satelliten-Launcher ihre Fracht nicht mehr von West nach Ost mit Rotationsgeschwindigkeit und der Erddrehung am Äquator ins All befördern müssen, sondern mit der sogenannten Polardrehung in viel kleineren Raketen (als die Ariane der ESA) starten und die Satelliten den Planeten dann besser von Nord nach Süd scannen können.
In Deutschland gibt es neben der Rocket Factory noch zwei weitere Firmen, die auf dem Sprung ins All sind: Isar Aerospace in München und HyImpulse aus Heilbronn. Wer das Rennen um die Pole Position macht, ist noch offen. Isar Aerospace ist eng mit der TU München verbandelt und hat mittlerweile schon gut 300 Mitarbeiter an Bord. Sie könnten einen Vorsprung bei der geplanten Industrialisierung haben, heißt es, also für eine mögliche Serienproduktion. Sie testen in Norwegen. HyImpulse wiederum ist eine Ausgründung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und will im Frühjahr 2024 eine Höhenforschungs-Rakete von Australien aus zünden, um suborbitale Experimente in der Schwerelosigkeit und der Erdatmosphäre durchzuführen.
Die auf Sparsamkeit bedachte Rocket Factory ist mit den Möglichkeiten in Schottland jetzt freilich ein strategischer Clou geglückt – abgeflogen wird freilich später. Bis dahin kann es noch so einige Überraschungen geben – das wissen alle drei konkurrierenden Unternehmen.
Hierzulande konkurrieren drei Raketenschmieden um Weltraum-Bahnhöfe
Jörn Spurmann, einer der beiden Gründer von Rocket Factory, sagt: „Wir haben im Juli 2022 erstmals das Triebwerk in der Flugversion erfolgreich getestet, und im Mai 2023 war der Test der gesamten zweiten Raketenstufe erfolgreich.“ Die Rakete fliegt – das rüttelt schon einmal ordentlich an den Grenzen der Physik. Die Triebwerke sind in etwa so groß wie ein herkömmlicher Auto-Motor freilich mit 500.000 PS. Der Schub erfordert extremen Druck, viel Treibstoff und extreme Hitze, da darf nichts schief gehen.
Seitdem das Ariane 5-Programm der ESA abgelaufen ist (und die neue Ariane 6 noch auf sich warten lässt), haben Elon Musk und seine Firma SpaceX geradezu ein Monopol darauf, Telekommunikations- oder Wetter-Satelliten in die Umlaufbahn der Erde zu schicken. Spurmann will eine kostengünstige Alternative anbieten, das ist die Geschäftsidee von RFA. Er sagt, seine Raketen mit 30 Metern Länge und zwei Metern Durchmesser sollen wie Taxis in den Orbit fungieren – Musks Falcons vergleicht er deshalb auch gerne mit Bussen, die manchmal nach Fahrplan gleich mehrere Satelliten absetzen und verteilen.
Im Zentrum für Luft- und Raumfahrt wartet man derweil ganz geduldig und entspannt ab. Verschiebungen von Weltraumstarts gibt es immer mal wieder, das wissen die alten Hasen und Experten selbstverständlich.