Anfang Februar sah es vorübergehend noch so aus, als könnte Gunter Erfurt, der Chef des Solarmodulherstellers Meyer Burger, mit seinem laut vernehmlichen Ruf nach Subventionen für seine Branche Erfolg haben und den Standort im sächsischen Freiberg retten. Die „Neue Zürcher Zeitung" aus der Schweiz, wo Erfurts Firma noch ein weiteres Werk in Thun im Berner Oberland unterhält, wähnte sogar einen bevorstehenden „Triumph“, wie es noch in einer Überschrift vom 17. Februar hieß. Doch weit gefehlt. Zum zweiten Mal scheint die einstige Zukunftsbranche in Ostdeutschland dem Untergang geweiht - schon um die Jahrtausendwende war die Region Halle in Sachsen-Anhalt irrtümlich als das künftige Silicon-Valley Deutschlands gefeiert worden.
Wer den Resilienz-Bonus abgepfiffen hat
Doch all das Antichambrieren bei Politikern, in Ministerien und vor allem auch Talkshows wie bei Markus Lanz hat dem 50-jährigen Manager, der in der DDR in Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) geboren ist und im nahen Freiberg studiert hat, nichts genützt. Während der Deutsche Bundestag zwischenzeitlich nicht abgeneigt schien, die Schatullen zu öffnen, hat Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP den diskutierten Resilienz-Bonus rigoros abgepfiffen, mit dem die unter Druck stehenden Hersteller in Europa geschützt werden sollten. Zu teuer, schlicht unfinanzierbar!
Jetzt hat Gunter Erfurt, promovierter Wissenschaftler und Festkörper-Physiker, am Standort der altehrwürdigen Freiberger Bergakademie den Stecker gezogen. 500 Mitarbeiter verlieren dort ihren Job - wenn sie nicht teilweise in der Schweiz bei Meyer Burger Anstellung finden. Der Standort dort nämlich bleibt erhalten, weil er laut Erfurt für die wissenschaftliche Forschung im Unternehmen unverzichtbar ist.
Wirtschaftsministerium bedrückt - und geknickt
Das Bundeswirtschaftsministerium hat sich in einer ersten Reaktion über die Werksschließung in Sachsen enttäuscht gezeigt. „Die Nachricht aus Freiberg ist bedrückend“, erklärte der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner von den Grünen. Er betonte, das Ministerium sei sich der ernsten Lage der deutschen Solarunternehmen sehr bewusst. Doch nun bleibe nicht viel mehr übrig, als vielleicht in Brüssel noch Fördertöpfe für die (zur langfristig angestrebten Dekarbonisierung unerlässliche) Photovoltaik anzuzapfen.
Diese vage Hoffnung wird das Aus in Freiberg nicht mehr verhindern. Welche verschiedenen Instrumente und Stellschrauben Kellner im dortigen Beihilferecht bedienen und lockern will, um Produktionskapazitäten in Deutschland und Europa zu stärken, ließ er freilich offen. Dazu muss Kellner vermutlich erst Expertise im Haus einholen.
Was soll man auch sagen, wenn es im Kern gar nicht mehr allein um die Modulherstellung für die gebeutelte PV-Branche geht, sondern ganz grundsätzlich um die Frage, ob Deutschland den Subventionswettlauf mit der Volksrepublik China aufnehmen sollte bzw. diesen überhaupt gewinnen kann. Die mächtigen Container-Schiffe des Elektro-Fahrzeug-Herstellers BYD etwa laufen an der Nordseeküste ein, um den hiesigen Markt mit (gleichfalls herunter subventionierten) Autos zu fluten. Auch die internationale Windrad-Produktion kommt mittlerweile zu gut zwei Dritteln aus dem Reich der Mitte. Wie Alibaba, Temu und Shein im Konsumbereich obendrein die ganze Welt mit Massenartikeln überschwemmen. Auch das ist in der Gesamtbilanz noch gar nicht berücksichtigt.
Die Firma Meyer Burger hat schon länger unter der Konkurrenz durch billige Module aus China gelitten. Auch dort ist die Technik gepäppelt worden mit Staatsgeld, warnte Erfurt und wurde nicht müde, diese Ungerechtigkeit öffentlich anzuprangern. Nun wird es wohl auf einen letzten Showdown zwischen den USA und China hinauslaufen. Schon im vergangenen Jahr hatte Meyer Burger eine Zellproduktion aus Thalheim in Sachsen dichtgemacht und mit Hilfe von Joe Bidens IRA (Inflation Reduction Act) in die USA verlagert. Gut möglich, dass nun auch die Modulfabrikation von Meyer Burger dorthin folgt.
Hiobsbotschaften vom Subventionswettlauf
Ganz sicher ein herber Verlust für den Wirtschaftsstandort Deutschland bedeutet dies. Eine weitere Hiobsbotschaft für Robert Habeck. Doch womöglich muss Deutschland erkennen, dass es nicht jede Industrie im Lande halten kann. Das ist auch für andere Bereiche der Wirtschaft eine bittere Wahrheit, darauf weisen wirtschaftswissenschaftliche Institute die Politik schon länger hin. „China fördert Unternehmen unabhängig davon, wie groß die Nachfrage nach Produkten im eigenen Land ist. Wenn alle Länder das so machen, haben wir ein Problem", warnt Jürgen Matthies vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Was hilft? Hatte Donald Trump mit seinen verschärften Zollschranken während einer Amtszeit gegen China vielleicht doch Recht - Joe Biden hat nicht daran gerüttelt. Auch Mexiko hat unlängst reagiert und damit begonnen, Einfuhren aus China zu besteuern. Die Türkei schottet sich gegen chinesische Elektroautos ab.
In Deutschland, das wie kein anderes Land mit der chinesischen Wirtschaft verwoben ist und damit faktisch auch in der EU, ist dieses Thema tabu. Doch anders als in unserer Marktwirtschaft ist im Staatskapitalismus Chinas der Wettbewerb immer und überall Angelegenheit der Regierungsmacht - das hätte Staatssekretär Kellner dem frustrierten Chef von Meyer Burger verraten sollen. Die naiven Apologeten des freien Handels und der arbeitsteiligen Weltwirtschaft sitzen längst nicht mehr am Potomac in Amerika, sondern an der Spree in Berlin. Und Brüssel schaut zu.
Ein Thema für Olaf Scholz auf seiner China-Reise?
Dann allerdings wäre es vielleicht auch an der Zeit, sich einmal bei Xi Jinping für Chinas Hilfe bei unserer Energiewende zu bedanken. Ganz ernsthaft: So billig, wie wir unsere PV-Anlagen und Windräder mit subventionierten Bauteilen aus China ausbauen, könnten wir das gar nicht mit unseren eigenen Investitionsmöglichkeiten ausgleichen. Am Kölner Wirtschaftsinstitut rät man, die Effizienzfrage in den Mittelpunkt etwaiger Förder-Überlegungen zu stellen.
Wenn dann irgendwann unser Strompreis hier wieder wettbewerbsfähig wäre, könnten wir zum Rückspiel einladen und nach amerikanischem Vorbild endlich die regionale Wirtschaft regeln, schützen und promoten - mit der Losung „Buy European"! Preis-Dumping in China! Vielleicht sollte Kanzler Olaf Scholz (SPD) auch darüber bei seinem Staatsbesuch in Peking sprechen. Schon Mitte April fliegt der Kanzler dort hin.