Die EU hat ehrgeizige Ziele: Bis 2030 sollen mindestens 80-Prozent der EU-Bürger die europäische digitale Identität (eID) nutzen, sei es in Form einer digitalen Brieftasche oder eines anderen elektronischen Dokuments. Dies soll den Zugang zu zahlreichen Dienstleistungen revolutionieren. Doch birgt diese Neuerung auch die Gefahr, dass wir in Richtung eines gläsernen Bürgers nach chinesischem Vorbild steuern? Fragen über Datenschutz, potenzielle Überwachung und individuelle Freiheiten drängen sich auf.
Nadia Calviño, die amtierende erste stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für Wirtschaft und digitalen Wandel der EU, betont die Vorteile einer digitalen Identität: „Mit der Annahme der Verordnung über die europäische digitale Identität unternehmen wir einen grundlegenden Schritt, der es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen wird, über eine einzigartige und sichere europäische digitale Identität zu verfügen. Dies ist ein wesentlicher Fortschritt für die Europäische Union in ihrem Bestreben, im digitalen Bereich eine globale Referenz zu werden und gleichzeitig unsere demokratischen Rechte und Werte zu schützen.“
Digitale Identität erklärt: Was bedeutet das für Sie & welche Einsatzgebiete gibt es?
Digitale Identitäten sind so etwas wie Online-Ausweise, die es Bürgern ermöglichen, ihre Identität nachzuweisen und elektronische Dokumente auszutauschen oder zu verifizieren. Das ist sehr nützlich für Online-Geschäfte und -Transaktionen. Darüber hinaus können persönliche Nachweise wie Führerscheine, Diplome oder Bankkonten mit der eID verknüpft werden.
Je mehr Leute und Firmen digitale Identitäten nutzen, desto weiter verbreiten sie sich und desto vielfältiger werden ihre Anwendungsmöglichkeiten: Von Identitätsnachweisen über E-Government, E-Commerce bis hin zu E-Health und E-Education. Beispiele reichen von der simplen Arztterminvereinbarung über den Zugriff auf Gesundheitsdaten bis hin zu behördlichen Angelegenheiten, Bildungsinformationen, Online-Banking, Reisebuchungen und dem Streaming von Inhalten.
Kontrollinstrument oder Komfortgewinn? Die Debatte um die eID
Anders als in einigen Teilen der Welt, wo es umfassende Überwachung gibt – wie zum Beispiel in China – ist die eID dazu da, um Identitätsprüfungen durchzuführen und den Zugang zu bestimmten online-Dienste der Regierung zu ermöglichen. Die eID soll nicht kontrollieren, wie sich Menschen verhalten, oder sie für ihr Verhalten belohnen oder bestrafen. Es ist laut der EU ein Werkzeug, das den Alltag einfacher machen soll und die Nutzung der eID ist freiwillig.
Gleichwohl äußern Datenschützer Bedenken. Sie befürchten, dass die eID vielleicht doch irgendwann Pflicht wird für bestimmte wichtige Vorgänge, wie teure Käufe und Immobiliengeschäfte, oder bei der Nutzung bestimmter staatlicher Dienste sowie beim Transfer großer Geldsummen. Wer die eID nicht benutzen will oder kann – etwa, weil er keinen Computer oder kein Smartphone hat – könnte dann von diesen wichtigen Teilen des Lebens ausgeschlossen sein. Zudem besteht das Risiko, dass Hacker in das eID-System eindringen könnten, um persönliche Informationen und Daten zu stehlen.
Frank Rieger, renommierter Technikexperte und Sprecher des Chaos Computer Clubs, kritisiert die eID als „nicht konform mit Datenschutzbestimmungen“ und warnt vor dem Risiko einer umfassenden Überwachung. Auf der anderen Seite betont die EU, dass strenge EU-Datenschutzgesetze und hohe Sicherheitsstandards einen angemessenen Schutz der persönlichen Daten gewährleisten sollen - obgleich die spezifischen Sicherheitsanforderungen bislang noch nicht endgültig definiert wurden.
Datenschutz bei der eID: Sicherheitsgarantie oder leeres Versprechen?
Diskutiert werden Maßnahmen wie Nutzungseinschränkungen der eID sowie detaillierte Regelungen zur Datenspeicherungsdauer. Verbrauchern soll fernerhin das Recht eingeräumt werden, ihre Daten eigenständig löschen zu können. Der genaue Ablauf dieses Prozesses und die Entscheidungsfindung hierüber sind allerdings auch noch offen. Experten halten dies für bedenklich und mahnen, die Sicherheitsbedenken zu priorisieren.
Diese offenen Punkte spiegeln die Ambivalenz in der Debatte um die eID wider. Den Bedenken zum Trotz birgt die eID durchaus Potenzial, insbesondere im europäischen Kontext. So könnten Menschen ohne festen Wohnsitz oder solche, die in mehreren EU-Staaten leben und arbeiten, von einem vereinfachten Identitätsnachweis profitieren. Für Wirtschaftsunternehmen könnte sich die Bürokratie verringern und der Handel über die Grenzen hinweg erleichtert werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die EU die Datenschutzbedenken aus dem Weg räumen kann. Zudem ist es von essenzieller Bedeutung, adäquate Unterstützungsmaßnahmen für Bürger bereitzustellen, sei es durch den Zugang zu notwendigen Technologien oder durch Bildungsangebote im Bereich digitaler Kompetenzen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich die Digitalisierungslücken weiter vertiefen und die eID nicht die erhoffte Akzeptanz erfährt.
Verbraucher, die die eID bereits nutzen oder nutzen wollen, wird geraten, die Datenschutzbestimmungen genau zu überprüfen. Die eID können alle EU-Bürger und Angehörige des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) gegen eine Gebühr von 37,- Euro beantragen, wenn sie mindestens 16 Jahre alt sind.