Wer sich die DM-Tech Internetseite anschaut, der erkennt schnell, wohin die beliebte Karlsruher Drogeriekette hinsteuert. Über 70 freie Stellen werden aktuell dort beworben, hauptsächlich aus dem Programmierumfeld. Der Drogeriemarkt ist ganz vorne mit dabei, wenn es um die Implementierung von Künstlicher Intelligenz (KI) in die Unternehmensabläufe geht und zeigt damit, wie KI im Einzelhandel eingesetzt werden kann. Erst im Sommer vergangenen Jahres schufen sie ihr eigenes dmChatGTP und stellten es nun nach erfolgreicher Testphase schrittweise allen Mitarbeitern zur Verfügung. Das Programm läuft ausschließlich auf der dm-Infrastruktur, damit möchte das Unternehmen hohe Sicherheitsstandards gewährleisten und Risiken in Bezug auf Datenschutz-Konflikte sowie fehlende vertragliche Rahmenbedingungen minimieren.
Was bringt Künstliche Intelligenz für den Mittelstand und den Einzelhandel?
Das firmeninterne ChatGTP soll künftig bei der Bearbeitung von Texten, Erstellung von Social Media-Beiträgen oder beim Ausbessern von Programmfehlern helfen. Es bleibt ein Hilfsmittel, welches die tägliche Arbeit erleichtern soll. Das Prinzip „Human in the Loop“ wird beibehalten, was bedeutet, dass der Output und die Veröffentlichungen davon immer durch menschliche Entscheidungen getroffen wird. DM-Drogeriemarkt führt auf diesem Weg seine Belegschaft an die neue Technik heran. 2022 verfügten insgesamt erst 3,5 Prozent der deutschen Beschäftigten über KI-Kompetenzen oder setzten sich beruflich mit KI auseinander. Das sollte sich in der kommenden Zeit schnell ändern, denn wer die Technik beherrscht, ist klar im Wettbewerbsvorteil.
KI im Einzelhandel bietet sich an. Das Maschinelle Lernen (ML) ist die neue Schlüsseltechnologie und besonders im Onlinehandel, wo per se riesige Datenmengen generiert werden, liegen die Stärken dieser neuen Technologie. Der Handel generell ist geprägt von datengetriebenen Entscheidungen. Maschinelles Lernen ermöglicht es, Computer so zu programmieren, dass bestimmte Vorgänge anhand von Beispieldaten und Erfahrungswerten optimiert werden können. Die Einsatzbereiche reichen von automatischer Sortimentsüberarbeitung und Trenderkennung von Kundenbedürfnissen bis hin zur Kamerasteuerung.
Bisher waren es Menschen, die nach traditionellen Methoden die Preisoptimierung durch die Analyse von Kunden- und Marktdaten vornahmen. Mit Hilfe einfacher mathematischer Modelle wurde errechnet, wie sich Preisänderungen auf Kaufbereitschaft und Gewinne auswirken. Jedoch müssen diese Daten immer wieder durch die Mitarbeiter den aktuellen Marktdaten angepasst werden. Das kostet Zeit und Geld. Hier kommen die Fähigkeiten des ML zum Einsatz. Die Algorithmen können größte Datenmengen analysieren und auch mehr Variablen berechnen. Sie benötigen nur eine kurze Trainingszeit, um vollautomatisch die besten Preise zu berechnen. Damit markiert die Technologie einen Meilenstein im Bereich der Preisoptimierung.
Stichwort „Conversational Commerce“
Potentiale sehen KI-Experten auch für Mittelständler, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der Eingangslogistik bis zum Kundendienst. KI kann bei der Lagerhaltung, Sortierung oder bei der Wartung vorausschauende Dienste leisten. Intelligente Assistenzsysteme, Robotik, Sprach-/Textverarbeitung, Dokumentenanalyse oder Zeitreihen-/Clusteranalysen sind ihre Einsatzfelder. In jedem einzelnen Wertschöpfungsschritt können KI-basierte Lösungen unterstützen. So auch im Transportwesen.
Aktuell hat in Deutschland über die Hälfte der Lastwagen auf den Straßen kein Frachtgut geladen. Das ist ineffizient, kostenintensiv und schlecht für die Umwelt. Werden Kundentouren kurzfristig storniert, bringt es das ganze Transportnetzwerk durcheinander. Logistik und Transportunternehmen müssen oft Ladungen und Kapazitäten im Minutentakt neu anpassen. Ein KI-basiertes Programm kann helfen, Transport, Routen, Verkehr, Ladungen und Stornierungen von tausenden von LKW in Echtzeit zu erfassen und die Ladung und Routen seiner LKWs zu optimieren.
Darüber hinaus kann der KI-Routenplaner Trends im Kaufverhalten der Kundschaft vorhersagen, so dass sich das Unternehmen viel präziser und schneller auf Kundenwünsche einstellen kann. Die Kunden wiederum können in Echtzeit sehen, wo genau ihre Fracht gerade ist. Amazon, Ebay, Kaufland oder andere Online-Marktplätze setzen die Technologie bereits erfolgreich ein. Besonders hervorzuheben ist dabei Amazon, der in jüngster Zeit durch einen sehr schnellen Lieferservice auffällt. Ziel des Unternehmens ist es, Marktführer bei der Technologieentwicklung zu sein.
Die Sprachassistenz Alexa ist seit Jahren eines der wichtigsten KI-Vorzeigeprodukte von Amazon. In Zukunft soll noch eine generative Suchmaske das bereits breit aufgestellte KI-Portfolio erweitern. Unter dem Stichwort „Conversational Commerce“ sollen potenzielle Kunden künftig mit einem Chatbot eine Art Verkaufsgespräch führen und so zum passenden Ergebnis gelotst werden. KI schafft wie kein anderes Onlinewerkzeug, den Onlinehandel so zu personalisieren, dass die Ergebnisse passgenau und nicht zufällig sind. Für die Händler übernimmt die Software dabei auch noch weitestgehend die Arbeit. Anhand des Titels, der Kategorie und den Artikelmerkmalen ist die intelligente Software in der Lage, einen passenden Text zu erstellen. So können Händler entlastet werden, die sich bisher schwer mit der Produktbeschreibung getan haben.
Auch der Versandhändler Otto beschäftigt einen ganzen Pool an Mitarbeitern mit der Entwicklung von KI-Produkten. In der Logistik kommt zum Beispiel AI Forecasting zum Einsatz. Das Programm kann berechnen, welche Artikel wann im Lager eintreffen, mit welchem Absatz zu welchem Zeitpunkt zu rechnen ist und wie viel Artikel retourniert werden. So werden Lagerlogistik optimiert und die Beschaffungsmengen optimal angepasst. Denn das ist die Stärke von KI. Sie kann aufgrund der gesammelten Daten einer bestimmten Zeitspanne sehr genaue Prognosen in die Zukunft treffen.
Doch nicht nur große Unternehmen investieren in KI. Viele kleine Anbieter haben bereits Lösungen für Händler und Mittelständler entwickelt, die nur darauf warten, implementiert zu werden. So zum Beispiel das Unternehmen Relex Solutions GmbH aus Wiesbaden. Es bietet moderne KI-basierte Planungswerkzeuge für Werbeaktionen und Preisoptimierung an. Händler können so ihre Kampagnen besser organisieren und gewinnbringende Preisstrategien entwickeln. Es tut sich bereits einiges in der KI-Welt. Auf der Eurocis-Messe in Düsseldorf im Februar dieses Jahres konnte man sich davon überzeugen, wie weit die digitalen Lösungen für den Handel bereits sind. Die besten unter ihnen wurden mit dem „reta Award“ 2024 für innovative Technologie-Lösungen im Handel ausgezeichnet. So zum Beispiel:
Top Supplier Colruyt
Der Colruyt Lowest Prices Laden in Halle hat ein Kassensystem eingeführt, das KI nutzt, um Produkte automatisch zu scannen, während die Mitarbeiter sie von einem Einkaufswagen in einen anderen legen. Das System soll die Effizienz um bis zu einem Fünftel steigern und bietet den Mitarbeitern ein freihändiges Arbeiten.
Top Supplier Hanshow (Leroy Merlin)
Leroy Merlin möchte seiner Kundschaft die Navigation und Produktsuche in seinen Baumärkten erleichtern. Dazu nutzt er die Installation hochmoderner elektronischer Etiketten, die aktuelle Preisinformationen implementieren, mit der E-Commerce-Website verknüpft sind sowie Kundenbewertungen für eine bessere Einkaufsunterstützung bieten.
Würth IT
Die Entwicklung von Pico, ein Sprach- und Chatassistenten, kann wichtige Vertriebsprozesse beschleunigen. Er verarbeitet Benutzeranfragen in Echtzeit und stellt darauf basierend Informationen und Dokumente per Sprache oder Chat zur Verfügung. Das Programm ist in der Lage, einfache wiederholende Tätigkeiten für Mitarbeitende im Außen- und Innendienst zu übernehmen.
Rewe Gruppe
Entwickelt wurde eine App für die Mitarbeiter in den Märkten, die eine direkte Kommunikation zwischen den Kaufleuten sowie dem Marktmanager, den Teams und der Zentrale in ganz Deutschland ermöglicht. Darüber hinaus stellt die App Zugang zu News und Informationen, eine Lernplattform und digitale Schichtpläne bereit.
In diesem Jahr stand der Einsatz von KI und Machine Learning, digitale Lösungen für ein besseres Einkaufserlebnis und Personalentlastung sowie Datensicherheit und -nutzung im Fokus der Messe. Doch noch in weiten Teilen der Händlerlandschaft fehlt eine Digitalisierungsstrategie in den Unternehmen. In vielen Fällen ist es der fehlenden Orientierung oder der mangelnden Kompetenz seitens der Unternehmensleitung geschuldet. Das führt zu einem unzureichenden Bewusstsein über den Nutzen von KI-Anwendungen im eigenen Unternehmen und kann dazu führen, den Anschluss im in- und ausländischen Wettbewerb zu verlieren. Dabei zeichnen sich KMUs besonders durch Produkt- und Dienstleistungsorientierung aus, wo KI einen hohen Stellenwert einnimmt.
Vielleicht können die kleineren Unternehmen von den großen lernen. Denn dort, wo KI bereits angewendet wird, überwiegen aktuell die positiven Erfahrungen und der wirtschaftliche Nutzen. Helfen könnten die aktuell 42 öffentlichen Programme zur Förderung von KI in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Auch flankierende Fördermaßnahmen, wie sie die Mittelstand 4.0 Kompetenzzentren bieten. Diese Art der Förderung geht über konkret beantragte Förderprojekte hinaus. Sie hilft fehlende Kompetenzen im Unternehmen zu identifiziert, kurzfristig durch externe Fachleute zu überbrücken und anschließend durch langfristige Maßnahmen wie Neueinstellung oder Weiterbildung zielgerichtet zu überwinden.